Es funkt!

Das Content-Netzwerk von ARD und ZDF begleitet Jugendliche und junge Erwachsene konstruktiv durch die Untiefen der Corona-Pandemie, auch weil es andere drängende Themen für junge Leute nicht vernachlässigt.

Der Blick ist ernst, die Stimme nicht minder: „Ich nehme dieses Video auf am 1. April 2020.“ Mai Thi Leiendecker (geb. Nguyen-Kim) versucht keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, wie bedenklich die Lage ist. „Corona geht gerade erst los“: Das sind 22 Minuten wissenschaftsjournalistische Erklärung und konstruktive Einordnung einer ausweglos anmutenden Lage. Konstruktiv deshalb, weil die promovierte Chemikerin den „Freunden der Sonne“, wie sie ihr junges Publikum anspricht und dabei einlädt, es sich bei einem Tee gemütlich zu machen, ruhig und verständlich über die Grundlagen der Pandemieentwicklung aufklärt und in unverblümter Direktheit verdeutlicht, mit welchem Pandemieverlauf in den kommenden Monaten und Jahren zu rechnen ist.

Eine frohe Botschaft oder gar Lösungen präsentiert sie nicht. Doch wird auch für (jugendliche) Laien verständlich, weshalb die Nachverfolgung von Infektionsketten so schwierig ist, wie jede:r die Berechnungsmodelle der Pandemieentwicklung mit Online-Tools nachvollziehen kann, was „Wuhan-style Lockdown“ bedeutet und wie wichtig es ist, von den aktuellen Geschehnissen zu lernen und wenn nicht rosiger, dann doch etwas klarer in die Zukunft zu schauen. Ihre Schlussworte: „Ich weiß, dass vieles in diesem Video euch wahrscheinlich entmutigt hat. Ich sehe das so: Ich habe lieber einen konkreten Ausweg vor Augen, auch wenn er schwer ist, als immer nur mit ,Wir-müssen-mal-schauen‘ im Ungewissen gehalten zu werden. Wenn wir das Ziel kennen, können wir auch besser zielen.“ Und wer motivierende Gedanken oder Ideen zur Ausdauer habe, solle sie doch bitte gern in die Kommentare schreiben. „Lasst uns keine Panik schieben, aber bitte auch nicht verkacken.“

Trendreport

Beim Trendreporting des VOCER Millennial Labs recherchieren und analysieren wir den Markt der Medienangebote, die sich an Millennials richten, fassen relevante Studien zusammen und geben internationale Einblicke in den Journalismus für neue Zielgruppen. In diesem Beitrag beleuchten wir Erkenntnisse aus der Studie „Konstruktiv durch Krisen?“ von Leif Kramp und Stephan Weichert.

Über 6,6 Millionen Mal wurde das Video bereits angeklickt (Stand: November 2021). Das Video des Kanals maiLab wurde auf YouTube zum meistgesehenen in deutscher Sprache im Jahr 2020. Zu sehen ist nicht irgendeine Journalistin, Moderatorin oder Influencerin, sondern spätestens seit ihrem Statement die bekannteste Stimme von funk, dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF, wie das Angebot etwas halbherzig auf der eigenen Website bezeichnet wird. Die Wissenschaftsvermittlerin wurde während der Corona-Krise in den Senat der Max-Planck-Gesellschaft aufgenommen, zur Journalistin des Jahres gewählt und zu einer der prominentesten Beobachterinnen des gesellschaftlichen Umgangs mit der viralen Gefahr. Leiendecker mag auch deshalb bei jungen Zuschauer:innen als „Stimme der Aufklärung“ Gehör finden, weil sie ihr Publikum mit einer „Mischung aus Kompetenz, aus Empathie und aus einem sagenhaften Humor“ adressiert, wie Kollege Ranga Yogeshwar, ihr Vorgänger bei der WDR-Sendung Quarks, es in einer Laudatio formulierte. Mittlerweile arbeitet Leiendecker für das ZDF.

Webadresse: www.funk.net

Format: Online-Netzwerk aus verschiedenen Informations- und Unterhaltungsformaten von ARD und ZDF für junge Menschen

Tonalität: Was bedeutet die Corona-Pandemie für Jugendliche und junge Erwachsene?

Themenspektrum: Von Grundlagenwissen über authentische Ratgebertipps bis hin zu beißender Ironie mit ernstem Hintergrund, konsequent offen für Publikumsbeteiligung über Kommentarspalten und Chats und nah am jugendlichen Alltag

Prädikat: Verständnis für die Zerrissenheit des jungen Publikums, aber kompromisslos in der Sache: Nur gemeinsam und verantwortungsbewusst lässt sich die Krise bewältigen.

Erlösquelle: Öffentlich-rechtliche Rundfunkbeiträge

Eine solche lässige und doch stets verbindliche Form konstruktiver Auseinandersetzung mit Herausforderungen zeichnet auch andere Formate für junge Leute des Social-Media-Angebots der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus. „Wir müssen einen 14-Jährigen genauso wie eine 29-Jährige erreichen. Das ist ein riesiges Feld. Das an einer Plattform zu machen, halten wir für komplett utopisch“, sagte der damalige Geschäftsführer Florian Hager, der Anfang Dezember 2021 zum neuen Intendanten des Hessischen Rundunks gewählt wurde, im Oktober 2016 zum Start von funk, das nach Hagers Beförderung zum stellvertretenden Programmdirektor von Das Erste im Oktober 2020 auch Einzug in die Mediatheken von ARD und ZDF hielt. funk hat Zeit seines Bestehens versucht, regelmäßig mit neuen Formatideen auf den einschlägigen sozialen Plattformen die Mentalitäten junger Menschen möglichst zielgruppennah zu treffen und dabei viele Register gezogen, die Fernsehmacher:innen zur Ansprache junger Zielgruppen überhaupt nur ziehen können. Entsprechend fluide erscheint das Angebot an Gesichtern, Stimmen und Erzählformen.

Um in die ganz eigenen Lebenswelten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen einzutauchen, reicht das Spektrum von YouTube-Sketch-Comedys, Gaming-Formaten und Facebook-Live-Shows über fiktionale Serien bis hin zu journalistisch angetriebenen Wissens- und Nachrichtenmarken, die sich dezidiert von den Konventionen althergebrachter Sendungen abgrenzen. „funk ist ein Prisma: Wenn ich jetzt 14 bin, ist funk für mich etwas Anderes, als wenn ich 24 bin. Wenn ich ein junger Mann bin ist es etwas anders, als wenn ich eine junge Frau bin. Je nachdem, aus welcher Perspektive ich darauf schaue, sieht funk anders aus. Und das ist durchaus so gewollt. funk, das sind viele kreative Menschen, die im Internet Videoprojekte machen, die nur dort stattfinden und nur mit funk“, sagt die Vize-Programmgeschäftsführerin Sophie Burkhardt zum Konzept des Netzwerkangebots.

Im Jahr 2021 erreichte funk mit seinen knapp 70 Social-Media-Kanälen ungefähr 77 Prozent der Zielgruppe von 14 bis 29 Jahren. Sogar 87 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 30 Jahren kennen das junge Netzwerk als solches oder eines seiner Formate. In der Berichterstattung zu ‚Covid-19‘ stechen vier Themenstrategien heraus, die mit lösungszugewandter Herangehensweise aufklären, aufdecken und ablenken, wobei Impulse für das individuelle Handeln im Mittelpunkt stehen:

  • Vermittlung von Grundlagenwissen über die Pandemie und ihre Folgen mit wissenschaftlicher Expertise
    Neben maiLab profiliert sich insbesondere der Journalist und ehemalige ZDF-Logo!-Moderator Mirko Drotschmann als MrWissen2go zweimal wöchentlich mit Erklär- und Meinungsvideos, wiederholt auch zu ‚Corona‘. Dabei bindet er sein Publikum, darunter vor allem Schüler:innen, über Umfragen und Kommentar-Auswertungen ein und thematisiert, was ihnen wichtig ist, was sie bewegt und welche Spielräume und Ideen sie haben. Probleme werden leicht verständlich herausgearbeitet und jeweils Lösungswegen gegenübergestellt. Das Format wirbt darüber hinaus um Verständnis für Betroffene, regt aber auch an, die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen kritisch zu diskutieren, Optionen abzuwägen und zu hinterfragen. Daneben werden auf dem Kanal Dinge erklärt – kurzgesagt mit futuristischen Animationen zum Beispiel Verhaltenstipps wie die AHA-Regeln als simpel, aber effektiv beschrieben und zugleich an den sozialen Gemeinsinn appelliert.
  • Berichte und Diskussionen über die politische und gesellschaftliche Handhabung der Krise
    Simplicissimus zeigt, wie Südkorea die unkontrollierte Ausbreitung des Corona-Virus verhinderte, legt Mechanismen von alarmistischer Corona-Tendenzberichterstattung offen, befasst sich mit Verschwörungstheorien zur Pandemie und gibt dabei Tipps für eine kontrollierte, reflektierte Rezeption von zirkulierenden Netzinhalten zum Thema. Bei „Deutschland3000“ sprechen Akteur:innen aus Kultur und Medien über ihre ‚Rezepte‘, wie sie es schaffen, trotz massiver Corona-Einschränkungen weiterzuarbeiten. Und bei Die da oben! wird lösungsorientiert begründet, weshalb die Akzeptanz der Infektionsschutzmaßnahmen in der Bevölkerung eines öffentlichen parlamentarischen Diskussions- und Entscheidungsprozesses über die Verhängung von Lock- und Shutdown-Regelungen bedarf.
  • Beiträge über aktuelle lebensweltliche Perspektiven junger Menschen im Lock- bzw. Shutdown
    Das vom WDR produzierte Format Reporter wartete bei Snapchat, YouTube und Facebook mit Ideen gegen den Corona-Koller auf, warb um Verständnis für den Frust gerade junger Leute, aber auch darum, dass es #InZeitenVonCorona besonders wichtig sei, auf seine und die Gesundheit anderer zu achten. Statt wöchentlicher Reportagen sendete das Team eine Woche lang gemeinsam mit dem nordrhein-westfälischen Radiosender EinsLive ein tägliches Corona-Update: Wie komme ich als junger Mensch zurecht mit ‚Social Distancing‘, Reisewarnungen, drohendem Jobverlust, finanziellen Einbußen und großer Langeweile und kann meine Lage vielleicht sogar verbessern und mental gesund bleiben? Resilienzratschläge für junge Menschen wurden mit Fragen aus dem Publikum und an Expert:innen kombiniert. Daneben zeigt das Bremer Y-Kollektiv, dass es helfen kann, miteinander zu sprechen, selbst mit Anhänger:innen von Verschwörungsideologien, auch wenn es anstrengend erscheint. Außerdem wird über unterschiedliche kulturelle Herangehensweisen im Umgang mit der weltweiten Pandemie berichtet als auch über verantwortungsvolles Feiern, Reisen und Dating im Zeichen von ‚Corona‘.
  • Unterhaltung, Zerstreuung und Unterstützung für das Homeschooling
    Als die Schulen für viele Wochen schließen mussten, reagierte funk mit einer eigenen Playlist bei YouTube mit einer Zusammenstellung von Erklärvideos aus diversen seiner Kanäle, um Verständnislücken beim Zuhause-Unterricht schließen zu helfen – funk als „Vertretungslehrer:in“. Auch bei fiktionalen Webserien wie Druck um das Lebensgefühl von Teenagern werden die Pandemie und die daraus resultierenden Dilemmata junger Menschen einfühlsam verarbeitet.

Generell ist allerdings zu bemerken: ‚Corona‘ wurde für funk nicht zu einem überwältigenden Schwerpunktthema. Das Gros der Beiträge, die in den zahlreichen Kanälen über YouTube, Instagram, Snapchat, Facebook und TikTok verbreitet werden, greift offensiv zeitlose Fragen auf, die für gewöhnlich in der breiten Berichterstattung und speziell in Zeiten der Pandemie zu kurz kommen und besonders junge Menschen bewegen. Zum Beispiel das preisgekrönte Format Mädelsabende für Mädchen und junge Frauen auf Instagram: Hier geht es auch zu Hochzeiten der Pandemieentwicklung in Deutschland um zeitlose Herausforderungen des Single- oder Queer-Daseins, um die Farbe von Urin, ums Streiten, sexualisierte Gewalt, ADHS, Essstörungen, die Akzeptanz des Anderen, um Zusammenhalt und die Kompliziertheit der Welt. Nicht nur hier produziert funk Diskursmaterial konsequent aus Sicht einer jungen Generation, die in ihrer Heterogenität zwar mit grundlegenden Einschränkungen zurechtkommen muss und mit dem Ausfall wichtiger Meilensteine ihrer Sozialisation zu kämpfen hat, aber neben ‚Corona‘ noch Vieles mehr in ihren Köpfen jongliert.

Auf ihrem YouTube-Kanal „maiLab“ kommentiert und erklärt Dr. Mai Thi Leiendecker (geb. Nguyen-Kim) aktuelle Fragen aus der und zur Wissenschaft. Schon vor der Corona-Pandemie war der Kanal bei Jugendlichen populär. Direkt, pointiert und persönlich werden aktuelle Fakten und Streitfragen aus dem wissenschaftlichen Fachdiskurs aufgegriffen und leicht verständlich erklärt – sorgfältig recherchiert, aber nie verlegen um eine klare Position. In der Corona-Pandemie wurde der Kanal zu einem der prägendsten Quellen für junge Menschen zur Aufklärung und Vermittlung von Hintergrundwissen über das pandemische Geschehen und die Krankheit Covid-19.

youtube.com/c/maiLab

Auch das wird abgebildet: Trotz, Frust, Ironie, die sich zu Skandalen auswachsen wie im Fall des Satireformats Bohemian Browser Ballett. Mitten in der ersten Welle überzeichnete das Video „Corona rettet die Welt“ einen vermeintlichen Generationenkonflikt zwischen Jung und Alt und erntete von vielen Seiten harsche Kritik. Die funk-Zentrale sah sich genötigt, den satirischen Inhalt zu erklären. Provokant legte das Comedy-Format zu Heiligabend mit dem „Finanztipp des Jahres“ nach: „Besuche deine Eltern zu Weihnachten“, dann werde das Erbe frühzeitig fällig – ein humoristisches Mittel, das bei einem jugendlichen Publikum eine Auseinandersetzung mit der Provokation anregen mag, gerade weil die propagierte Botschaft ad absurdum geführt wird. Für ältere Generationen aber kann dies alles andere als konstruktiv anmuten. Auch wenn einige funk-Formate und -Personalien bereits den Sprung in die Hauptprogramme von ARD und ZDF geschafft haben, ist die Auslagerung der jungen Zielgruppenansprache in die Sozialen Medien auch ein Zeugnis immenser Verständnisschwierigkeiten zwischen den Generationen. Deutschland3000-Moderatorin Eva Schulz hält es entsprechend für einen wichtigen konstruktiven Schritt zu versuchen, „Leute auch über Altersgrenzen hinweg miteinander ins Reden [zu] bringen.“

Mehr Trendreport vom VOCER Millennial Lab:

Es funkt!

Reuters Institute / #usethenews
Die da oben!
The Doe
Screenshot von InshortsScreenshot Inshorts
Reuters Institute
Screenshot von NAS Daily
Reuters Institute for the Study of Journalism

Stark durch Journalismus?

In der Corona-Pandemie suchen junge Menschen nach verlässlichen Informationen, finden sie aber nicht nur bei Nachrichtenmedien. Eine Gefahr für die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft in Krisenzeiten? Was der Reuters Digital News Report 2021 und die Studie #usethenews über das Mediennutzungsverhalten von Millennials in Zeiten der Pandemie sagen.

Während steigende Temperaturen und Impfzahlen die Corona-Pandemie im Alltagsbewusstsein vieler Menschen in den Hintergrund rückt, scheint sie das Medienhandeln bereits nachhaltig geprägt zu haben: Vor allem junge Menschen haben viel lernen müssen darüber, wie tiefgreifend digitale Medientechnologien zwischenmenschliche Beziehungen, aber viel grundlegender noch gesellschaftliche Institutionen wie Schule und Universität in Zeiten sozialer Distanz verändern. Die Pandemie hat speziell bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen das Erleben klassischer Lebensphasen gehörig durcheinander gewirbelt und Meilensteine der Sozialisierung zumindest verschoben. Auch das Durchstarten am Arbeitsmarkt wurde Nachwuchskräften durch Corona-Folgen wie Kurzarbeit, Personalabbau und Einstellungsstopp erschwert. Doch welche Auswirkungen haben die herben Einschnitte auf ihr Medienhandeln und ihr Informationsverhalten, um im alltäglichen Lebensumfeld und der digitalen Welt Schritt zu halten mit den großen Fragen und Herausforderungen, die insbesondere die Zukunft ihrer Generation betreffen?

Das Logo des VOCER Millennial Labs

Beim Trendreporting des VOCER Millennial Labs recherchieren und analysieren wir den Markt der Medienangebote, die sich an Millennials richten, fassen relevante Studien zusammen und geben internationale Einblicke in den Journalismus für neue Zielgruppen. In diesem Beitrag beleuchten wir die relevanten Ergebnisse des Reuters Digital News Report 2021 und der #UseTheNew-Studie.

Nachrichtennutzung junger Menschen macht Unterschiede

Gesundheitliche Risiken durch Corona sind nur ein Problemfeld, das nicht nur ältere Menschen und Risikogruppen, sondern auch junge Leute dazu animiert hat, sich in den vergangenen Monaten stärker über aktuelle Entwicklungen zu informieren. Zu dem Ergebnis kommt die aktuelle Erhebung der Langzeitstudie Reuters Digital News Report zur Nachrichtennutzung. Die vom Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg verantworteten Ergebnisse für Deutschland ergänzen die Resultate der am selben Institut durchgeführten qualitativen und quantitativen Befragung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Rahmen des Verbundprojektes #UseTheNews in Zusammenarbeit mit der Deutschen Presse Agentur und vielen weiteren Praxispartnern, deren Ergebnisse schon Ende April veröffentlicht wurden. Die Lead-Autoren beider Studien, Uwe Hasebrink und Sascha Hölig, erkennen gemeinsam mit ihren Teammitgliedern Julia Behre und Leonie Wunderlich „mitunter klare Unterschiede in den Interessen und medienbezogenen Nutzungshandlungen“ junger und älterer Menschen.

Die beiden – für den quantitativen Befragungsteil – repräsentativen Studien zeichnen ein vielschichtiges Bild junger Menschen aus den Generationen Y und Z, die wie keine zuvor von digitalen Medien geprägt wurden und denen durch die Corona-Pandemie wichtige typische Sozialisationserlebnisse verwehrt geblieben sind. Nicht erst Corona hat im vergangenen Jahr die Aufmerksamkeit junger Leute dominiert, sondern auch viele weitere gesellschaftliche Mammutaufgaben wie Klimawandel, Generationengerechtigkeit oder der Wandel der Mobilität. Wie die Ergebnisse der beiden Studien nahelegen, ringen junge Menschen zwischen 14 und 34 Jahren auch um ihre Widerstandsfähigkeit in einer sich immer rasanter wandelnden und in vielen Perspektiven und Bezugspunkten globalisierten Mediengesellschaft, in der es nur noch wenige Sicherheiten zu geben scheint.

Verunsicherung, Überforderung, Perspektivlosigkeit: Die Folgen von Corona für das Medienhandeln

Im Spannungsfeld zwischen umfassenden Beschränkungen und Brüchen im Alltag junger Menschen und digitaler Lebensplanung voller Unwuchten ist ein hohes Maß an Widerstandsfähigkeit oder Resilienz auf mehreren Ebenen digitalen Medienhandelns gefragt: Im Mittelpunkt mögen Fähigkeiten der Aneignung digitaler Informationen und speziell Nachrichten stehen (Stichwort: Digitale Nachrichtenkompetenz), doch sind auch Fragen des souveränen Umgangs mit digitaler Kommunikation im Allgemeinen und Aspekte der Zukunftsgestaltung mithilfe digitaler Medien tangiert.

Die Ergebnisse und daraus abgeleitete Schlussfolgerungen im Einzelnen:

  • Journalismus als Begleiter:in durch die Krise
    Corona hat das Leben des Großteils der Weltbevölkerung verändert. Die Spuren im gesellschaftlichen Leben sind auch in Deutschland unverkennbar. Menschen in der Lebensphase zwischen Schule, Ausbildung, Studium und Beruf haben nach den Daten des Digital News Reports am stärksten mit Veränderungen der persönlichen Situation durch Corona zu kämpfen. Die Selbstauskünfte lassen gravierende persönliche Konflikte und Unsicherheiten erahnen: Geben zwei Drittel der über 55-Jährigen an, (starke) Auswirkungen durch die Pandemie erlebt zu haben, teilen 81 Prozent der 18- bis 24-Jährigen diese Einschätzung. Eine daraus resultierende Frage: Inwiefern können journalistische Inhalte Nutzer:innen dabei helfen, die Krise im Mikrokosmos des individuellen Alltags besser zu bewältigen oder sogar gestärkt aus ihr hervorzugehen?
  • Ein blinder Fleck bleibt
    Während Corona die strukturelle Transformation des Journalismus enorm vorangetrieben hat und digitales Arbeiten in Redaktionen spätestens jetzt den neuen Normalzustand darstellt, hat die Pandemie offensichtlich auch einige Monita in der journalistischen Praxis zementiert: Dazu gehört unter anderem eine verbreitete Konzeptlosigkeit, die Lebenswirklichkeit junger Menschen angemessen in die Berichterstattung zu integrieren, ohne Zielgruppen-Ghettos zu schaffen. Letztere wurden in Form junger Nachrichtenangebote wie Ze.tt, Noizz oder Bento im vergangenen Jahr ohnehin weitestgehend abgewickelt. Nach den Ergebnissen des Digital News Reports empfinden 42 Prozent der 18- bis 24-Jährigen Mediennutzer:innen in Deutschland den Umfang der Berichterstattung über „Menschen meines Alters“ als unzureichend. Darüber hinaus gaben 37 Prozent dieser Altersgruppe an, dass – sollte über Menschen ihres Alters berichtet werden – dies inhaltlich nicht angemessen sei, also zum Beispiel Fehler oder Verzerrungen moniert werden. Junge Erwachsene fühlen sich in signifikantem Umfang von den etablierten Medien falsch oder nicht verstanden.
  • Junge Menschen bewerten Relevanz anders
    Das mag auch an einer deutlich geringeren Wertschätzung für klassischen Schwarzbrotjournalismus bei jüngeren Nutzer:innen liegen, bei denen das Interesse an Hard News nicht sonderlich ausgeprägt ist, wie die #UseTheNews-Studie unterstreicht. Andere Themen und Fragestellungen werden für wichtiger erachtet: Junge Menschen orientieren sich eher an ihren Peers, an Vorbildern und Leitfiguren im Influencer:innenspektrum, das sich in individualisierten Feeds auf Instagram, Snapchat und TikTok aufspannt. Wenn ein Thema tiefergehend interessiert, werden auch gern ausgewählte Themen-Gruppen und Foren im Netz angesteuert. Dies mag als Ausweichbewegung verstanden werden, denn der Bedarf an lebensweltlich relevanten Informationen, Wertediskussionen und Identitätsaushandlungen ist fraglos vorhanden, Unsicherheiten sind groß, Orientierungsbedarfe hoch. Doch die Klüfte zwischen klassischer Berichterstattung und der Lebenswirklichkeit Jugendlicher und junger Erwachsener sind tief. Es droht besonders bei Nutzer:innen, die sich ohnehin nur wenig aktiv informieren, eine nachhaltige Entfremdung von professionellen Nachrichtenangeboten.
  • Ausbaufähige Nachrichtenkompetenz
    Trotz des gestiegenen Interesses an bestimmten primär gesundheitlichen Themen kommen junge Menschen weiterhin eher zufällig mit journalistischen Inhalten auf Social-Media-Plattformen in Kontakt, erkennen diese bisweilen aber nicht, auch weil sich ihnen der inhaltliche Mehrwert in Relation zu anderen nicht-journalistischen Informationen nicht unbedingt erschließt. Die „News will find me“-Hypothese erweist sich auf Basis der Selbstauskünfte der #UseTheNews-Studie als weitgehend widerlegt, auch wenn gerade junge Mediennutzer:innen gerne behaupten, dass alles, was wichtig sei, schon irgendwie den Weg in ihren Aufmerksamkeitsbereich finde. Die Studie zeigt dies unter anderem an der Bezeichnung „Black Lives Matter“, die trotz starker Präsenz als Name einer sozialen Bewegung und als Hashtag in klassischen und sozialen Medien vielen jungen Befragten nicht bekannt war. Hier steht ein Gefühl des Informiertseins und des Mitredenkönnens in starker Diskrepanz zu der tatsächlichen Abkoppelung vom gesellschaftlichen Zeitgeschehen, dem politischen Diskurs und der kritischen Öffentlichkeit.
  • Der Blick ist weit, das Interesse breit
    In Krisenzeiten wie in der Corona-Pandemie drohen sich Themenverdrossenheit und News Fatigue, das heißt Ermüdungserscheinungen und Vermeidungs- bzw. Ignoranztendenzen, auszudehnen. Typische Redundanzen in der Krisenberichterstattung mit immer neuen Hiobsbotschaften, fluktuierenden Infektions-, Todes- oder Impfzahlen und politischen Auseinandersetzungen um Für und Wider von Einschränkungen und Öffnungen strapazieren schnell die Nerven junger Mediennutzer:innen. Die vielfältigen Themeninteressen gerade junger Menschen wurde hier bislang offenbar mehr schlecht als recht eingelöst. Dabei sind die Themeninteressen der Jüngeren nur scheinbar widersprüchlich, wenn sie sich einerseits Berichte über lustige und sonderbare Ereignisse wünschen, andererseits aber von einem Bedürfnis angetrieben werden an, über sehr konkrete Spezialthemen und Inspirierendes aus Internationalem, Politik, Gesundheit und Bildung, Umwelt und Natur, Wissenschaft, Technik und Lokalem informiert zu werden – sofern es für ihre Lebenswirklichkeit relevant ist. Leitend ist der Bezug zu den persönlichen Werten, Träumen und Plänen junger Leute, die ein komplexes Medienmenü unterschiedlicher Plattformen und ausgewählter Informationsquellen zu managen haben, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Allerdings fühlt sich mehr als die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen nicht sehr oder überhaupt nicht verbunden mit ihrer jeweiligen lokalen Gemeinschaft, 41 Prozent können mindestens ein wenig Verbundenheit aufbringen. Primäre Bezugsthemen hier sind ähnlich denen der älteren Generationen: Corona und das Wetter.
  • Im Zweifel lieber konventionell
    Nichtsdestotrotz haben die klassischen Medien in der Krise etwas hinzugewonnen: Wie der Digital News Report zeigt, wird der Bedarf nach Orientierung und Aufklärung im Mittel tatsächlich noch für ein Viertel der 18- bis 34-Jährigen am ehesten durch das Fernsehen als Hauptnachrichtenquelle befriedigt. Aber: Regelmäßiger und häufiger werden Nachrichtenquellen im Internet genutzt. Knapp zwei Drittel geben Online-Angebote als Hauptnachrichtenquelle an, und sogar mehr als drei Viertel der 18- bis 34-Jährigen frequentieren im Laufe der Woche Quellen im Netz, um sich zu informieren, und damit häufiger als das Fernsehen (47 Prozent), Radio (21 Prozent) oder Print-Medien (15 Prozent). Auch wenn die Social-Media-Fixierung der Jüngeren (Instagram ist hier führend) augenfällig ist und Social-Plattformen für ein Viertel der 18- bis 24-Jährigen als Hauptnachrichtenquelle fungieren: Nachrichtenmagazine, Zeitungen und TV- und Radioanbieter überzeugen auch diese Altersgruppe online, speziell wenn es um verlässliche lokale Informationen zu Corona- und Gesundheitsthemen geht. Soziale Medien liegen in dieser Kategorie nahezu abgeschlagen auf einem ähnlich niedrigen Niveau wie bei den über 55-Jährigen. Dies wird auch durch das gestiegene allgemeine Vertrauen in Nachrichten unter den jüngsten befragten Nutzer:innen gespiegelt: Gab es im Frühjahr 2020 nur 31 Prozent Zustimmung bei der Aussage, den Medien meist zu vertrauen, sind es in diesem Jahr – nach zwölf Monaten Corona – 48 Prozent. Soziale Medien dagegen bleiben wie in den Vorjahren ein ‚Guilty Pleasure‘: Sie werden zwar von jungen Menschen genutzt, aber nicht wertgeschätzt – nur mickrige 15 Prozent der 18- bis 34-Jährigen vertrauen der Informationsleistung der Plattformen und liegen damit altersübergreifend im Durchschnitt.
  • Sehnsucht nach Verlässlichkeit ohne Beigeschmack
    Für die meisten Menschen sind kostenfrei zugängliche Informationsangebote schon aus wirtschaftlichen Gründen die (Online-)Quellen der Wahl. Aber: Die Bereitschaft, für journalistische Inhalte im Netz zu zahlen, ist aktuell bei jungen Menschen am höchsten, wie der Digital News Report zeigt: Immerhin fast ein Fünftel zeigt sich grundsätzlich geneigt, für digitalen Journalismus zu zahlen, wenn er Mehrwert bietet. Nicht goutiert werden dagegen nach Erkenntnissen der #UseTheNews-Studie zur Medienaneignung Jugendlicher und junger Erwachsener aktivistische Tendenzen in Nachrichtenangeboten oder bei einzelnen Journalist:innen. Auch Subjektivität oder die Vermischung von Nachricht und Meinung ist nicht gewünscht: Dafür sind andere nicht-journalistische Anbieter:innen zuständig. Junge Nutzer:innen dringen auf sachliche, verbindliche und verlässliche Information – klassisch überparteilich und ohne unterhaltsame Zutaten. Ein Festhalten an den journalistischen Regelstrukturen, die von jungen Menschen eher gefühlt als gelernt mit Objektivität, Unabhängigkeit und Überparteilichkeit in Zusammenhang gebracht werden, ist für sie selbstverständlich – es sei denn, es handelt sich um bestimmte Themen, „bei denen es für Nachrichtenmedien keinen Sinn ergibt, neutral zu bleiben“. Hier scheren die jungen für den Digital News Report Befragten aus: Etwas mehr als ein Drittel (verglichen mit weniger als einem Viertel der etwas Älteren und Mittelalten) stimmen zu, womöglich weil für sie bestimmte Haltungen und Werte nicht verhandelbar erscheinen. Allgemein aber gibt mehr als drei Viertel der 18- bis 24-Jährigen an, dass Nachrichtenmedien eine Bandbreite unterschiedlicher Meinungen abbilden und es den Nutzer:innen selbst überlassen sollten, eine Entscheidung zu treffen. Die strikte Trennung von Unterhaltungs- und Informationsmotiven bei der Mediennutzung mag auch fehlende Nachrichtenkompetenz beim situativen Erkennen journalistischer Inhalte in der bunten und an Quellen reichen Social-Media-Umgebung liegen: Je deutlicher die Kernmerkmale des Journalismus herausgestellt werden, desto eindeutiger ist sein Informationswert zu erkennen.
  • Angst vor informationellem Trickbetrug
    Falschmeldungen können gravierende Folgen haben, das zeigen auch diverse Fake-News-Wellen, die mit ihren viralen Inhalten zur Corona-Pandemie Nutzer:innen von Messenger-Diensten und Social-Media-Plattformen heimsuchten. Im Digital News Report zeigt sich, dass unter den jüngsten Befragten die Sorge am weitesten verbreitet ist, bei Online-Nachrichten möglicherweise nicht erkennen zu können, was Fakten oder Falschmeldungen, vor allem irreführende und manipulative Informationen, sind: 45 Prozent der 18- bis 24-Jährigen meinen, sie hätten unter Umständen Schwierigkeiten bei der Unterscheidung. Die Verunsicherung sitzt so tief, dass elf Prozent dieser Altersgruppe selbst bei professionellen Nachrichtenwebsites oder -Apps Sorge haben, sie könnten mit Fake News konfrontiert werden. Neben Facebook bereiten aber Messenger-Apps wie WhatsApp und Facebook Messenger den Jüngsten die größte Sorge: Dies korrespondiert damit, dass junge Nutzer:innen solche Dienste intensiv in ihrem Alltag einsetzen, um miteinander im Gespräch zu bleiben, nicht nur, aber erst recht in Zeiten sozialer Distanz. Auch dies zeugt von einer tiefen Verunsicherung im eigenen Medienhandeln, die einen souveränen Umgang mit relevanten Kommunikationsdiensten erschwert.
  • Partizipation ist eine Utopie
    Die Ergebnisse des Digital News Report deuten auch darauf hin, dass der ‚Netizen‘, mündige Bürger:innen, die sich aktiv, informiert und kompetent am öffentlichen Diskurs im Netz beteiligen und Nachrichteninhalte souverän wie kritisch um eigene Perspektiven, Wissensinhalte und ergänzende Recherchen anreichern, als breite gesellschaftliche Utopie graue Theorie geblieben ist: Generell ist die Partizipationslust bei Mediennutzer:innen in Deutschland gering, auch bei den jüngeren. Am aktivsten noch teilen und kommentieren solche Mediennutzer:innen Nachrichteninhalte in sozialen Medien, die sich klar im linken oder rechten politischen Spektrum verorten. Tatsächlich zeigen sich mehr Jüngere im Vergleich zum Vorjahr an Politik überaus und sehr interessiert, der Wert stieg um ganze sieben Punkte auf 42 Prozent. Dagegen sank der Wert bei den älteren Millennials bis Mitte 30 um fünf Prozentpunkte auf nur noch 39 Prozent – auch dies deutet auf Unterschiede zwischen den Generationen in der Mobilisierungsbereitschaft und dem Frustrationsgrad von Millennials und den Angehörigen der nachfolgenden Generation Z angesichts der gesellschaftspolitischen Stimmungslage. Journalismus kommt in dieser Gemengelage eine Scharnierfunktion bei der intergenerationalen Stiftung von gesellschaftlichem Zusammenhalt zu: Grundlage ist und bleibt die altersübergreifende Versorgung der Bevölkerung mit sorgsam recherchierten Informationen, wie auch immer sie alters- oder zielgruppenspezifisch aufbereitet werden.
  • Journalismus etwas Gutes tun!?
    Journalismus ist eine schützenswerte und angesichts der wirtschaftlichen Verwerfungen auch schutzbedürftige kulturelle Praxis. In der Corona-Krise hat eine Vielzahl von journalistischen Akteur:innen – seien es Verlagshäuser, Non-Profits und nicht zuletzt freischaffende Journalist:innen – mit existenziellen Nöten zu kämpfen. Ob, wie umfassend und wie lange der Markt die Aufrechterhaltung journalistischer Qualität in den bestehenden institutionellen Gefäßen gewährleisten kann, ist ein Dauerthema in der Journalismusforschung und vermehrt auch in der Medienbranche selbst. Daher liegt die Frage nahe, die für den Digital News Report an Mediennutzer:innen gestellt wurde: „Sollte die Regierung eingreifen und kommerzielle Nachrichtenmedien unterstützen, die ohne Hilfe selbst nicht genug Geld verdienen?“ Wie offen, sicherlich auch unbedarft jüngere Bevölkerungsteile mit dem Szenario einer finanziellen Unterstützung von Nachrichtenmedien durch die Regierung bzw. den Staat umgehen, ist an der geringen Ablehnung zu erkennen: Nur 38 Prozent der 18- bis 34-Jährigen sprechen sich gegen die Option einer staatlichen Förderung aus (im Vergleich zu 52 Prozent der über 35-Jährigen). Mehr als ein Viertel der Jüngeren sind sogar explizit für staatliche Subventionen für die Presse. Ob dies einerseits auf den Wunsch zurückzuführen ist, Qualität zu sichern gegen die Volatilität des Marktes, der unter Corona besonders leidet, oder auf ein mangelndes Problembewusstsein für das Risiko staatlicher Nähe zur journalistischen Praxis, muss offenbleiben. Naiv bleibt die Hoffnung, Journalismus brauche eine staatlich abgesicherte Existenz, die mehr Freiheiten bietet als Risiken der Einflussnahme.

Fazit

Widerstandsfähig zu bleiben und auch psychischen Belastungen in Krisen standzuhalten, die so umfassend medial begleitet und vermittelt werden wie die Corona-Pandemie, setzt einen nahbaren und dialogbereiten Journalismus voraus, der die Bedürfnisse und Probleme junger Generationen von Mediennutzer:innen ebenso aufgreift wie die seiner angestammten Publika. Nur wenn journalistische Inhalte auch in der Plattformökonomie kenntlich werden und einen Unterschied machen zu zweifelhaften Informationen aus unklaren Quellen, zum Hörensagen, zu absichtlicher Desinformation, kann eine kritische Öffentlichkeit, die immer auch Resilienz produziert und vermittelt, bestehen oder entstehen. Junge Menschen sind essentielle Akteur:innen und Gestalter:innen dieser kritischen Öffentlichkeit – und das Zielgruppenkonzept wird dieser Rolle nicht ansatzweise gerecht. Nachrichtenmedien sollten aus diesem Potenzial Kraft und den ruhelosen Antrieb schöpfen, die jüngeren Teile der Bevölkerung für ihre Arbeit und Prinzipien zu begeistern, ohne die älteren zu entfremden. Es wäre ein wichtiger Schritt zu einer resilienteren Mediengesellschaft.

Mehr Trendreport vom VOCER Millennial Lab:

Medienmacher von morgen. Eine Deutschlandreise ins Digitale

Die Medienbranche steckt in einer historischen Krise. In vielen Ländern stehen klassische Medienunternehmen unter einem großen wirtschaftlichen Druck, ebenso freie Journalistinnen und Journalisten. Die Corona-Pandemie hat diesen Trend noch verstärkt. Doch in der Krise gibt es auch Chancen: Eine aufwändige 3sat-Dokumentation von VOCER-Mitgründer Stephan Weichert porträtiert junge Medienmacher*innen, die neue Ideen entwickeln, vorangehen und Mut machen.

Dass sich die Medien durch die Art und Weise ihrer Nutzung radikal verändern, brachte Felix Friedrich und Dario Nassal auf die Idee zu „The Buzzard“. Mit ihrem Team durchforsten die beiden Startup-Gründer aus Berlin täglich tausende Nachrichtenquellen und ordnen diese journalistisch ein. Ihre News-App bietet vor allem jüngeren Nutzer*innen Orientierung. Nach einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne, die ihnen 180.000 Euro einbrachte, starteten Friedrich und Nassal ihr Unternehmen.

Der Film begleitet die beiden Jungunternehmer etwa beim Aufbau eines Schulpaten-Projekts, das ihre App an Schulen bringen soll, um diese – im Kampf gegen Fake News und Filterblasen – im Unterricht zu nutzen.

Die Buzzard-Gründer Dario Nassal und Felix Friedrich im Gespräch mit Stephan Weichert

Buzzard-Gründer Dario Nassal und Felix Friedrich im Gespräch mit Stephan Weichert

Die beiden Gründer von „The Buzzard“, die in einer Frühphase 2017 vom VOCER Innovation Lab gefördert wurden, gehören zu jüngeren Journalist*innen, die im technischen Fortschritt vor allem das Potential für den Journalismus der Zukunft sehen.

Dass sich heute Informationen über verschiedene Kanäle verbreiten lassen, gehört auch für den erfolgreichen YouTuber und Journalisten Mirko Drotschmann zu seiner täglichen Arbeit: Drotschmann alias „MrWissen2Go“ betreibt im rheinland-pfälzischen Nierstein eine Produktionsfirma, die erfolgreiche YouTube-Formate entwickelt.

MrWissen2Go-Macher Mirko Drotschmann beim Filmdreh

MrWissen2Go: Dreh mit Mirko Drotschmann

Inzwischen hat Drotschmann knapp zwei Millionen Abonnenten bei YouTube. Ihn fasziniert daran die Möglichkeit, mit seinem Publikum in Kontakt zu treten und dort mit neuen Formatideen zu experimentieren.

Die Dokumentation von Stephan Weichert begibt sich auf eine Reise zu mehreren Schauplätzen, wo an neuen Technologien und journalistischen Formen getüftelt wird. In kurzen Porträts zeigt der Film, wie ähnlich die Herausforderungen und wie unterschiedlich die Lösungsansätze sind.

Verleger Arist von Harpe vor Zeitungen auf Laufbändern in einer Druckerei

Zeitung neu erfinden? Druckerei-Begehung mit Neuverleger Arist von Harpe (Hamburger Morgenpost)

Neben „The Buzzard“ und „MrWissen2Go“ beobachtet der Film auch die „Krautreporter“, eine genossenschaftlich organisierte Redaktion, die im Auftrag ihrer Leser*innen recherchiert und deren Mitgründer VOCER-Mitgründer Alexander von Streit ist.

Mitglieder des Krautreporter-Teams winken in die Kamera

Die Krautreporter-Redaktion beim Dreh einer Mitgliederkampagne

Außerdem zeigt der Film die Wissenschaftsjournalisten Astrid Csuraji und Jakob Vicari aus Lüneburg, die mit ihrem Innovationslabor „tactile.news“ Ansätze eines Dialogjournalismus mit Zeitungsredaktionen testen. Die beiden „tactile.news“-Gründer Csuraji und Vicari sind ebenso wie der Krautreporter-Chefredakteur Rico Grimm Gastreferent*innen der derzeit laufenden VOCER Digital Leadership Academy rund um das Thema „Digitale Resilienz“.

tactile.news-Gründer*innen Astrid Csuraji und Jakob Vicari mit einem Prototypen

Innovationslabor tactile.news: Astrid Csuraji und Jakob Vicari

Hinter den neuartigen Journalismus-Projekten stecken Ideen mit großem Potential, aber auch solche, die immer wieder mit der Frage ihrer Finanzierung konfrontiert sind. Der Film „Medienmacher von morgen“ zeigt nicht nur Chancen, sondern auch die Probleme der künftigen Medienwelt.

Medienmacher von morgen. Eine Deutschlandreise ins Digitale

Ein Film von Stephan Weichert
Redaktion: Engelbert Tacke, WDR
Produktion: Stephan Lamby, ECO Media

Millennial-Medien sterben, lange lebe der Millennial-Journalismus!

Nach fünf Jahren Experimentierphase mit neuen Nachrichtenmarken für junge Zielgruppen geht es für Medienhäuser nun an eine Herkules-Aufgabe: die Ansprache junger Zielgruppen nun verstärkt in ihre regulären Nachrichtenangebote zu integrieren.

Ein Resümee wie der morgendliche Kater nach einer wilden Party: „2020. Was für ein Jahr. Die Krönung für uns: Das Ende von NOIZZ“, schrieb Manuel Lorenz, bis Jahresende Noch-Chefredakteur von Noizz.de, kurz vor den Festtagen etwas ratlos. Die Branchenmeldung vom Aus des im Frühjahr 2017 auch in Deutschland gestarteten Millennial-Ablegers aus dem Axel-Springer-Konzern erscheint auf den ersten Blick wie ein weiterer Schlag in die Magengrube junger Nachrichtenpioniere, deren keine geringere Last auf die Schultern gelegt wurde, als junge Menschen mit eigens kreierten Medienmarken für Journalismus zu begeistern – keine leichte Aufgabe bei fortdauernder Nachrichtenmüdigkeit unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Das Logo des VOCER Millennial Labs

Beim Trendreporting des VOCER Millennial Labs recherchieren und analysieren wir den Markt der Medienangebote, die sich an Millennials richten, fassen relevante Studien zusammen und geben internationale Einblicke in den Journalismus für neue Zielgruppen.

Die Reihe der Enttäuschungen wird damit nur länger: Im Juni entzog der Spiegel-Verlag „Bento“ die Daseinsberechtigung, nur wenige Tage später dräute es aus dem Hause „Zeit Online“, dass „ze.tt“, die Nachrichten-Marke für trendige Twens, seine Eigenständigkeit verlieren und fortan nur noch als Ressort weiterexistieren sollte. Junge Führungskräfte, die in den Häusern zuvor als innovative High Potentials viel gestalten, aber auch aushalten mussten, verabschiedeten sich, darunter Marieke Reimann oder Julia Rieke. Andere Redaktionen dürfen weitermachen, wie im Fall des deutschen „Buzzfeed“, das von der regionalaktiven Ippen-Gruppe adoptiert wurde, kurz bevor es vom krisengeschüttelten US-Mutterkonzern geschlossen werden konnte. Auch „orange by handelsblatt“ gibt es noch, aber nur als Podcast. Und bei „Vice“ gab es dieses Jahr Kurzarbeit statt Entlassungen. Immerhin, aber: Mut machen geht anders.

Eine stattliche Riege junger Medienmacher*innen war im Jahr 2015 angetreten, in den vielen neu gegründeten Millennial-Redaktionen von „Bento“ über „Noizz“ bis „Watson“ und „ze.tt“ Journalismus für junge Menschen zu machen. Ein Journalismus, der sich vor den hohen Idealen des Berufstandes nicht zu verstecken braucht, sondern sie kreativ und integer in neue Arbeits- und Darstellungsformen übersetzt, die junge Leute neugierig machen, Glaubwürdigkeit erzeugen und ordentlich informieren. Nach fünf Jahren soll diese Ära nun zu Ende gehen? Wahrscheinlich nicht, denn der Strukturwandel fängt vielerorts gerade erst richtig an, und die Verlage brauchen umso dringender Konzepte, wie sie Alt und Jung gleichermaßen mit Nachrichtenangeboten erreichen können.

Millennial-Medien mit Ablaufdatum

Verlag: Der Spiegel
Ort: Hamburg
URL: www.bento.de
Start: Oktober 2015
Ende: September 2020
Follower: zuletzt ca. 250k bei Facebook, ca. 68k bei Instagram, ca. 20k bei Twitter
Letzte Ressortleiterin: Julia Rieke

Die mit viel Branchenecho gestarteten Nachrichtenangebote für Millennials standen Zeit ihrer Existenz unter besonderer Beobachtung – zumal von den Muttermedien und der Konkurrenz: So hoch die Erwartungen gesteckt wurden, so hoch waren auch im Verhältnis zum übrigen redaktionellen Innovationsgebaren der betroffenen Häuser die personellen und infrastrukturellen Ressourcen, die in sie gesteckt wurden. Zuletzt berichteten die verantwortlichen Redaktionsleitungen von Achtungserfolgen bei Reichweite und qualitativem Engagement ihrer Publika, das nicht nur nachrichtenaffine Bevölkerungsgruppen umfasste. Was ihnen nicht oder nicht ausreichend gelang: en passant neue Erlösquellen für die Stammhäuser zu erschließen.

Auch nach fünf Jahren befanden sich die Versuchsballone noch in einer Orientierungs- und langwierigen Wachstumsphase. Die Schonfrist ist mancherorts früher abgelaufen, als es sich die jungen Kreativen haben hoffen lassen. An der publizistischen Erfolgsbilanz gibt es nur wenig zur rütteln: Reichweitenwachstum, journalistische Qualität, kreative Arbeitsformen, diverses Personal, agile Entscheidungsstrukturen. Doch die Spin-offs sollten als verlängerter Arm der Stammredaktionen Nutzer*innen auch an die erwachsenen Nachrichtenmarken der Zeitungsverlage gewöhnen und die Werbewirtschaft aktivieren. Hier fielen die ambitionierten Projekte im Benchmarking durch.

Ob dem „Ende der Party“ auch ein Zauber innewohnt, wie Manuel Lorenz in seinem ambivalenten Abschiedsbeitrag zwischen Frustration und Durchhaltewillen hofft, sei dahingestellt. Wer aber bei jungen Mediennutzer*innen punkten will, kann nicht auf die Erfahrungen und die sich nach und nach herausgebildete Dynamik der jungen Redaktionsteams verzichten. Viel wird davon abhängen, wie ernsthaft Integrations- und Transferprozesse in den Medienhäusern angegangen werden:

  • Welche Markenstrategie ist aussichtsreich?
    Die Kehrtwenden bei „Spiegel“, „Zeit“ und Springer haben gezeigt, wie schwierig es ist, neue Marken auf einem so voraussetzungsvollen Markt wie dem Nachrichtensektor zu lancieren und wirtschaftlich zu betreiben. Erklärungsbedürftige Namen wie „Bento“ und „ze.tt“, aber auch jugendsprachlich gedrechselte wie „Noizz“ müssen erst einmal sichtbar und dann auch noch als (attraktive) Nachrichtenquelle erkennbar werden, um in den Wahrnehmungsbereich junger Leute zu kommen. Da hilft nur viel Werbung, digital viral oder selbst mit Plakaten an Bushaltestellen und Litfaßsäulen, doch letztlich kostet das manche Häuser (zu) viel. Es gilt, einen demographischen Bruch in der Mediennutzung zu überwinden: Hierfür braucht es Strategien, um jene weiten Teile junger Menschen, die allenfalls nur zufällig Kontakt zu Nachrichten haben, für den Mehrwert qualitativ hochwertiger Berichterstattung zu begeistern. Insofern erscheint es sinnfällig, etablierte Markenkerne altersübergreifend auszufüllen und mit zielgruppenorientierten Formaten zu stärken: Die unterschiedlich profilierten Social-Media-Plattformen, E-Mail-Newsletter, Verticals, hypersensitive Push-Notifications, Podcasts und so fort bieten vielerlei Ansätze und können bestenfalls auch monetarisiert werden. Die noch vorhandenen Kräfte können gebündelt werden, um Zugänge zum Journalismus zu schaffen und den bei Älteren etablierten Markenwert auch bei den Jüngeren zu steigern.
  • Brauchen wir nicht etwas Neues?
    Eine neue App vielleicht oder reicht nicht auch ein Rebrush der bestehenden Website? In Zeiten tiefer Verunsicherung ob sinkender Anzeigenerlöse und des volatilen Mediennutzungsverhaltens speziell junger Menschen wirken Pläne der Veränderung oder Neuentwicklung oftmals radikal, überschwänglich, aber auch schnell unerschwinglich. In Befragungen fällt auf, dass Jugendliche und junge Erwachsene den klassischen Mediengattungen viel Vertrauen entgegenbringen, ohne sie aber in entsprechendem Umfang zu nutzen. Die dazu quer liegenden Erwartungen junger Menschen an seriöse Nachrichtenanbieter bleiben weitgehend konventionell und klassisch textbasiert. Dementgegen steht die weitläufige Popularität von Video- und Audio-Streaming, das letztlich viel Medienzeit frisst, die nicht anderweitig verwendet werden kann. Dabei sehnen sich gerade junge Erwachsene nach regelmäßigen, verlässlichen Informationen aus vertrauter Quelle. Also mehr Qualität statt Quatsch. Unterhaltung gibt es anderswo überzeugender. Insofern ist die Suche nach dem Königsweg journalistischer Darreichungsformen noch lange nicht am Ende, sie wird vielerorts nur kleinschrittiger, explorativer und zahlt stärker auf die bestehende Kernmarke ein. Hier empfehlen sich methodische Herangehensweisen zur Format- und Produktentwicklung, die auf einem konsequent nutzerorientierten Co-Creation-Prinzip fußen.
  • Wie motiviere ich junge Führungskräfte?
    Anders gefragt: Wie junge Führungskräfte halten, wenn der Millennial-Journalismus unter Wert verkauft wird? Junge Redaktionen, die nicht selten mit wenig Personal und operativen Mitteln die Zielgruppe der Zukunft erschließen sollen, brauchten bislang vor allem Wagemut, Wertschätzung und Willenskraft, um durchzuhalten. Die Vorreiter*innen aber befinden sich weiterhin in der undankbaren Position des Mittlers zwischen zwei Welten: Ihr Erfolg wird gemessen von Vorgesetzten in Traditionsverlagen und -sendern, gleichzeitig verlangen ihnen junge Teams, die mit hergebrachten Arbeitsweisen brechen (sollen) eine vollkommen neue Führungskultur ab. Es gibt weder Vorbilder, an denen sie sich orientieren könnten, noch Erfahrungen aus anderen Jobs: dafür sind die Anforderungen an journalistische Organisationsmodelle zu unique. Und doch bleiben sie die Hoffnungstragenden der Branche. Was gebraucht wird sind Weiterbildungs- und Coachingprogramme, die Young Leaders im Journalismus dabei helfen, in ihrem verantwortungsvollen Handeln widerstandsfähiger zu werden, junge Teams zu formen und ihr volles Potenzial zu entwickeln und dabei jene energiegeladenen Gestalter*innen zu bleiben, als die sie angetreten sind, ohne den Beharrungskräften alter Strukturen und Abhängigkeiten zu unterliegen.
  • Wie bekomme ich das beste Nachwuchspersonal, das ich brauche?
    Der Markt an hochqualifizierten Bewerber*innen könnte im Journalismus seit Jahren besser sein. Millennial-Medien reüssierten vor allem damit, junge Talente zu finden und sie nach und nach – im engen Rahmen ihrer Möglichkeiten – zu Stimmen aufzubauen, die beim jungen Publikum Gehör fanden. Diese Rekrutierungsstimmung aufrecht zu erhalten, wird für die schwerfälligeren Redaktionsgefüge der Stammmarken herausfordernd sein. Neue Job-Profile allein werden nicht helfen. Es braucht vor allem Freiheiten in der Projektentwicklung, heterarchische Abstimmungsprozesse, verbunden mit starker Teamorientierung. Es heißt, Spielwiesen zu schaffen bei guter, das heißt mindestens tariflicher Bezahlung. Aber auch: Den Kulturkampf zwischen Innovation und Konvention, Disruption und Establishment beenden, Augenhöhe herstellen zwischen Jung und Alt. Davon profitieren alle Mitarbeitenden in chronisch überlasteten Redaktionen. Nicht grundlos schien sich das alte, aber nicht zwingend bewehrte Vorgehen am Beispiel der Millennial-Medien zu wiederholen, das bereits zu Beginn der Online-Aktivitäten von Presseverlagen zu beobachten war: Die Online-Redaktion abzutrennen, damit sie neue Strukturen aufbauen und testen kann (auch gern unter Umgehung von Tarifbindungen). Es sollte auch wieder mehr Augenmerk auf das Mentoring gelegt werden, Feedbackaustausch sollte überall und jederzeit möglich sein. Und es braucht emotionale Stützen angesichts der krisengetriebenen Transformation in vielen Redaktionsstuben. Von organisationaler New Work bis individuelle Achtsamkeit: Neue Perspektiven für ein „gesundes“ kollegiales Zusammenwirken werden immer stärker zur Inzentivierungsmaßnahme, um Arbeitszufriedenheit zu stärken und auch auf dem Job-Markt gegenüber anderen Medienbranchen attraktiver zu werden.
  • Schaffen wir es aus eigener Kraft?
    In einem Prozess, der erst die richtigen Fragen fordert, bevor Antworten gefunden werden, geraten Einzelkämpfer schnell ans Limit. VOCER hat jungen Führungskräften im Journalismus schon früh einen vertrauliche Rahmen geboten, um in ländlicher Abgeschiedenheit über Schwierigkeiten und Anschlusspunkte bei ihrer Arbeit zu diskutieren. Dabei kam allen voran der Wille zum Ausdruck, gemeinsam an den Herausforderungen zu wachsen und an Ideen zu laborieren. Dies zeigt sich auch in den Millennial Lab-Workshops mit Journalist*innen aller Altersgruppen: Überall dort, wo verschiedene Erfahrungen (speziell im Lokaljournalismus) zusammenkommen, um über Veränderungen und innovative Formate nachzudenken, entsteht Überraschendes. Intern wie extern kann Wettbewerb nicht nur Hemmschuh, sondern Triebfeder sein, weil Ideen auf breiterer Expertise abgesichert werden können. Auch das haben wir gelernt: Das journalistische Personal sehnt sich so manches Mal nach einem Befreiungsschlag von geschäftlichen Bedenken gegenüber einem stärkeren Austausch mit Kolleg*innen anderer Häuser. Der Wunsch: gemeinsam stärken zu entwickeln, um im Wettbewerb mit nicht-journalistischen Medienangeboten zu bestehen.
  • Wie komme ich mit der Zielgruppe ins Gespräch?
    Social-Media-Plattformen sind nicht mehr wegzudenken, weder bei der wechselseitigen Kommunikation, noch zwecks Unterhaltung oder Information. Entscheidend bleibt daher die Aus- und Weiterentwicklung einer eigenen Plattformstrategie: Welche Social Network Site entpuppt sich als der nächste Trendsetter? Welcher Messaging-Dienst birgt Potenzial für die Nachrichtenproduktion und den Vertrieb? Welche Gratwanderung bedeutet es für Medienanbieter, wenn sie Plattformen wie TikTok als populären Kanal für sich entdecken und Ressourcen investieren wollen? Und wie behalten Redaktionsmanager ob einer wachsenden Zahl und Differenzierung an Social-Media-Plattformen den Überblick über quantitative und qualitative Reichweiten? Ein wesentlicher Bestandteil der Millennial-Medien war bisher das Community-Management und die redaktionell ernst genommene Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Diskurshygiene auf den redaktionell betreuten Seiten. Was dort bisher funktioniert hat, bleibt aussichtsreich: Die Beziehung zwischen Redaktion und Publikum will intensiv gepflegt werden. Was erfolgreichen Journalismus für junge Zielgruppen auszeichnet, ist Nahbarkeit, Authentizität, eine digitale Werteorientierung, aber auch eine kritische und klare Haltung. Potential haben vor allem engagierende Moderationsstrategien für die gerade in Krisenzeiten stark frequentierten Kommentarbereiche im Social Web. Das Community-Management entfaltet seine Kraft, wenn es als journalistische Aufgabe angenommen und nicht als sekundärer Servicebereich delegiert wird. Mindestens ebenso gefragt ist die Entwicklung redaktioneller Formate, die auf den Austausch mit Nutzer*innen setzen. Auch hiervon profitieren Themenfindung, Nutzerfeedback, Recherche.
  • Wie kann ich verstehen, was die junge Zielgruppe will?
    Natürlich hat eine junge, divers zusammengesetzte Redaktion schon per se ein besseres Verständnis für die Belange ihrer Altersgenossen als eine durchschnittliche Zeitungsredaktion, die kaum die gesellschaftliche Vielfalt abbildet. Und doch gab es auch bei den Millennial-Medien Monita: zu hipp und urban die Orientierung, zu studiert. Wer den „Sound der jungen Generation“ treffen will, braucht nicht nur Sinn und Verstand für die Ambivalenzen einer Jugend zwischen lokalen Abhängigkeiten und kosmopolitischem Werteverständnis. Was für den Millennial-Journalismus gilt, steht auch der journalistischen Praxis insgesamt: intensiv zuzuhören und die Bevölkerung aktiv in die redaktionelle Arbeit einzubeziehen, permanent, nicht als Feature. Chancen bieten deshalb gerade lokale und regionale Formate. Wo es wenig neue Akzente gibt, lässt sich umso mehr gewinnen – auch im Wettstreit mit Netflix und YouTube um kostbare Zeitbudgets. Investitionen lohnen sich, wenn nicht heute, dann in einigen Jahren, wenn gesicherte Informationen in der Lebenswirklichkeit von Twenty- oder Thirtysomethings einen eigenen (Stellen-)Wert bekommen.
  • Und wie bringe ich junge Menschen dazu, meine Angebote zu lieben?
    Dirk von Gehlen glaubt an den Erfolg von inspirierender Berichterstattung. Welche Begriffe auch immer den Bedarf junger Mediennutzer*innen an Informationen zu beschreiben helfen: Nachrichten müssen relevant sein für den Alltag und die Perspektiven ihrer Adressaten. Noch allzu häufig fühlen sich die Jüngeren von  professionellen Nachrichtenangeboten unverstanden und suchen sich anderweitig Orientierung, zum Beispiel bei YouTube, WhatsApp, Instagram und in steigendem Maße auch auf TikTok oder in Videospielen – gerade Jugendliche könnten in ihrer Mediennutzung mit professionellen Nachrichtenangeboten nicht schwieriger zu erreichen sein. Empathisch und doch auf Distanz, konstruktiv, doch nicht unkritisch kann Berichterstattung viel gewinnen – ganz nach Hanns Joachim Friedrichs Bonmot, cool zu bleiben, ohne kalt zu sein (wobei der einstmalige „Tagesthemen“-Anchor bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Regel keine Assoziation auslösen dürfte). Helfen könnte mehr Konstruktivität ohne Verzicht auf Kritik: Constructive oder Solutions Journalism sind, zusammengenommen, eine der populärsten und meistdiskutierten Entwicklungen in der Nachrichtenbranche der vergangenen Jahre. Der gewollte Perspektivwechsel ist aber in deutschsprachigen Medien nach wie vor unterrepräsentiert. Junge Menschen verlangen nach Perspektiven, nicht nach Miesmacherei. Trotzdem konzentrieren sich Redaktionen noch allzu häufig in der Themenauswahl auf Krisen, Katastrophen und kriegerisches Geschehen. Speziell junge Mediennutzer*innen wenden sich deshalb entnervt ab. Nun bietet sich die Gelegenheit, eingeübte handwerkliche Routinen in der redaktionellen Praxis zu hinterfragen und Nachrichtenangebote insgesamt auf den Prüfstand stellen. So können lernende Strukturen entstehen – auch dies ein synergetischer Effekt der Millennial-Projekte.

Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die vielen entwickelten Spielarten des Millennial-Journalismus gerade Zeitungsverlagen wichtige Experimentierfelder bieten, von denen der gesamte Redaktionsstab nur lernen kann. Junge Redaktionen, die mit hergebrachten Konventionen brechen, werden auch weiterhin eine Schlüsselrolle in der inhaltlichen und unternehmerischen Weiterentwicklung journalistischer Angebote spielen, weil sie einen wichtigen Brückenkopf zwischen den generationalen Unterschieden darstellen – auch und vor allem unter einer traditionellen Dachmarke.

Mehr Trendreport vom VOCER Millennial Lab:

ForTeeNews – „Positive FAST NEWS, made by and for YOUTH”

Snackable Content: Joe Biden als “pal” von Kamala Harris – swipe – die USS Voyager (aus Star Trek) als mikroskopischster 3D-Druck der Welt – swipe – Sponge Bob als Netflix-Premiere (wegen der Kino-Schließungen). Tags darauf: Putin – swipe – Rudy Giulianis Pressekonferenz neben einem Sexshop – swipe – Schlangengift als Medikament – swipe – ein Martial Arts-Weltrekord – swipe – Hyperloop. Zwischendurch der neuerliche Chart-Erfolg eines früheren Miley Cyrus-Hits (Recycling im US-Wahlkampf) – swipe – Corona – swipe – die neue Xbox. „ForTeeNews“ macht keinen Hehl aus seiner bunten Mischung aus Politik und Popkultur. Das Nachrichtenangebot von Teenagern für Teenager im Alter von 13 bis 18 Jahren bedient die Instagramklaviatur mit quirliger Leichtigkeit und ist bemüht, die großen Nachrichtenthemen dieser Zeit knapp, aber konzise für ein jugendliches Publikum aufzubereiten.

Im Rahmen seines Trendreportings betreibt das VOCER Millennial Lab ein kontinuierliches weltweites Monitoring von innovativen Nachrichtenangeboten für junge Zielgruppen. Die Reihe Millennial Medium des Monats stellt Best Practice-Beispiele aus dem In- und Ausland vor. Diesmal: ForTeeNews.

„ForTeeNews“ ist das Projekt des 18-Jährigen Franzosen Pierre Caulliez. Im Krisen-Jahr 2020 begann er ein betriebswirtschaftliches Bachelorstudium an einer internationalen Business School am Standort London und sammelte nur wenige Montage nach Gründung seines Nachrichtenstartups 50.000 Euro beim Hamburger next media accelerator ein. Zu seinem internationalen Team gehört die rumänische Journalismusstudentin Adelina Lambreva als Content-Chefin und der Grafikdesigner Hans Kouagoué von der Elfenbeinküste, der für den farbenfrohen Editorial Rebrush des Kanals verantwortlich zeichnet. Darüber hinaus baute Caulliez innerhalb von zwei Monaten ein Netzwerk auf ca. 150 jugendlichen Content-Creators auf, indem er täglich Kommentare zu Videos postete, die ihm kompatibel zur eigenen redaktionellen Zielrichtung erschienen.

Regelmäßig werden Zuschriften, Hinweise und Newshighlights von jugendlichen Nutzer*innen per Direktnachricht eingesandt und als „subscriber‘s news“ aufgegriffen. Im Fokus stehen Reaktionen auf den Irrsinn so mancher weltpolitischen Entwicklung, aber immer auch konstruktive Perspektiven auf das Weltgeschehen: Da berichtet Simon aus Großbritannien begeistert über die Wahl der ersten Transgender-Senatorin in den USA, Tom aus Australien über die Entdeckung eines Korallenriffs so groß wie das Empire State Building oder Attar aus dem Libanon über eine Künstlerin, die aus Trümmerteilen der Explosion im Hafen Beiruts eine Statue aus Glas und Stein formte, um Zuversicht zu vermitteln. Das Teenager-Netzwerk soll auch dabei helfen, weltweit Mitstreiter*innen und nicht zuletzt zusätzliche Mittel einzuwerben, um das Konzept von ForTeeNews in unterschiedlichen Regionen und Sprachräumen zu verbreiten.

Name: ForTeeNews
Unternehmen: Forteen Limited
Sitz: Flat 113 Dryden Building, 37 Commercial Road, England, London, E1 1LF, Großbritannien
Website: forteenews.com
Gründung: April 2020
Gründer: Pierre Maurice Caulliez
Teamgröße: 3
Veröffentlichte Beiträge seit Start: ca. 230
Follower: Instagram >2.100

(Stand: September 2020)

Mit knapp mehr als 2.000 Abonnenten aus über 50 Ländern steht „ForTeeNews“ als englischsprachiges Angebot noch am Anfang eines Prozesses, die globale Generation Z in ihrer starken Heterogenität und unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten zu erreichen. Pierre Caulliez sieht in seinen Altersgenossen eine „internationale Generation“, für die Sprach- und Landesgrenzen keine bedeutenden Kategorien sind. Nichtsdestotrotz erkennt er in der Mediennutzung auch sprachliche Hürden und Vorlieben. Für die spanischsprechende Weltbevölkerung wird deshalb bereits ein eigenes Nachrichtengebot unter dem Namen „La Red Zeta“ entwickelt.

Pierre Caulliez

Die Ambitionen des gerade volljährig gewordenen Medienunternehmers sind von einer klaren Absage an die alte Nachrichtenwelt geprägt: Traditionelle Medien seien nicht imstande, die aktuelle Teenager-Kohorte zu erreichen, glaubt er, weil klassische Nachrichtenanbieter immer noch hauptsächlich auf die falschen Distributionswege und Darstellungsformen setzten und zu wenig Interaktion böten. Gleichzeitig glaubt Caulliez nicht daran, dass seine Generation nur Zerstreuung und Unterhaltung suche, im Gegenteil: Heranwachsende seien zukünftige Erwachsene, hätten Ambitionen und Interessen und bräuchten eine Anlaufstelle für glaubwürdige Nachrichten. Allerdings müsse sich diese möglichst nahtlos in ihr gewohntes Medienhandeln einfügen: In den meisten Regionen der Welt liegt Instagram in der Popularität der profilbasierten Social-Media-Plattformen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf dem vordersten Platz, insbesondere was die Informationsnutzung anbelangt.

Die täglichen Zusammenfassungen der für Teenager zusammengestellten Nachrichtenlage, geschrieben und redigiert von Adelina Lambreva, Journalismus-Erstsemesterin an der Universität von Lille, sollen mit bis zu 50 Worten und einer optimistischen Perspektive in nicht mehr als zehn Bild-/Text-Kacheln – auch beiläufig genutzt – zum Verstehen der Nachrichtenlage beitragen – „in a fun way“, so das Motto des Angebots. Schwarzmalerei passt hier nicht ins Bild, sondern vielmehr die Suche nach Auswegen, Mutmachendem und nach inspirierenden Lösungen. Gerade hat Caulliez eine Kooperationskampagne an weiterführenden Schulen in Frankreich gestartet, um Jugendliche zu animieren, sich regelmäßiger mit dem Nachrichtengeschehen auseinanderzusetzen und sich selbst mit Themenvorschlägen zu beteiligen.

Adelina Lambreva

Mindestens ebenso wichtig wie die richtige Prise Information ist aus Sicht von Pierre Caulliez die authentische Ansprache des jungen Publikums und kontinuierliche Interaktion. Wenn Teenager ihresgleichen mit Nachrichten versorgen, sind unterschiedliche Fallhöhen zwischen Medium und Publikum oder gar der Verdacht von Bevormundung kein Thema. Caulliez sieht traditionelle Medienangebote aber vor allem deshalb im Hintertreffen, weil sie die Social-Media-Prinzipien meist nur nachgelagert und nicht prioritär in ihre redaktionellen Prozesse einbinden. Dialog und direkte sowie schnelle Erreichbarkeit ist in der total vernetzten Kommunikationssphäre zum Goldstandard geworden und gilt – folgt man der Sicht des Startup-Gründers – erst recht für Nachrichtenanbieter: „Partizipation ist eine der essentiellen Punkte für „ForTeeNews“: Jede*r Abonennt*in kann ihre News aus ihrem Land beitragen. Jeden Tag veröffentlichen wir eine solche Meldung. Die Nutzer*innen brauchen mir nur eine DM schicken, die nicht länger als 50 Worte umfasst – und ein Bild, wenn sie wollen – mit ihrem Namen und ihrem Land. Nachdem wir die Quelle überprüft haben, veröffentlichen wir den Beitrag.“ Instant gratification für junge Leute, die ihre Stimme gehört wissen wollen.

Interaktion findet auch in täglichen Debatten statt, die am Tagesthema orientiert: Die Antworten der Kommentator*innen auf die tägliche Frage der Redaktion gibt es am folgenden Tag als separaten Slide – vielstimmig und unredigiert als Screenshot. „ForTeeNews“ setzt auf die jugendlichen Interessen und Weltwahrnehmung seiner Beiträger und beobachtet den täglichen Nachrichtenumschlag auf Google News mittels eines einfachen Tools, das den Aggregator übersichtlich nach festgelegten Stichworten durchforstet. Die Liste umfasst derzeit ca. 100 Keywords: von Disney und Games of Thrones über WWF und Jungle bis hin zu Jeff Bezos, Boris Johnson und Angela Merkel. „Die Liste ist das Ergebnis eines großen Brainstormings, bei dem wir zusammensaßen und unsere Umgebung genau beobachtet haben“, sagt Caulliez. Der Interessensfokus oszilliert zwischen Kinderzimmerkosmos und der weltpolitischen Bühne. Wie sehr ihm Politikvermittlung am Herzen liegt, zeigte der BWL-Student schon vor seiner Firmengründung bei einem Video-Wettbewerb eines Anbieters von Sprachtrainings: Pierre sprach in seinem Video über Gefahren der Datafizierung, Cyber-Mobbing und ökologische Risiken des hohen Stromverbrauchs der Internetnutzung und gewann eine Reise zu den Vereinten Nationen nach New York.

Erlöse sollen bei stärkerem Follower-Wachstum aus Werbekooperationen mit globalen Marken erwirtschaftet werden. Pierre Caulliez rechnet damit, dass zukünftig nur etwa fünf Prozent der Nutzer*innen auf einen nationalen Markt entfallen werden und damit die Diversität des internationalen Publikums seines Angebotes ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal bleiben wird. Das Investment des Hamburger next media accelerators um die Managing Partner Nico Lumma, Christoph Hüning und Meinolf Ellers fließt zu einem Viertel in die Inhalteproduktion, zu einem weiteren Viertel in die technische Ausstattung und zur Hälfte in Kommunikation und Marketing. Mittels der Zusammenarbeit mit Influencern und Werbeschaltungen auf einschlägigen Social-Media-Plattformen möchte Pierre Caulliez Teenager rund um den Globus für sein Nachrichtenangebot interessieren.

Besonders profitiere das Team aber von dem Austausch mit anderen Startups im „Batch“ Nummer 11 und darüber hinaus. Accelerator-Programme sollen für eine Beschleunigung der Geschäftsmodellentwicklung von jungen Unternehmen sorgen. In Kohorten durchlaufen Startups gemeinsam ein mehrstufiges Mentorenprogramm, das ihnen zugeschnittene, anwendungsorientierte Einschätzungen und Ratschläge von Experten vermittelt und das Ziel hat, die jeweiligen Angebote der Startups zu verbessern und ihr Marktpotenzial zu steigern. Das Coaching des Akzelerators habe ihm vor allem verdeutlicht, dass er seine Geschäftsstrategie systematisch nach und nach ausrollen sollte – ein Schritt nach dem anderen – „dabei war ich bislang nicht der Step-by-Step-Typ“, sagt Caulliez.

Ehrgeizig hat das junge Team bereits zahlreiche Verticals projektiert: neben klassischen Domänen wie „ForTeenMusic“, „ForTeenSport“ oder „ForTeenPimp“ (Beauty) auch querliegende Themen wie „ForTeenShow“, „ForTeenCars“ oder „ForTeenSpace“. Ein Ziel: durch Diversifizierung die Millionenmarke zu reißen. Dazu beitragen sollen auch weitere populäre Social-Media-Plattformen: Eigene Kanäle für Snapchat und TikTok sind in der Entwicklung und sollen im Laufe des Jahres 2021 starten, gefolgt von YouTube und Spotify. Auch eine eigene App ist geplant: Pierre Caulliez kann sich vorstellen, bei mehr als einer Million regelmäßiger Nutzer*innen für einen exklusiveren Zugang zum Angebot von „ForTeeNews“ 6,90 US-Dollar pro Monat zu veranschlagen. Wenn es nach den Projektionen des Gründers geht, könnte dies schon im September 2021 der Fall sein.

Mehr Trendreport vom VOCER Millennial Lab:

Langzeitstudie Massenkommunikation und ARD/ZDF-Onlinestudie: Schöne digitale Videowelt

Immer mehr Menschen in Deutschland nutzen das Internet. Längst kann nicht mehr nur von einer neuen Mediengattung gesprochen werden: Es gibt nicht mehr ‚das‘ Internet, vielmehr stellt die technische Infrastruktur des digitalen Netzes ein Füllhorn an Funktionalitäten bereit, die umfassend das gesellschaftliche und kulturelle Leben prägen. Online-Kommunikation wird so vielfältig praktiziert wie digitale Medieninhalte für das Internet produziert und angeeignet werden.

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Beim Trendreporting des VOCER Millennial Labs recherchieren und analysieren wir den Markt der Medienangebote, die sich an Millennials richten, fassen relevante Studien zusammen und geben internationale Einblicke in den Journalismus für neue Zielgruppen. In diesem Beitrag beleuchten wir die relevanten Ergebnisse der „Langzeitstudie Massenkommunikation“ und der ARD/ZDF-Onlinestudie.

Diese grundlegenden Transformationsprozesse von Medienumgebung und Mediennutzung fordern Längsschnittstudien heraus, die Wandel aus Gründen der Vergleichbarkeit nur mit klaren Bezugskategorien abbilden können. Mit der Langzeitstudie Massenkommunikation werden im Auftrag der ARD/ZDF-Forschungskommission schon seit Anfang der 1960er-Jahre im Fünfjahresrhythmus Personen ab einem Alter von 14 Jahren zu ihrem Mediennutzungsverhalten und ihren Einschätzungen gegenüber Medienangeboten in ganzer Breite befragt. Sie liefert zuverlässig Eindrücke einer sich kontinuierlich wandelnden Mediengesellschaft aus Sicht der mediennutzenden Bevölkerung. Seit 1997 erscheint zudem jährlich die ARD/ZDF-Onlinestudie mit detailliertem Fokus auf die Internetnutzung in Deutschland. Jährlich erscheinen seit 2017 außerdem die Massenkommunikation Trends, um die übergreifenden zunehmend rasanteren Veränderungen der analogen und digitalen Medienbranche genauer dokumentieren zu können.

Sowohl die Langzeitstudie als auch die Onlinestudie warten in diesem Jahr mit neuen Erhebungsdaten auf, die bestimmte Trends, die sich in den Vorjahren bereits abzeichneten, fortschreiben und einige neue Ausschläge verzeichnen, die für die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten und die strategische Weiterentwicklung von Nachrichtenangeboten relevant sind.

Die wichtigsten Ergebnisse der aktuellen Erhebung der Langzeitstudie Massenkommunikation und der ARD-ZDF Onlinestudie sind in dieser Hinsicht mit Blick auf die junge Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen:

Tiefgreifende Mediatisierung: Eine der gravierendsten Veränderungen wurde in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen mit der fast vollständigen Durchsättigung des Lebensalltags registriert. Nie wurde eine höhere durchschnittliche Mediennutzungsdauer pro Tag ermittelt als in der aktuellen Erhebung der Langzeitstudie Massenkommunikation. Der Medienkonsum von Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat sich im Tagesverlauf stetig ausgeweitet: Netto verbringen die 14- bis 29-Jährhigen zwar wie schon 2010 und 2015 etwa achteinhalb Stunden am Tag mit Medien, doch Brutto-Nutzungsdauer schnellte durch eine stark intensivierte Parallelnutzung mehrerer Medien auf einen Rekordwert von nahezu zehneinhalb Stunden (621 Minuten) – eine Stunde mehr als noch vor fünf Jahren. Das heißt: Jugendliche und junge Erwachsene chatten zum Beispiel häufiger beim Schauen einer Netflix-Serie über WhatsApp mit ihrem Freundeskreis oder verbringen ihre Zeit gleichzeitig mit Musikhören und Gaming. Gesprochen wird hier von verdichteter Nutzung – mit dem Risiko einer zunehmend beiläufigen Aneignung der konsumierten Inhalte. Der Alltag der jüngeren Bevölkerung ist demnach nicht mehr ohne technische Kommunikationsmedien vorstellbar. Der Corona-Lockdown hat hier sicherlich zur weiteren Verdichtung beigetragen, nichtsdestotrotz setzt sich ein Trend fort, der bereits seit einem Jahrzehnt abzeichnet.

Umfassend vernetzt: Digitale Medienangebote sind durch die mobilen Nutzungsmöglichkeiten mittlerweile durch den Ausbau der Breitbandnetze omnipräsent – insbesondere im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Gedruckte Periodika wie Tageszeitungen und Zeitschriften brauchen nur noch unter ferner liefen verbucht werden (6 Prozent Nutzung in der Altersgruppe). Allerdings fallen neuerdings auch die klassischen elektronischen Medien noch deutlicher ab als zuvor: Fernsehen und Radio von jeweils über 70 Prozent im Jahr 2015 auf aktuell nur noch 38 Prozent bzw. 51 Prozent in den Reihen der Generation Z und Generation Y/ Millennials. Unmissverständliche 97 Prozent der umworbenen Zielgruppe sind täglich im Internet (im Vergleich zu 72 Prozent aller Befragten). Sie nutzen Internetdienste 388 Minuten am Tag (etwa 90 Prozent länger als die Gesamtzahl der Befragten), davon entfallen auf mediale Inhalte 257 Minuten, was mehr als das Doppelte im Vergleich zu allen Befragten ausmacht. Und: Während nur jeder zweite Befragte täglich das sogenannte mediale Internet nutzt, also produzierte Medieninhalte rezipiert, sind es unter den Jüngeren neun von zehn. Der Unterschied kann auch daran festgemacht werden, dass für 57 Prozent der Gesamtbevölkerung ab 14 Jahren analoge Medien ins Repertoire gehören, bei den Jüngeren jedoch nur für jeden Vierten bis Fünften.

Online tagein, tagaus: Als entscheidenden Treiber dieses generellen Nutzungszuwachses bezeichnen die Autor*innen der Studie die Allgegenwärtigkeit digital vernetzter Medientechnologie, die hauptsächlich durch die gewachsene Bedeutung sozialer Medien in der Nutzung die Grenzen zwischen Individual- und Massenkommunikation verwischen: Bereits am frühen Morgen greift die jüngere Bevölkerung mehrheitlich zum Smartphone, um sich online zu informieren oder zu unterhalten, und legt das Gerät erst auf den Nachttisch, wenn das Licht längst erloschen ist. Im Vergleich zu den übrigen Mediengattungen bleibt die Internetnutzung auch über den Tag hinweg auf hohem Niveau konstant und nimmt erst wieder am späten Abend ab. Auch hier ist ein deutlicher Unterschied zur Gesamtbevölkerung festzustellen, bei der die durchschnittliche Internetnutzung im Tagesverlauf nur einen Bruchteil der Reichweite erzielt und bei der die traditionellen Mediengattungen zu den klassischen Nutzungszeiten am Morgen (Zeitung, Radio) und Abend (Fernsehen) – wenn auch abflauend – ihre Relevanz behaupten.

Sag‘ mir, was hält dich hier? Die Forschungsgruppe verzichtete bei der aktuellen Erhebung aus vornehmlich pragmatischen Gründen auf einige Fragestellungen, überaschenderweise auch auf die nach der Bindung an bestimmte Medienangebote. Im Jahr 2015 wurde noch ermittelt, wie maßgeblich die persönliche Bindung an das Internet als technologische Infrastruktur mediatisierter Kommunikation bei jungen Nutzer*innen damit zusammenhängt, dass sie ihren zwischenmenschlichen Austausch in wesentlichen Teilen online praktizieren. Für Nutzer*innen unter 30 war vor fünf Jahren wechselseitige Kommunikation (chatten, posten, E-Mails verschicken oder Messaging-Dienste nutzen) mit großem Abstand die wichtigste Online-Beschäftigung: 87 Prozent der Befragten gaben damals an, dass sie es vermissen würden, über das Internet zu kommunizieren, wohingegen nur 38 Prozent das Lesen von Zeitungs-Websites und vier von zehn Befragten Nachrichten bei Suchmaschinen oder Internet-Providern fehlen würden. Während zwei Drittel der 14- bis 29-Jährigen das Internet nicht mehr missen mochten, war es nur knapp die Hälfte der 30- bis 49-Jährigen und weniger als ein Drittel der über 50-Jährigen. Die Bedeutung zwischenmenschlicher Direktkommunikation über das Netz kann aktuell noch über die hohe Bedeutung der entsprechenden Apps und Portale wie WhatsApp (92 Prozent der Jüngeren), Instagram (53 Prozent) und Snapchat (27 Prozent) in der täglichen Nutzung abgeleitet werden.

Der demographische Bruch in der Bewegtbildnutzung: Nirgendwo zeigen sich die unterschiedlichen Gewohnheiten in der Art der Mediennutzung deutlicher als im Direktvergleich zwischen Menschen jünger als und solchen jenseits der 30: Während das lineare Programmfernsehen in Corona-Zeiten im Gesamtmittel der Befragten ab 14 Jahren mit Abstand die stärkste regelmäßig genutzte Anlaufstelle für Bewegtbild bleibt, verzeichnen YouTube und Streamingdienste das größte Nutzerpotenzial im Internet. Hier ist die jüngste befragte Altersgruppe Vorreiter: 79 Prozent der 14- bis 29-Jährigen sehen regelmäßig Videos auf YouTube, 71 Prozent bei (anderen) Streamingdiensten – deutlich mehr als lineares Fernsehprogramm (54 Prozent). Bei den übrigen Altersgruppen liegt das klassische Programmfernsehen deutlich vorn, obwohl es im Langzeitvergleich rückläufige Werte erzielt und mittlerweile auf dem Reichweitenniveau von 1985 liegt. Bei jungen Menschen liegt Video nun erstmals vor Audio: Die Wahrnehmungskategorie Sehen hat hier mit sieben Prozentpunkten in den vergangenen fünf Jahren einen enormen Zuwachs verzeichnet und prägt bei 46 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen das tägliche Medienmenü (44 Prozent Audio, 10 Prozent Text). Alle Online-Videoangebote zusammengenommen verzeichnen einen Allzeithoch im Zuspruch bei 98 Prozent der jüngeren Nutzer*innen (im Vergleich zu etwas mehr als zwei Drittel aller Befragten).

Radio vs. Streaming: Hatte sich das lineare Radio in weiten Teilen der Bevölkerung einen vermeintlich zukunftsfähigen Platz als (auto)mobiler Begleiter gesichert, zeigt sich in der häuslich geprägten Phase der Corona-Pandemie die Stärke der Musikstreaming-Dienste. Im Vergleich zum Vorjahr ist hier eine deutliche Verschiebung zu registrieren: Radio sackt weiter ab auf knapp 36 Minuten pro Tag, Streaming dagegen wächst von 32 auf 44 Minuten. Bei 80 Prozent der jungen Menschen dominiert Streaming das Musikerleben – allen voran Spotify. Doch auch YouTube hat sich mit seinem Music-Dienst in Stellung gebracht und wird als Zweitplatzierter von ungefähr jedem zehnten jungen Befragten gehört. Ältere Befragte nutzen diese Abo-Services nur zu 42 Prozent (30-49 Jahre) bzw. 12 Prozent (50+ Jahre).

Podcasts zeigen stabile Entwicklung: Podcasts als sprachzentrierte Audioinhalte profitieren offenbar nicht überschwänglich von dem allgemeinen Trend zu Online-On-Demand-Streaming. Sie erreichen weiterhin wie im Vorjahr etwa ein Viertel der jungen Nutzer*innen und 12 Prozent aller Befragten ab 14 Jahren.

Wer mehr sieht und hört, hat weniger Zeit zum Lesen. Die steigenden Nutzungszahlen von Bewegtbild und Audio scheinen zu Lasten des Lesens zu gehen: Junge Leute nutzen Textinhalte im Internet wesentlich kürzer an einem Durchschnittstag wie vor fünf Jahren (24 statt 49 Minuten). Das Studienteam ist sich selbst unsicher, ob es sich dabei um einen Trend handele, der sich „in einer verminderten Bedeutung von redaktionellen Texten“ ausdrücke.

Plattformen als dynamische Dreh- und Angelpunkte: Instagram liegt nach dem Messaging-Dienst WhatsApp weit vorn in der Gunst der Teenager und Twentysomethings: Mehr als zwei Drittel von ihnen geben an, das einstmalige Fotonetzwerk täglich zu besuchen. Instagram ist in den vergangenen Jahren immer stärker zu einem integrierten Social Network mit einer Vielzahl von Funktionalitäten und Optionen zur Nutzerinteraktion und Veröffentlichung von Medieninhalten geworden. Darauf folgen Facebook mit stetig zurückgehendem Zuspruch jüngerer Nutzer*innen (zurzeit bei 44 Prozent) und Snapchat mit bemerkenswert stabilen 41 Prozent. TikTok liegt bereits vor Twitter bei 9 Prozent. Es ist höchstwahrscheinlich, dass hier auch weiterhin eine starke Dynamik zu beobachten sein wird.

Vertrauen entpuppt sich als harte Währung: Wiederholt zeigt sich, dass junge Menschen ein ausgeprägtes Qualitätsverständnis haben und hohe Ansprüche speziell an mediale Informationsangebote richten. Dass sich dies (häufig) nicht in Tagesreichweiten und Angebotsrankings niederschlägt, ist zweifelsfrei ein ungelöstes Problem. Dennoch zeigen die Befragungsergebnisse der Langzeitstudie Massenkommunikation, wie deutlich 14- bis 29-Jährige zum Teil zwischen öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Medienanbietern unterscheiden, wenn sie darum gebeten werden, Glaubwürdigkeit und Vermittlungskompetenzen zu bewerten: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erzielen mit ihren Radio- und Fernsehangeboten (auch digital) in der jüngsten Altersgruppe der Befragung sogar zusammen höhere Glaubwürdigkeitswerte als im Mittel aller Befragungsteilnehmenden. Doch auch Zeitungen und Zeitschriften (als Mediengattung) erzielen Spitzenwerte. Die Streamingdienste stehen etwas zurück, können sich mit deutlich höherem Zuspruch der Jüngeren im Vergleich zum Gesamtschnitt aber im Mittelfeld behaupten. Soziale Medien hingegen liegen abgeschlagen auf den hinteren Plätzen: Weniger als ein Drittel der jüngeren Befragten meint, dass Instagram, Facebook etc. glaubwürdige Inhalte bieten. Relevante Themen schreiben die 14- bis 29-Jährigen hauptsächlich und noch stärker den Printmedien zu als den öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehanbietern, wobei sie sich bei politischen Informationen am ehesten für ein öffentlich-rechtliches Nachrichtenangebot entscheiden. Bedeutsam ist auch, dass für 67 Prozent der Jüngeren die Medienrealität ihrer eigenen Wahrnehmung der Welt entspricht – hier liegen sie gleichauf mit den Befragten jenseits der 70. Bei den Jungen gibt es nur wenige Zweifler.

Fazit

Journalistinnen und Journalisten werben mit vielen frischen Ideen, relevanten Themen und einer beeindruckenden Formenvielfalt darum, von jungen Menschen im Netz wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden. Ihre Inhalte erreichen aber nur zu selten die gesuchte Zielgruppe. Was sagen die gesammelten Ergebnisse der Langzeitstudie Massenkommunikation und der ARD/ZDF-Onlinestudie über aktuelle Chancen und aussichtsreiche Ansätze?

  1. Orientierung bieten
    Angehörige der Generation Z (bis Anfang 20) und die etwas älteren Millennials haben ein immenses Interesse an Nachrichten. Ihre Lebensphasen verlangen ihnen ein erhöhtes Maß an Orientierung in vielen für sie bislang unbekannten Themenfeldern und der Welt als solche ab. Doch nur es fehlt die Zeit: Pubertät, Schulabschluss, Abnabelung vom elterlichen Lebensraum, berufliche Ausbildung, Studium, Jobeinstieg und Familiengründung. Schon immer war es schwer, in diesen Phasen extrem verdichteten Lebenswandels junge Menschen mittel- bis langfristig an konkrete Informationsquellen zu binden. Unter dem Eindruck allgegenwärtiger digitaler Mediennutzung mit einem hochgradig ausdifferenzierten Medienangebot entscheidet vielfach nicht nur die Erkennbarkeit journalistischer Inhalte über Erfolg oder Misserfolg eines Angebots, sondern auch das Lustprinzip: eine attraktive Abgrenzung gegenüber all dem, was digitalmedial lockt und reizt. Zumindest die Ausgangslage erscheint günstig: Junge Menschen schätzen die Glaubwürdigkeit etablierter Nachrichtenorganisationen hoch ein, höher gar als ihre Eltern und Großeltern. Sie hören Podcasts, lesen, wenn auch weniger, aber sehr gezielt, Texte im Internet. Und sie informieren sich in steigendem Maße über Bewegtbildangebote im Netz.
  2. Nachrichtenkompetenz fördern
    Damit es nicht bei einer bloßen Hoffnung bleibt, dass Jugendliche und junge Erwachsene bei drängendem Informationsbedarf ihren Weg zum passenden professionellen Nachrichtenangebot finden, gilt es, weiter für den Wert journalistischer Inhalte zu sensibilisieren. Es bleibt eine große (gemeinsame) Aufgabe von Bildungspolitik, schulischer Bildung und auch journalistischer Praxis, Nachrichtenkompetenz zu fördern; denn es ist heutzutage schwerer denn je, in den Social-Media-‚Newsfeeds‘ und -‚Timelines‘ qualitativ untadelige Nachrichteninhalte zu erkennen. Journalistische Inhalte fristen in der unablässigen Abfolge unterschiedlichster Postings ein Schattendasein. Wer nicht aktiv sucht oder seine Informationsroutinen zielgerichtet ausrichtet, hat Schwierigkeiten, für sich relevante Berichterstattung aufzufinden. Nachrichtenkonsum verkommt dadurch leicht zur intellektuellen Herkulesaufgabe – denn der Reflexionsgrad, der Online-Publika abverlangt wird, ist angesichts der schnell überfordernden Masse an Inhalten enorm.
  3. Lösungsorientiert berichten
    Die volatilen Veränderungen der digitalen Medienumgebung sind (auch) für junge digitalaffine Menschen eine Quelle von Stress – eine Tendenz, die sich während des Corona-Lockdowns noch verstärkt haben dürfte. Bei einer medialen Übersäuerung – auch durch das nachrichtliche Brennglas auf dräuende Pandemiestatistiken – ist eine Übersteuerung der Mediennutzung hin zu Unterhaltungs- und Zerstreuungsangeboten wahrscheinlich. Eine solche „News Fatigue“ verlangt nach mehr als einem offenen Ohr für die Bedürfnisse des (jungen) Publikums, das sich ob des schon beinah traditionell problemlastigen und konfliktorientierten Berichterstattungsfokus von etablierten Nachrichtenangeboten abwendet, weil sie ihnen schlicht auf den Magen schlagen oder auf die Nerven gehen. Konstruktive und lösungsorientierte Ansätze im Journalismus setzen hier an und versprechen – kombiniert mit einer konsequenten Einbeziehung des Nutzerblickwinkels – relevanten Mehrwert für junge Menschen, der von ihnen wertgeschätzt wird. Es geht dabei nicht um einfache Rezepte, sondern den Versuch, Perspektiven aufzuzeigen, so kompliziert sie auch sein mögen.
  4. Werte diskutieren
    Je mehr Journalismus unter Einbeziehung sozialer Alltagswelten Jugendlicher und junger Erwachsener wertevolle Inhalte erzeugt und unter Beteiligung der Zielgruppe vermittelt, desto eher kann eine Netzwende gelingen. Ein hoher Bedarf an Wertediskussionen und haltungsorientierter Kommunikation muss nicht zwingend eine Entgrenzung journalistischer Regelstrukturen nach sich ziehen: Allerdings fehlt häufig speziell im Lokaljournalismus der direkte Draht zur jungen Bevölkerung und ihren Blick auf die weite Welt in der lokalen Lebenswirklichkeit. Transfer (Themen ‚herunterzubrechen‘) und kreative Kombinationsfreude sind alte und neue Kompetenzen, die das journalistische Rüstzeug prägen, wenn junge Menschen in ihren Köpfen Grenzen sprengen und Werte mit sich selbst und anderen aushandeln. Journalismus hat die Aufgabe, zur Aufklärung beizutragen und junge Stimmen authentisch in die gesamtgesellschaftlichen Debatten zu tragen.
  5. Don’t kill the messenger
    Nachrichtenmedien werden besonders in der aktuellen Situation angespannten gesellschaftlichen Zusammenlebens durch pandemische Infektionsschutzauflagen und politische Polarisierung als Überbringer unheilvoller Botschaften wahrgenommen. Bei jungen Menschen ist das Markenbewusstsein für Nachrichtenangebote ohnehin gering und muss erst geprägt werden. Hierbei vergeben viele Medienhäuser große Chancen, da sie sich nicht ausreichend als vielstimmige Vermittler der gesellschaftlichen Selbstverständigung verstehen, sondern als solitäre Chronisten und bestenfalls Kommentatoren dessen, was geschieht. Das macht sie nicht nur uninteressant, sondern auch zur Zielscheibe von Frustreaktionen. Dabei zeugen die hohen Glaubwürdigkeitswerte für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Presseerzeugnisse weniger von einer hohen Markenloyalität; im Gegenteil: Die tatsächlichen Nutzungswerte fallen bei jüngeren Alterskohorten im Vergleich marginal aus. Sie lassen allerdings den Schluss zu, dass es ein hohes (diffuses) Vertrauen in althergebrachte Medieninstitutionen gibt, was als Ausdruck einer verbreiteten Sehnsucht nach Nachhaltigkeit und Verlässlichkeit gewertet werden mag. Nachrichtenanbieter sollten sich deshalb ihrer Stärken als seriöse Informationsquellen besinnen und sich entsprechend profilieren – dabei aber nicht vergessen, nahbarer, zugänglicher und umgänglicher zu werden.

Mehr Trendreport vom VOCER Millennial Lab:

Die da oben! – „Im Bundestag ist Feuer drin“

Feuer im Bundestag? Dass es dort ziemlich kontrovers oder auch witzig zugehen kann und sich Abgeordnete auch mal heiß reden, zeigt Jan Schipmann wöchentlich als Host seines jungen Politikkanals im Social Web. Gemeinsam mit ZDF-Moderatorin Aline Abboud greift er mit ernstem Gesicht und schnoddrigem Ton Debatten aus dem Deutschen Bundestag und sporadisch auch Landtagen oder dem EU-Parlament auf und zeigt mal mehr, mal weniger prägnante Redeausschnitte von Abgeordneten zu Fragen, die die Gesellschaft bewegen oder gar zu polarisieren im Stande sind: Warum werden Corona-Demos verboten und dann wieder erlaubt? Warum hilft die EU Geflüchteten nicht mehr? Wie korrupt ist der Bundestag? Und wie wahrscheinlich ist ein gesichertes Grundeinkommen? Mit „Die da oben!“ erreichen der 33-Jährige und seine 32-Jährige Kollegin regelmäßig fünfstellige Abrufzahlen, mit ihren „Best Of“-Zusammenschnitten zur Speaker-Performance ausgewählter Politiker*innen sind es bisweilen deutlich mehr.

Im Rahmen seines Trendreportings betreibt das VOCER Millennial Lab ein kontinuierliches weltweites Monitoring von innovativen Nachrichtenangeboten für junge Zielgruppen. Die Reihe Millennial Medium des Monats stellt Best Practice-Beispiele aus dem In- und Ausland vor.

„Die da oben!“ ist seit April 2019 Teil von „Funk“. So umstritten das „Junge Angebot von ARD und ZDF“, wie das ambitionierte Großprojekt für junge Zielgruppen im Arbeitstitel hieß, von Anfang an war: Der Streit um eine vermeintliche Alimentierung von YouTube-Stars, die starke Präsenz auf Social-Media-Plattformen von US-Konzernen, der – an privatwirtschaftlichen Maßstäben gemessen – hohe Jahresetat von 45 Millionen Euro scheinen viereinhalb Jahre nach dem Start im März 2016 in den Hintergrund gerückt; denn funk ist in vielerlei Maßstäben erfolgreich. Mit aktuell über 60 Formaten reicht das Spektrum des „Content-Netzwerks von ARD und ZDF“ mit seiner Zentrale in Mainz von YouTube-Sketch-Comedys, Gaming-Formaten und Facebook-Live-Shows bis hin zu anspruchsvollen und reportagigen Magazin- und Nachrichtenformaten, deren Stärken im Recherchejournalismus liegen.

Die Medienforschung des Südwestdeutschen Rundfunks (SWR) und jene des ZDF ermittelten, dass annähernd drei Viertel der jungen Zielgruppe, die in ihrer Diversität teils der Generation Z, teils der Generation Y oder Millennials zugerechnet werden, das Angebot von „Funk“ kennen. „Wir müssen einen 14-Jährigen genauso wie einen 29-Jährigen erreichen. Das ist ein riesiges Feld. Das an einer Plattform zu machen, halten wir für komplett utopisch“, erklärte Geschäftsführer Florian Hager, aus der Programmleitung von Arte kam, zum Launch von „Funk“.  Vize-Geschäftsführerin Sophie Burkhardt ergänzt: „,Funk‘ ist ein Prisma: Wenn ich jetzt 14 bin, ist Funk für mich etwas Anderes, als wenn ich 24 bin. Wenn ich ein junger Mann bin ist es etwas anders, als wenn ich eine junge Frau bin. Je nachdem, aus welcher Perspektive ich darauf schaue, sieht Funk anders aus. Und das ist durchaus so gewollt. ‚Funk‘, das sind viele kreative Menschen, die im Internet Videoprojekte machen, die nur dort stattfinden und nur mit ‚Funk‘.“

Nicht grell laut, aber lustig ernst

In diesem Prisma leuchtet das Redehighlights-Format „Die da oben!“ nicht am grellsten, auch nicht am lautesten. Unter den aktuellen „Funk“-Formaten aus dem Newssegment belegt es auch bei den Followerzahlen nicht den Spitzenplatz. „Funk“-Formate empfehlen sich gern untereinander. Als die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim auf ihrem vielbeachteten Kanal „maiLab“ den unterhaltsamen Blick von Abboud und Schipmann in den Bundestag lobte, gab es einen Schub in den Abonenntenzahlen und viele digitale Kekse in den Kommentarspalten.  Innerhalb von eineinhalb Jahren haben sich die Parlamentsberichte bereits ein loyales und diskussionsfreudiges Publikum erarbeitet, das das Format für seine Geradlinigkeit und seine humorvoll-pointierte Verständlichkeit schätzt. „Die da oben!“ ist politische Aufklärung für junge Erwachsene, knüpft Zusammenhänge, stellt politische Positionen gegenüber, dekonstruiert Widersprüche oder schöpft rhetorische Glanzleistungen aus den Parlamentsdebatten. Mandatsträger*innen werden daran gemessen, wie und worüber sie in der Volksvertretung kommunizieren: „Wir bilden das ab, was unsere Politiker in den Parlamenten so treiben“, sagt Jan Schipmann im Interview. Bei der Verwendung von Falschinformationen in Parlamentsreden werden redaktionelle Korrekturhinweise gegeben. Damit richtet sich das Format an 19- bis 29-jährige, bei denen mit der nachschulischen Unabhängigkeit auch das Interesse für bundespolitische Themen und Entscheidungsprozesse keimt. Es geht um die Sozialisation zu mündigen Staatsbürger*innen – gerne auch mit einer Bazooka, um ein Zitat der „explosiven Geheimwaffe Olaf Scholz der Sozialdemokraten“ aufzugreifen.

Dabei sollen die jungen Nutzer*innen nicht unterschätzt werden: Wenn eine Partei in ihrer parlamentarischen Redezeit keinen einzigen konstruktiven Lösungsvorschlag formuliere, dann merke das auch der uninformierte Zuschauer, glaubt Schipmann. Je konkreter Lösungsansätze seitens der Politik debattiert würden, desto eher werde es vom jungen Publikum wertgeschätzt. Daraus würden politische Haltungen geformt, bei welchen Parteien sich ein junger Mensch mit seinen Zielen oder auch Nöten aufgehoben fühle, als Wähler oder aktiv politisch gestaltend. So lässt das Host-Duo bei aller umgangssprachlichen Lässigkeit ihrer Moderation in der Regel seine persönlichen Meinungen außen vor. Es gilt das Gebot der Ausgeglichenheit. Gezeigt werden solle, wie groß das Meinungsspektrum im Bundestag ist. Aline Abboud möchte zudem eine „weibliche Perspektive auf das ziemlich männliche Parlament“ bieten. Haltung scheint auch dann und wann durch, vor allem gegen jegliche Form des Extremismus: „In den Sozialen Medien funktionieren krasse Meinungen und krasse Bilder“, weiß Schipmann. Umso wichtiger sei es aus seiner Sicht, dass Journalismus „für junge Menschen, die sich im politischen Raum noch nicht so gut orientieren können“, eine relativ neutrale Berichterstattung und Einordnung bietet. Sich selber in den Vordergrund zu stellen, helfe nicht.

Name: Die da oben!
Produktionsfirma: Hyperbole Medien GmbH
Sitz: Frankfurter Allee 13-15, 10247 Berlin
Website: http://www.hyperbole.de/formate/die-da-oben-2/
Gründung: April 2019
Gründer: Jan Schipmann
Moderator*innen: Aline Abboud, Jan Schipmann
Teamgröße: 14 (Redaktion: 3)
Veröffentlichte Videos seit Start:
> 100 (YouTube)
> 200 (Facebook)
Follower:
YouTube > 51k
Facebook > 45,5k
Instagram > 18,9k
Telegram: > 800

(Stand: September 2020)

Informr als Basis

Jan Schipmann hat eine „Funk“-Vergangenheit. Er gehört seit den ersten Monaten zur Familie: Mit „Informr“ startete er im Dezember 2016 ein politisches Interview-Format, damals noch redaktionell betreut vom Jugendsender MDR Sputnik. Zum Jahreswechsel 2018/19 lief nach etwa 300 Videos die Zusammenarbeit mit MDR Sputnik aus. Der Sender entschied sich, seine „Funk“-Inhalte verstärkt selbst zu produzieren; für Schipmann kein Rückschlag, auch weil er vom Konzept eines niedrigschwelligen, aber nicht unterkomplexen Politikformats junge Leute mit Aktivierungsimpetus überzeugt geblieben ist. Heute erkennt er Adaptionen von „Informr“ bei der „Diskuthek“ von stern.de oder beim „Machiavelli“-Podcast des WDR. Der Neustart gelang der Hyperbole Produktionsgesellschaft, bei der Schipmann als Redaktionsleiter Politik arbeitet, im Direktpitch in der „Funk“-Zentrale: Das kleine Berliner Unternehmen aus der Frankfurter Allee überzeugte die digitalen Programmplaner, ein Scout-Team aus Redakteur*innen des ZDF und der ARD-Rundfunkanstalten BR, MDR, WDR, Radio Bremen und RBB, mit dem Konzept einer wöchentlichen themenzentrierten Aufarbeitung parlamentarischer Debatten. Mit dem konsequenten Fokus auf Themen wurde das Profil schärfer: „Im Gegensatz zu ,Informr‘ wissen die Leute, was sie bekommen, wenn sie auf unserer Webseite sind.“ Vagheit wurde ersetzt mit einem engen Blickwinkel auf Politik: das Handeln politischer Akteure in den politischen Arenen.

Jan Schipmann

Jan Schipmann

Die meisten Zuschauer*innen klicken nach Beobachtung der Redaktion aus Themeninteresse auf die Videos und nicht etwa, weil sie zu einer regelmäßig wiederkehrenden Fanbase gehören, die sich durch eine „krasse Politikaffinität“ auszeichne, so Schipmann. Entsprechend werden bevorzugt gesellschaftliche Debattenthemen aufgegriffen, die in der Lebenswirklichkeit junger Menschen vor-, im politischen Diskurs aber häufig noch zu kurz kommen: LGBTQ+,Menschenrechte, Uploadfilter, Rassismus, Klimaschutz, die Zukunft der Technik, Entwicklung des Arbeitsmarkts und so fort. „Es gibt aber auch super viele Vollnerds, die zusätzlich sogar Phoenix einschalten“, berichtet Schipmann. Diesem Teil des Publikums gehe es um unterschiedliche Perspektiven auf Politik – sie wollen möglichst breit und vielstimmig informiert werden. Dennoch sieht sich Schipmann als Gegenentwurf des traditionellen Politikjournalisten: „Vielen geht es um die Ansprechhaltung: Bei Phoenix hast du einfach den Old-School-Parlamentsberichterstatter. Das kann man mögen. Das ist sehr akribisch, reflektiert und kompetent. Aber es ist nicht gerade ein Feuerwerk der Emotionen. Wenn ich Anfang 20 wäre, hätte ich wenig Bock, das zu gucken.“

Divers und kontrovers

Aline Abboud

Sein Co-Host Aline Abboud kommt aus der heute-Redaktion des ZDF, hat beim Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestags volontiert und steht ihrem Kollegen in Sachen spitzzüngiger Klarheit nicht nach und ist für Schipmann eine Idealbesetzung: „Es gibt nicht gerade einen Frauenüberschuss im politischen Journalismus“, beklagt er. Die 1988 in Ost-Berlin geborene Arabistin sei für das Format die „perfekte erste Wahl“ gewesen. Schipmann selbst studierte Germanistik, Musikwissenschaften und Philosophie und drängte schon früh mit seinem „Alles-und-Nichts-Profil“ in den Journalismus: Mit Anfang 20 machte er bei „Kölncampus“ Hochschulradio und belegte als studentischer Mitarbeiter Schichten bei den Vox-Nachrichten. Danach betreute er mehrere Jahre Livesendungen beim Radiokanal WDR5. 2016 kam Schipmann dann zu Hyperbole und ist mittlerweile dienstältester Mitarbeiter der im Jahr 2015 gegründeten Firma.

Wie bei allen „Funk“-Formaten ist auch „Die da oben!“ nicht ausschließlich auf einer Social-Media-Plattform zuhause: Sämtliche Videos werden auch auf der Website von „Funk“ unabhängig von den großen Portalen veröffentlicht. Facebook und YouTube halten sich jedoch die Waage, mit unterschiedlichen Reichweitenfaktoren: Bei YouTube erscheinen die regulären Videos in voller Länge und ohne Untertitel, die für gewöhnlich zwischen zwei und neun Minuten variiert. Bei Facebook folgt die Redaktion einer anderen Plattformspezifik und untertitelt alle Inhalte, da Nutzer*innen hier Videos überwiegend mobil ohne Ton rezipieren. Auch werden bei Facebook zusätzlich kurze Video-Auszüge aus verschiedenen Debatten gepostet, die als Statements einzelner Politiker*innen entweder besonders kontrovers oder clever erscheinen. Bei Facebook seien die Videos, obwohl die Abonnentenzahlen im Direktvergleich hinter YouTube zurückfallen, reichweitenstärker, sagt Schipmann. Bei Googles Videoportal aber gäbe es die „krasseste Retention Rate“, die loyalsten Nutzer*innen. Und dennoch hadert die Redaktion bei YouTube mit der starken Gesichtsfixierung der Plattform: nicht die Themen, sondern die Creators stünden im Vordergrund, sperrige Inhalte hätten es daher schwer. So zeigen Abboud und Schipmann hier häufiger Gesicht und nähern sich damit Formaten wie „Deutschland3000“ mit Eva Schulz an, die mit der starken Persönlichkeit ihrer Presenter beim Publikum zu punkten versuchen.

Auch „Die da oben!“ reiht sich ein in die Riege stark personalisierter Formate bei „Funk“, die in der Sphäre des Social Web Reichweite bringen sollen: „Worauf wir Wert legen, wenn wir mit Produzenten sprechen, ist, dass es ein schlüssiges Reichweiten- und Distributionskonzept geben muss“, sagt „Funk“-Vize-Geschäftsführerin Sophie Burkhardt: „Für uns ist es wichtig, dass man nicht nur von der redaktionellen Idee ausgeht, die man selber gut findet und sich darauf verlässt, dass das journalistische Projekt sein Publikum finden wird. In dem Umfeld, in dem wir uns bewegen, muss Distribution und Reichweite in einem klaren Konzept von Anfang mitgedacht werden.“ So ist es schon verdienstvoll, wenn ein auf Interaktion mit jungen Politikinteressierten angelegter Kanal wie „Die da oben!“ mit dem Charisma von Abgeordneten für eine kritische Auseinandersetzung mit parlamentarischer Debattenkultur wirbt, die andernfalls an junge Leute nur schwer zu vermitteln ist.

„Telegram nicht den rechten Influencern überlassen“

Zwischendurch wird gern weiterempfohlen: Berichte von „Süddeutscher Zeitung“, „Zeit Online“, „Tagesschau.de“, „Spiegel Online“, „taz“, Deutschlandfunk zu den großen Themen dieser Zeit. Die Lektüretipps gibt es täglich über den Messenger Telegram, nicht etwa nur weil Whatsapp es Redaktionen nicht mehr erlaubt, große Verteiler zu bedienen. „Telegram kann mehr seriöse Politikberichterstattung vertragen“, meint Jan Schipmann. „Wir wollen rechten Influencern dort nicht das Feld überlassen.“ Innerhalb von einer Woche habe man den (RSS-)Kanal der Tagesschau bei Telegram überholt. Zugegeben fallen die Reichweiten der Nachrichtenanbieter hier deutlich bescheidener aus als anderswo – „Die da oben!“ hat knapp 860 Abonnenten, „tagesschau.de“ liegt aktuell bei ca. 110). Der kleinere Kreis dient allerdings als Entwicklungsfeld für einen intensiveren und exklusiveren Kontakt zu besonders loyalen Nutzer*innen, die aktiv Bedarf anmelden an weiterführenden Hintergrundinformationen, die über die Inhalte der Videos speziell auf dem YouTube-Channel hinausgehen.

Der Austausch mit dem Publikum ist meist konstruktiv, es gibt aber auch viel Geplänkel. Schon zu Zeiten von „Informr“ habe er regelmäßig Zuschriften erhalten, berichtet Schipmann, in der Regel über Direktnachrichten via Facebook Messenger und mittels Kommentaren bei YouTube, Facebook, Instagram. E-Mails sind dagegen nicht relevant. Direktnachrichten erreichen die Redaktionen meist dann, wenn Nutzer*innen Nachfragen stellen, es genau wissen wollen. Aber auch Dankbarkeit ist ein Thema und Ansporn: „Kids schreiben uns: ‚Geiles Video, das habe ich im Unterricht benutzt.‘“, freut sich Schipmann. „So erfüllen wir unseren klassischen Bildungsauftrag.“ Junge Leute bedankten sich gerne für Beiträge, von denen sie sich gut informiert fühlen, die sie inhaltlich weiterbringen – ein Labsal für die redaktionelle Seele. Hin und wieder darf das Publikum auch abstimmen: über das nächste Best-Of-Video für die Sommerpause zum Beispiel.

Dabei soll penibel auf eine ausgeglichene Auswahl aller im Parlament vertretenen Fraktionen geachtet werden. Der Anspruch ist im Detail schwer durchzuhalten. Schnell kann sich eine Redaktion dabei in der Auszählung von Redezeiten der Parteien verheddern. So genau kann sie es damit auch nicht halten: Es werde sich aber darum bemüht, Ausgeglichenheit herzustellen. „Bei jeder Debatte, die wir behandeln, sollen die Positionen der verschiedenen Fraktionen deutlich werden. Dazu muss aus jeder Fraktion mindestens ein Politiker vorkommen. Wenn aber jemand ein Feuerwerk in der Debatte abgeliefert hat, dann kann es schon sein, dass diese Person mit etwas größerem Redeanteil dabei ist. Wir würden aber niemals drei Videos hintereinander veröffentlichen mit Auftritten ein und desselben Politikers. Darauf achten wir auch video-übergreifend“, sagt Schipmann.

Vollständig und ausgeglichen, so gut es geht

Mit Hass und Hetze wird die Redaktion nur selten attackiert, allenfalls muss sie auf Diskurshygiene achten, wenn die politischen Akteure und Themen in ihren Videos Ziel solcher Angriffe werden und der Ton einzelner Nutzer*innen entgleist. Wiederkehrend sind auch Rechtfertigungen nötig, weshalb auch Redebeiträge von Abgeordneten der AfD aufgegriffen werden. Schipmann stellt fest: „Wir sind natürlich als öffentlich-rechtliches Format in der Position, jede Partei abzubilden. Wir wollen Demokratie und Demokratieverständnis fördern. Und solange die AfD nicht vom Verfassungsschutz verboten wird, wird sie auch bei uns vorkommen. Das ist unser Programmauftrag. Natürlich gibt es auch einen Ermessensspielraum, etwas nicht abzubilden wie zum Beispiel, wenn jemand volksverhetzende Dinge im Parlament sagt. Es bleibt aber ein Spagat; denn viele meinen, wir sollten der AfD keine Bühne geben. Journalismus ist aber kein Wünsch-dir-was, sondern wir haben es mit Parlamenten in der Vielfalt ihrer Fraktionen zu tun. Wer da den Blick einschränken würde auf einige ausgewählte Fraktionen, würde meiner Ansicht nach damit nur Politikverdrossenheit fördern.“

Wenn einzelne Videos zu bestimmten Reizthemen und -figuren die „Bubble“ der jungen Zielgruppe durchstößen und die Beiträge auch in geschlossenen „Wutbürger-Gruppen“ geteilt würden, zeigt sich für Schipmann indes die Kehrseite der Sharing-Culture. Dann schlage der Pegel schnell einmal aus, und die Kritik treffe auch die Redaktion: „Wir wurden schon als Altright bezeichnet, aber auch als Antifa-Kanal. Mein Favorit bis heute ist der Vorwurf, wir seien ein schwarz-grüner Propagandakanal.“ Bei Kritik aus gegensätzlichen Lagern fühlt sich Schipmann letztlich in seinem Anliegen bestätigt, seinen Informationsauftrag überparteilich wahrzunehmen.

Gravierender scheint sich die demographische Entwicklung auszuwirken: Der Instagram-Kanal von „Die da oben!“ wächst, aber langsam. Die Plattform für visuelle Inhalte erfährt erst nach und nach ein politisches Frühlingserwachen, vor allem durch junge bzw. jugendliche soziale Bewegungen wie Fridays for Future. Über den „Funk“-Hub auf Instagram erreichen „Die da oben!“-Videos steigende Abrufzahlen. Dennoch ist das (Anspruchs-)Potenzial noch nicht ausgeschöpft: „Instagram ist für uns enorm wichtig. Auf Instagram sind deutlich jüngere Menschen unterwegs, und das Diskussionsklima ist häufig konstruktiver und angenehmer als bei Facebook“, sagt Jan Schipmann. „Außerdem gibt es sehr viele verschiedene Content-Typen, die uns eine sehr abwechslungsreiche Berichterstattung erlaubt. Pic Post, Feed-Video, IGTV, Story, Reel, Live – wir können so für jedes Thema die für uns passende Herangehensweise wählen.“ So wichtig Facebook noch in der redaktionellen Distributionsstrategie von „Die da oben!“ ist, wird die Nutzerschaft auf der Plattform im Schnitt immer älter. Instagram wird deshalb immer stärker zur Lebensader für junge Nachrichtenformate. Die Altersverschiebung innerhalb des Publikums hat bereits einem anderen, zudem preisgekrönten „Funk“-Format den Garaus gemacht: „Jäger und Sammler“ wurde Ende 2019 eingestellt. Andere hochgelobte Formate wie „Softie“ (bis 2019) oder „Karakaya Talk“ (bis 2020) wurden nach kurzer Zeit ebenfalls überraschend beendet, weil sich Relevanzkriterien in dem volatilen Segment der jungen Nachrichten- und Unterhaltungsangebote einem steten Aushandlungsprozess befinden.

Stillstand ist keine Option

So wird sich auch „Die da oben!“ weiterentwickeln müssen, in der Art und Weise, wie der Blick in und auf die Parlamente geworfen wird, wie der Umgang mit politischer Debatte vermittelt wird, und wie Themen ausgewählt werden: Es gelte, „sich von verschwurbelter Sprache abzusetzen, die aus meiner Sicht immer noch das größte Hindernis darstellt, um Politik an eine breite Masse zu kommunizieren, weil viele Menschen gar nicht verstehen, worum es bei den politischen Themen geht“, sagt Jan Schipmann. Er wolle noch mehr junge Menschen inspirieren, sich für Politik zu interessieren und sich zu engagieren. Humor ist dabei ganz offensichtlich – auch für die so wichtige unaufdringliche Kurzweiligkeit – ein wichtiger Faktor.

Er halte weiterhin die Augen auf: Was fehlt im Politikjournalismus? Wo gibt es Leerstellen, wo werden junge Leute gelangweilt oder vergrault? Inspirationen müssen fließen, zugleich müssen die Abhängigkeiten von Plattformalgorithmen wachsam begleitet werden, die darüber entscheiden, wie die eigenen Inhalte ausgespielt werden. Schipmann empfindet den Kreativdruck als sportliche Herausforderung: Wenn man sich von den Zwängen nicht freimachen kann, muss man ihnen umgehen.

Ein Risiko, dass das Content-Netzwerk für „Die da oben!“ den Stecker zieht, sieht Jan Schipmann aktuell nicht. Gleichwohl beobachtet er aufmerksam die Produktentwicklung der Plattformkonzerne, die Releases neuer Features und Trends in der Mediennutzung. Was weiterhin zähle, seien Inhalte, gibt Schipmann programmatisch aus. Manche Formate seien irgendwann einfach auserzählt. Dass dann ein Schlussstrich gezogen werde, sei nachvollziehbar. Bei „Funk“ würden solche Entscheidungen in der Regel auch transparent kommuniziert. Als Produktionsfirma stehe es einem stets frei, eine neue Idee vorzustellen. Schließlich solle man, mein Schipmann, in diesem Geschäft permanent daran arbeiten, sich neu zu erfinden: „Wenn ich jahrelang immer das gleiche machen würde, wäre ich echt gelangweilt. Innerhalb unseres medialen Feldes gibt es so viele Art und Weisen, Geschichten zu erzählen und Informationen zu vermitteln, um politische Bildung zu betreiben.“

Mehr Trendreport vom VOCER Millennial Lab:

The Doe – Honest. Verified. Anonymous.

„Civil discourse is broken. We’re here to change that“ – Mit der Aussage, dass der gesellschaftliche Diskurs kaputt sei und sie das ändern möchten, hat der Gründer von „The Doe“ den Grundstein gelegt. Milan Kordestani hat sein Projekt mit zwei unterschiedlichen Zielen gestartet: Zum einen möchte er die Denkweise der Menschen herausfordern und zum anderen gibt es jeden Monat Geschichten aus verifizierten, anonymen Quellen – von Menschen, die eine Geschichte zu erzählen haben.

Im Rahmen seines Trendreportings betreibt das VOCER Millennial Lab ein kontinuierliches weltweites Monitoring von innovativen Nachrichtenangeboten für junge Zielgruppen. Die Reihe Millennial Medium des Monats stellt Best Practice-Beispiele aus dem In- und Ausland vor.

Der Artikel „We Had 48 Hours: How Teachers Transformed the Education System Over a Weekend“, der den Grundgedanken von „The Doe“ besonders anschaulich erklärt, handelt von einer Lehrerin, die nach Verkündung des Lockdowns 48 Stunden Zeit hatte, um ein digitales Pendant zum bisherigen Unterricht zu entwickeln – am Freitag kam die Ansage, die Lehrer*innen sollen den Inhalt der jeweiligen Schulstunden für den digitalen Unterricht vorbereiten und am Montag wurde bereits online unterrichtet. Und während sie zu Beginn tatsächlich die Konzepte, die sie für den Schultag vorbereitet hatte, lediglich auf den Online-Unterricht übertrug, merkte sie schnell, dass das nicht funktioniert. Sie schreibt, von außen würde es vielleicht so aussehen, als hätten sie nur ein Problem zu lösen gehabt – wie man online unterrichtet.

Dabei ging es vielmehr darum, wie man auf Schüler*innen eingeht, die beispielsweise spezielle pädagogische Betreuung im Unterricht benötigen. Oder wie man mit Schüler*innen umgeht, die psychische Probleme haben. Umgekehrt ging es auch darum, wie Lehrer*innen mit gesundheitlichen Problemen oder Kindern mit der Situation umgehen können.

Das Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, auch die zu Wort kommen zu lassen, die zwar keine eigene Plattform haben, jedoch relevante Einblicke gewähren können, um Situationen besser zu verstehen.

In dem Artikel „I’m a Ballerina and I Use Alcohol as a Coping Mechanism“ erzählt etwa eine Ballerina von ihrem Traumberuf, allerdings auch von der Besessenheit davon, immer besser zu werden und ihrem daraus resultierenden Alkoholproblem, das sie nach vielen Jahren des Tanzens als Erwachsene entwickelte. Sie bricht mit dem von außen vermeintlich perfektem Bild der Ballerina. Ebenso spricht in „What It Was Like Being a Stripper“ eine ehemalige Stripperin von den Anfängen ihrer Karriere und davon, wie sie am Ende einer neunstündigen Schicht ohne nennenswertes Einkommen zuhause ankommt.

Die Idee für „The Doe“ entstand aus einem persönlichen Bedürfnis heraus

Es sind solche Geschichten, die Blicke hinter die Kulissen gewähren und persönliche, echte Meinungen enthalten. „Wir leben in einer interessanten Zeit. Denn abgesehen davon, dass es eine Vielzahl an Medien gibt, herrscht gleichzeitig wenig Vertrauen in die Medien. Die Menschen sind müde davon, immer die gleichen Geschichten zu hören und haben gleichzeitig das Gefühl, dass ihre eigene Stimme nicht gehört wird.“, erklärt Gründer Milan Kordestani.

The Doe - Logo

Name: The Doe
Sitz: kein Office, die Redaktion arbeitet hauptsächlich von Colorado und Kalifornien aus
Website: thedoe.com
Gründung: Launch war am 1. Juni 2020
Gründer: Milan Kordestani
Teamgröße: 3
Follower/Abrufe:
Instagram > 195k
Twitter > 50k
Facebook > 1,7k

(Stand: August 2020)

Der 19-Jährige Kordestani hat bereits als Teenager für die „Huffington Post“ geschrieben. Eine Leidenschaft für das Schreiben hatte er laut eigener Aussage schon immer, doch erst als er etwas veröffentlichen konnte, hatte er das Gefühl, dass er etwas zu sagen und dies wiederum auch Gewicht habe. Als die Redaktion geschlossen wurde, verlor er nicht nur eine für ihn als Autor relevante Plattform, sondern hat ohnehin eine Zeitlang nicht geschrieben. Nach dieser Pause verfasste er nach eigenen Angaben eher Erzählungen und Kommentare anstatt journalistischer Artikel. Viele von ihnen waren sehr persönlich, andere wiederum provozierend – aus beiden Gründen wollte er sie anonym veröffentlichen. „Als ich kein Medium finden konnte, wo das möglich war, war ich zwar enttäuscht, aber auch begeistert von der Möglichkeit, das selbst aufzubauen.“, sagt Milan Kordestani.

Es kann von Vorteil sein kann, anonym zu veröffentlichen

Wie realistisch ist es, vollkommen unvoreingenommen eine Geschichte zu hören? Durch die eigene Sozialisation stecken wir Menschen in Schubladen oder verurteilen sie. Milan Kordestani stellt die Fragen, die man sich selbst wohl bei einer neuen Begegnung stellen würde – sei es bewusst oder unbewusst: „Ist unser Gegenüber liberal oder konservativ? Arm oder wohlhabend? Zählt die Meinung gleich viel, auch wenn sie oder er nicht aufs College gegangen sind? Ist es wichtig, ob das College nicht zur Elite gehört?“ Für ihn entsteht durch diese Fragen ein Bruch im gesellschaftlichen Diskurs. Durch Social Media wurde es zwar möglich, weltweit mit Menschen zu kommunizieren, dabei ist man allerdings niemals losgelöst von den eigenen Vorurteilen. Wir sehen Menschen und bewerten sie – bei „The Doe“ wird unter Pseudonym geschrieben und nicht kenntlich gemacht, wie alt die schreibende Person zum Beispiel ist oder woher sie kommt.

Die Idee des anonymen Veröffentlichens mag kein grundlegend neuer Ansatz sein, entspricht historisch gesehen jedoch nicht der Motivation von vielen amerikanischen Unternehmen, vor allem nicht der von Medienunternehmen. Für Milan Kordestani setzen die meisten Fernsehsender, Magazine und Websites hauptsächlich auf Ruhm, Gesichter und Persönlichkeiten, um ihre Medien zu pushen. Deshalb wollte er mit „The Doe“ diese Lücke schließen und hat die gegenteilige Haltung angenommen. Der offizielle Launch der Website war am 1. Juni 2020, das Angebot erreicht laut eigener Angabe (Stand: Juli 2020) aktuell etwa 16.000 Menschen, die Leser*innen gehören hauptsächlich zu den Millennials und sind zu 70 Prozent zwischen 18 und 34 Jahre alt.

Trotz Anonymität gibt es immer einen gemeinsamen Nenner

Da alle Geschichten anonym veröffentlicht werden, werden sie durch einen monatlichen Themenfokus auf einen gemeinsamen Nenner gebracht beziehungsweise eingeordnet. Es gibt unterschiedliche Themenbereiche wie Umwelt, Mental Health und Liebe, die als eine Art Grundgerüst für die Plattform fungieren. Gleichzeitig gibt es jeden Monat ein Überthema, das den Rahmen für die Auswahl der Inhalte schafft. Für die nächsten Monate sind beispielsweise Bildung, Gerechtigkeit, Politik, Popkultur oder Wissenschaft und Tech geplant. Insgesamt garantiert die Redaktion pro Monat elf Geschichten, es werden allerdings eher zwischen 30 und 40 Stück werden, meint Milan Kordestani. Zu Beginn musste die Redaktion auf potenzielle Autor*innen zugehen und sie gezielt suchen, das hat sich inzwischen geändert: Pro Monat erhält die Redaktion etwa 50 oder 60 Pitches.

In Zeiten von Fake News und Self Publishing hat es sich die Redaktion nicht nur zur Aufgabe gemacht, Geschichten zu veröffentlichen, sondern vor allem zu verifizieren. Nachdem sie eine gute Story erhalten haben und diese teilen möchten, beginnen sie zu recherchieren. Sie sprechen nicht nur persönlich mit der Person, sondern lassen sich Gegebenheiten beispielsweise durch Dokumente bestätigen und recherchieren auch zur Person selbst. Ist die Geschichte geprüft, beginnen die Redakteur*innen mit der schreibenden Person am Text zu arbeiten oder interviewen sie, um im klassischen Fragen-Antwort-Stil zu erzählen.

Andere Geschichten werden genau umgekehrt produziert. Zunächst ist das die Idee und es wird nach Menschen gesucht, die darüber sprechen möchten. Auch hier wird alles überprüft und verifiziert.

Anonyme Einblicke in die redaktionelle Arbeit gewährt die Redaktion mit einem Instagram-Post, in dem Autor*innen oder Geschichtenerzähler*innen als Testimonials ihre Erfahrung mit der Zusammenarbeit mit „The Doe“ teilen. So schreibt „Countrycitygirl“, „The Doe“ wäre zweifelsohne die beste Publikation, mit der man arbeiten könne. „Logophile“ sagt, dass es großartig sei, für The Doe zu schreiben. Er oder sie liebt die Möglichkeit, so offen über persönliche und kontroverse Erfahrungen zu schreiben, ohne Angst vor starken Gegenreaktionen haben zu müssen.

Obwohl sich alle Schreibenden und Erzählenden ohnehin schon bewusst mit dem Thema und natürlich ihrer persönlichen Geschichte auseinandersetzen, sollen sie es auch immer möglichst kontrovers und nochmal aus mehreren Blickwinkeln betrachten. Dadurch hat sich eine sehr erfolgreiche Publikationsstrategie ergeben: Das Veröffentlichen von zwei Narrativen mit komplett gegensätzlichen Meinungen zum selben Thema. Zusätzlich dazu werden die Leser*innen nach ihrer Meinung gefragt und zur Diskussion gebeten.

„The Doe“ setzt auf zwei unterschiedliche Möglichkeiten der Monetarisierung

Für den Gründer war von Anfang an klar, dass auf „The Doe“ keine Werbung geschalten wird, da es nicht nur den Lesefluss unterbrechen würde, sondern auch nicht sehr authentisch wäre. Stattdessen wird auf zwei Möglichkeiten der Monetarisierung gesetzt:

  1. Zum einen das „Pay what you want“-Abonnement. Der Gedanke dahinter war, dass jede*r durch unterschiedliche sozioökonomische Hintergründe beeinflusst wird und dennoch alle den Zugang zu den Stories haben sollen. Deshalb bezahlen die Leser*innen so viel wie sie können. Das kann ein Dollar oder können hundert Dollar im Monat sein, alle können nach ihren eigenen Möglichkeiten etwas dazugeben.
  2. Zum anderen gibt es Merchandise, was für Medien eine eher unübliche Einnahmequelle ist. „Wir haben eine Modekollektion entworfen, die unsere Mission unterstützt. Jedes Kleidungsstück ist an eines unserer monatlichen Themen geknüpft. Man hat damit also nicht nur ein modernes Piece in guter Qualität, sondern erzählt auch eine Geschichte und kann dadurch eine Konversation starten.“, erklärt der Kordestani.

„The Doe“ verdienst allerdings nicht nur Geld, sondern spendet seit Kurzem auch. So werden jeden Monat entsprechend des Themas vier Organisationen ausgesucht, die das Projekt finanziell unterstützt. Die Leser*innen können darüber abstimmen, wem wieviel Geld gespendet wird. Die meist gewählte Organisation erhält 800 US-Dollar, die anderen gestaffelt 600, 400 und 200 US-Dollar.

Für Milan Kordestani ist Innovation das Wichtigste

Die Medienwelt hat sich verändert. Unter dem von der Digitalisierung geprägten Umstieg von gedruckten Zeitungen und traditionellen Medien haben viele gelitten. Die großen Publikationen waren gezwungen, Paywalls zu errichten, um Geld zu verdienen. Andere wiederum mussten schließen. Für den Gründer ist die Lösung simpel: Jede*r ist gezwungen, innovativ zu bleiben, um sich zu bestehen.

Sein Ziel mit „The Doe“ ist es, dass die Stories länger als 20 Sekunden gesehen beziehungsweise gelesen werden und im Gedächtnis bleiben. Die Leute sollen miteinander sprechen und Gemeinsamkeiten finden, es soll ein generationsübergreifender Dialog geschaffen werden. „The Doe“ entwickelt sich ständig weiter und möchte die Grenzen des klassischen Journalismus überschreiten. „Alles, was wir als Unternehmen tun, ist daran gekoppelt, den gesellschaftlichen Diskurs weiterzuentwickeln.“, sagt Milan Kordestani.

„The Doe“ traut sich, anders zu sein und anders zu veröffentlichen

Obwohl das junge Medium noch nicht lange online ist, verzeichnet es ein enormes Wachstum, was beim Blick auf die Follower in Social-Media-Netzwerken wie Instagram deutlich wird. Innerhalb weniger Wochen ist die Zahl um ein Dreifaches gewachsen und auf der Homepage selbst wurden immer mehr Artikel veröffentlicht.

Zwar sind Meinungen und Anonymität generell auf den ersten Blick nicht immer fundiert oder glaubwürdig, dennoch spielt beides in einer gesellschaftlichen Diskussion eine wichtige Rolle. Und „The Doe“ schafft eine Symbiose aus beidem. Sie veröffentlichen gut recherchierte Artikel zu Themen, zu denen wohl alle Leser*innen etwas zu sagen haben – allerdings werden genau diese Denkweisen durch die persönlichen Erfahrungen und Meinungen der Autor*innen hinterfragt und teilweise auch widerlegt. Wer weiß schon wirklich, wie es hinter den Kulissen der Schule aussah, wie schnell alles gehen musste oder worauf man beim Online-Unterricht achten muss? Erst durch den Artikel, in dem die 48 Stunden und die Anfänge des digitalen Schulalltags geschildert wurden, bekommt man ein Gefühl dafür.

Anmerkung: Wir hätten dieses Porträt gerne in ausgewählten Aspekten vertieft. Leider war Milan Kordestani nicht dazu bereit, weitergehende Fragen zu beantworten.

Mehr Trendreport vom VOCER Millennial Lab:

Inshorts – „News in 60 words“

Es ist eine dieser vermeintlich typischen Start-up-Geschichten: Drei Kommilitonen einer technischen Elite-Universität ärgern sich über das unübersichtliche Tohuwabohu der digitalen Nachrichtenangebote in ihrem Land und entwickeln eine App.

Im Rahmen seines Trendreportings betreibt das VOCER Millennial Lab ein kontinuierliches weltweites Monitoring von innovativen Nachrichtenangeboten für junge Zielgruppen. Die Reihe Millennial Medium des Monats stellt Best Practice-Beispiele aus dem In- und Ausland vor.

Entscheidendes Alleinstellungsmerkmal: Artikel unterschiedlicher Anbieter werden in aller Kürze in maximal 60 Worten zusammenfasst und mit der originalen Langversion verlinkt.

In fünf Finanzierungsrunden sammeln sie über 24 Millionen US-Dollar an Investitionsmitteln ein. Nach mittlerweile sieben Jahren ist „Inshorts“ eine der meistgenutzten Nachrichten-Apps Indiens und expandiert nach Europa. Zudem bricht der erst Ende 2019 gestartete Ableger „Public“ als Stand-alone-App mit Fokus auf nutzergenerierte hyperlokale Videoinhalte in Indiens Mittelstädten (100.000 bis 150.000 Einwohner) alle Rekorde.

Auf den führenden Social-Media-Plattformen ist der manuell kuratierte Newsaggregator zwar präsent, Dreh- und Angelpunkt von „Inshorts“ sind aber die App und die eigene Website: Aktuell gibt es 16 Rubriken – von nationaler Berichterstattung, Wirtschaft, Politik, Sport und Technologie über Startups, Entertainment und Bildung bis zu Internationalem, Auto, Wissenschaft, Reisen, Mode und Themen jenseits des Mainstreams.

Für seine Kuratierung zur nationalen Berichterstattung über die Corona-Pandemie wurde „Inshorts“ von Google als eine von drei Apps empfohlen, um mit Blick auf Indien auf dem neuesten Stand zu bleiben.

Die wesentlichen Merkmale der App:

  • Die kurzen Zusammenfassungen externer Nachrichteninhalte von aktuell über 70 Anbietern werden von einem 80-köpfigen Redaktionsteam manuell erstellt.
  • Kuratiert werden nur klassische Nachrichten, keine Meinungsbeiträge, zusammengestellt als sogenannte Story-Cards, die einen schnellen Überblick über die Themenlage geben.
  • Der Aggregator entwirft sich offensiv politisch unabhängig als Gegenentwurf zu einigen publizistischen Flaggschiffen des Landes, die mit klaren Festlegungen auf eine politische Agenda ihr Stammpublikum zu binden versuchen.
  • Die Bedienung der App folgt den bekannten Navigationsmustern von Social-Media-Feeds per Wisch nach links (zurück), rechts (mehr lesen), unten (nächste Zusammenfassung) und oben (Feed aktualisieren).
  • Die App ist ohne Umstände sofort ohne Anmeldung nutzbar.
  • Werbung ist unaufdringlich in den Feed integriert und kann weitergewischt werden wie die Zusammenfassungen der Nachrichtenbeiträge.

Mitbegründer und Chefstratege Deepit Purkayastha formuliert den Anspruch an die App damit, dass Nutzer*innen in zehn Minuten ihrer täglichen Medienzeit übersichtlich und schnell eine Auswahl an Nachrichten erhalten sollen, die sich aus ihren Themeninteressen und der manuellen Kuratierung der Redaktion ergeben: „Wer will schon jeden Tag aufs Neue aufwändig auswählen, wie man sich informieren möchte?“, meint der Mittzwanziger. Neben Nutzungskomfort und möglichst niedrigschwelliger Einstiegshürden steht der Anspruch nach verlässlicher Quellenprüfung: Laut Purkayastha beschäftigt sich ein Großteil des Personals mit der Verifikation der kuratierten Artikel mittels vier bis fünf weiterer Quellen, bevor eine Zusammenfassung veröffentlicht wird.

Name: Inshorts Medialabs Private limited
Sitz: 4th Floor, Plot No. 1, Film City (Sec-16A), Noida, Uttar Pradesh-201301, Indien
Website: inshorts.com
Gründung: 2013
Gründer: Azhar Iqubal (CEO), Deepit Purkayastha (Chief Strategy Officer), Anunay Pandey (Director)
Teamgröße: ca. 80
Follower/Abrufe:
Facebook > 1 Mio.
Instagram > 150k
Twitter > 70k
LinkedIn >52k
Website: 5 Mio. monthly active users
App-Downloads > 26 Mio. (Apple AppStore und Google Playstore)

(Stand: Mai 2020)

Kooperation als Schlüssel zum Erfolg

Der anhaltende Erfolg des mittlerweile als Grown-up operierenden Medienunternehmens fußt auch auf der funktionierenden Beziehung zu einer wachsenden Zahl an Medienpartnern, die einen Vorteil darin sehen, dass ihre Nachrichteninhalte in der populären App geteasert werden; denn Nutzer*innen werden – sofern sie mehr erfahren möchten – stets zum Originalbeitrag auf die Website des jeweiligen Medienpartners gelenkt. Die Mehrzahl der Kooperationspartner berechnet „Inshorts“, ähnlich eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger, aber keine Gebühren. Nur einige der größeren Medienhäuser verlangen eine Minimum-Garantie an Weiterleitungen, die bislang aber nach Redaktionsangaben nicht unterschritten wurde.

Das Durchschnittsalter der indischen Bevölkerung liegt bei etwa 28 Jahren (zum Vergleich: die deutsche Bevölkerung ist im Schnitt Mitte 40). Der Markt für Millennial-Medien ist entsprechend groß. „Inshorts“ profitiert dabei von dem Bedürfnis nach einer kompakt aufbereitender Nachrichtenauswahl der besser situierten Teile der jungen Bevölkerung, die sich in immer stärkerem Maße unter beruflichem Leistungsdruck wähnt und zunehmend mobil lebt.

Auf die Idee zu einer simplen und direkten Nachrichten-App, die zu allen Interessensbereichen etwas zu bieten hat, dennoch klar strukturiert bleibt und bei Bedarf effizient Optionen zur Vertiefung bietet, kamen die drei Gründer Azhar Iqubal, Deepit Purkayastha und Anunay Pandey im Jahr 2013 – damals alle Anfang 20 – durch Wikipedia. Sie sahen in der Nachrichtenverdrossenheit ihrer Mitstudierenden an den Top-Unis des Landes eine Chance: Gelesen wurde in ihrer Alterskohorte viel, schließlich ging und geht es nach dem Schulabschluss um einen soliden Ausbildungsweg und große Karrieren. Für Nachrichten blieb für viele Altersgenossen keine Zeit. Die etablierten Medienorganisationen zeigten sich weitgehend unangepasst an die veränderte Mediennutzung der immer jünger werdenden Bevölkerung. Aktuelle Informationen zu kuratieren, und zwar nicht mit (unausgereiften) Automatisierungstechniken, sondern von (jungen) Menschen, erschien reizvoll. Sie legten im März 2013 noch während ihrer Studienzeit am Indian Institute of Technology (IIT) eine Facebook-Fanpage mit dem Namen „News in shorts“ an und sammelten innerhalb weniger Monate tausende Likes – es sollte zügig weitergehen.

Seine Sporen verdiente sich das Trio direkt nach dem Studienabschluss im Inkubator TLABS der „Times Internet“, ihr erster Investor. Sie hätten viel gelernt in dieser Zeit unter dem Dach der großen Zeitungsgruppe Bennett Coleman and Company Limited (BCCL), auch bekannt als „The Times Group“: von den Strukturen, Strategien, aber auch Nöten des Nachrichtengeschäfts in Zeiten tiefgreifenden medialen Wandels. Heute arbeitet ein 80-köpfiges Team für „Inshorts“, technische Prozesse kommen unterstützend zum Einsatz, sind aber prinzipiell zweitrangig. Insofern mutet die Redaktionskultur des jungen Medienhauses beinah konventionell an: Der Editor entscheidet, nicht der Computer, auch bei personalisierten Notifications, die für „Inshorts“ ein wichtiges Element der Nutzerbindung sind. Hier entscheiden Journalist*innen, für welche Zusammenfassung ein thematischer oder regionaler Hinweis an die Nutzer*innen Sinn macht.

Jung, mobil, unter Druck

Die Zielgruppe ist mit 20- bis 40-Jährigen auf Millennials und ältere Angehörige der Generation Z Millennials fokussiert. Nach Redaktionsangaben zeigt jedoch die Erfahrung, dass auch weitaus ältere Nutzer im Alter zwischen 40 und 60 Jahren App und Website in steigendem Maße nutzen. Für Jugendliche hingegen sei das Angebot weniger attraktiv. Deepit Purkayastha glaubt, dass Teenager mehr an kurzen Videoinhalten interessiert sind, weniger an Textbeiträgen. Genau weiß er es allerdings nicht: Schließlich positioniert sich das  Unternehmen demonstrativ gegen die Datensammelwut der Medienindustrie und gegen aufdringliche Abo-Angebote. „Wir bitten unsere Nutzer*innen nicht um persönliche Daten, die sie identifizieren könnten. Wir registrieren aber ihre Nutzungsmuster, ohne Schlüsse auf die Person ziehen zu können“, sagt der Chief Strategy Officer. Der einzige Hinweis auf die nutzende Person sei die Identifikationsnummer des jeweiligen Endgerätes. Unter jeder Zusammenfassung eines Beitrags gibt es in der App die Möglichkeit, Themeninteressen über eine Relevanzampel anzugeben: „All Stories“, „Major Stories“ oder „No Stories“. Hier seien die Nutzer*innen vor allem pragmatisch orientiert, sagt Purkayastha: Die meisten Nutzer sortieren aus und nutzen die rote Ausschlussfunktion, statt bestimmte Themeninteressen hervorzuheben. Das Team schließt daraus, dass die Mehrheit der Nutzer*innen genauer zu wissen meint, was sie nicht interessiert, als dass sich über ihre Interessen wirklich im Klaren sind.

„Wir sind ein Newsaggregator und keine Redaktion, die ihre Journalist*innen in alle Himmelsrichtungen aussendet. Deshalb war und ist es so wichtig für uns, die redaktionelle Seele am Leben zu halten“, sagt Deepit Purkayastha. Dadurch wolle man sich von anderen stärker technologiebasierten Mitbewerbern wie Toutiao (ByteDance, China) oder DailyHunt (India) unterscheiden: „Sie interessiert nicht der journalistische Kern ihres Angebotes, sondern sie basieren auf automatisierten Prozessen und sind deshalb anfällig für Fake News“, meint Purkayastha. Tatsächlich investieren die automatisierten Nachrichtenaggregatoren verstärkt darin, die Verbreitung von Falschnachrichten über ihre Plattformen zu unterbinden.

Journalistisches Sendungsbewusstsein als Triebkraft

So bedeutsam journalistische Expertise für die redaktionellen Abläufe von „Inshorts“ sind, brauchte das Unternehmen mehrere Jahre, um eine geradlinige Rekrutierungsstrategie zu entwickeln. Prägten in der Aufbauphase des Start-ups junge, aufstrebende, aber weithin unerfahrene Nachwuchskräfte das Team, das mit einem unklaren Fokus, einem zum Teil fehlenden Commitment und heterogenen persönlichen Ziele seiner Mitglieder haderte, konnten in der ersten längeren Wachstumsphase Journalismus- und weitere Medienstudierende für den weiteren Ausbau der Redaktion gewonnen werden. Mit stärkerer Marktpräsenz sind mittlerweile auch junge, aber bereits erfahrene und von anderen Nachrichtenanbietern abgeworbene Journalist*innen für „Inshorts“ tätig – ein Zeichen, dass der einstmalige Newcomer als etablierter Akteur und Arbeitgeber im journalistischen Feld anerkannt sein dürfte.

Die Redaktionsstruktur gliedert sich in eine übergreifend verantwortliche Group Editor für die beiden Apps „Inshorts“ und „Public“. Ihr untersteht jeweils ein Managing Editor für die beiden Angebote, jeweils assistiert von einem Chief Content Analyst mit Fokus auf Datenauswertungen, um die Technologie- und Produktentwicklung mit redaktioneller Perspektive zu verbinden. In der „Inshorts“-Redaktion gibt es für die verschiedenen Rubriken jeweils eine Ressortleitung, die sogenannten Senior Beat Heads. Etablierte Redakteure (Editors) kuratieren und betreuen die Benachrichtigungen (Notifications) für einzelne Beiträge. Jeder Neuzugang in der Redaktion durchläuft eine Phase als Junior Staff (Sub-editor) und schreibt Zusammenfassungen („Copies“) der kuratierten Artikel. Um hier einen qualitativen Standard zu sichern, wurden Richtlinien erlassen, wie Nachrichtenbeiträge in einem strikt faktischen Format ohne jegliche Meinungstonalität oder stilistischen Kapriolen zusammengefasst werden sollen. In Zukunft soll hier aber auch verstärkt Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen und bei der Vorformulierung helfen.

Die wichtigste Distributionsplattform für das Unternehmen ist die „Inshorts“-App. Beworben wird die Marke aber vor allem über Facebook, wo „Inshorts“ über eine Million Nutzer*innen folgen. Auch Instagram werde hierfür immer wichtiger, sagt Deepit Purkayastha. Geteilt werden Inhalte aus der App hauptsächlich (zu etwa 70 Prozent) per WhatsApp, ein Potenzial, dass Chefstratege Purkayastha nicht ungenutzt lassen möchte: „Millennials wollen ihre Meinungen auf eine Art und Weise teilen, die einen Unterschied macht.“ Deshalb setze die Redaktion nun vermehrt auf die ergänzende Veröffentlichung von Umfragen, Quizzes und interaktive Inhalte. Audience Engagement im Sinne der Nutzerpartizipation sei einer der wichtigsten Entwicklungsbereiche für „Inshorts“. Gezielt entwickelt werden sollen zwei Pfade:

  1. Abweichend von der Regel soll es weiterhin keine ausgreifenden Kommentarbereiche in der App und auf der Website geben, da bei öffentlichen Nutzerkommentaren die Gefahr von Instrumentalisierung für Hassbotschaften, Trolling und andere Formen der Inzivilität bestehe. In Zukunft solle es die Möglichkeit privater Kommentare geben: Im Fokus stehen hier intime Kreise (Familienmitglieder, engste Freunde und Arbeitskolleg*innen) von nicht mehr als zehn bis 15 Personen, deren Meinung persönlich als besonders wichtig geschätzt wird und mit denen Nutzer*innen ihre Haltung und Werte teilen möchten, ohne Angriffe oder moralische Verurteilungen fürchten zu müssen. Dazu soll das Prinzip des geschützten Diskussionserlebens von WhatsApp in die App integriert werden, indem beispielsweise beim Teilen einer Zusammenfassung ähnliche oder zugehörige Beiträge zum Weiterlesen empfohlen werden.
  2. Darüber hinaus sollen vermehrt Influencer aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft pointiert mit Statements in der App erscheinen, um darüber das Publikum weiter zu aktivieren. Dies stehe nicht im Widerspruch zu dem selbst auferlegten Gebot der journalistischen Sachlichkeit und Neutralität: Deepit Purkayastha verspricht sich ein hohes Mobilisierungspotenzial unter den Nutzer*innen davon, Prominente einzuladen, sich mit ihren mehr oder weniger streitbaren Ansichten in der App als Meinungsmacher zu positionieren. Die Herausforderung liege in der Ausgewogenheit der redaktionellen Auswahl. Es sei freilich nicht das Ziel, Statements beispielsweise von nur einer Seite des politischen Spektrums zu bevorzugen.

Insgesamt aber tue sich das Unternehmen schwer damit, neue Features zu integrieren: „Wir sind dahingehend recht konservativ und eher zurückhaltend“, sagt Purkayastha. Er sehe „Inshorts” auch in weiter Zukunft nicht als sogenannte Super-App, die ähnlich wie „WeChat“ eine Vielzahl von Funktionen und Dienstleistungen integriert. „Dafür haben Nachrichtenorganisationen einen vergleichsweise schlechten Stand, weil die Größe der Nutzerbasis für bestimmte Dienstleistungen wie Bankgeschäfte viel weitreichendere Dimensionen hat.“ Deshalb seien Anbieter aus bestimmten Dienstleistungssektoren dahingehend viel besser aufgestellt.

Erlösstrategien und Expansionsprojekte

Erlöse erzielt “Inshorts” durch klassische Werbung, die sich möglichst nahtlos in das redaktionelle Angebot einfügt: verschiedene Formate wie Fact Cards, die wie die Zusammenfassung eines Artikels anmuten, vertikale Vollbild-Videos, kurze sogenannte Bumper-Videos bis hin zu in sich geschlossenen digitalen Magazinen innerhalb der App, die ein Produkt bewerben. Das Werbekonzept folgt dem Appeal von Native Advertising. Hier schöpft „Inshorts“ aus dem Vollen seiner Reichweiten auf dem indischen Medienmarkt. „Nachrichtenprodukte haben an sich kein starkes Wettbewerbsumfeld“, meint Deepit Purkayastha. Dennoch sehe er weiterhin eine der größten Herausforderungen auch für die eigenen Angebote darin, nachwachsende Generationen zur Nachrichtennutzung zu bewegen. Entscheidend dabei seien die Fähigkeiten und Ideen von Redaktionen, Formen der digitalen Kommunikation und Informationsvermittlung innovative weiterzuentwickeln und mit den aktuellen Möglichkeiten digitaler Medientechnologie zu verbinden. Bevorzugte Nachrichtenquellen würden nicht häufig gewechselt. Und die Markenloyalität sei selbst bei Millennials sehr hoch, wenn sie denn erst einmal etabliert sei.

Logo von publicWährend die „Inshorts“-App gerade in Großbritannien Fuß fasst, hat das Unternehmen mit “Public“ eine eigene hyperlokale Social-Media-Plattform für urbane Regionen in Indien gestartet, um die „nächste Hälfte der Bevölkerung, die nach und nach das Internet für sich entdeckt, zu erreichen“, sagt Strategieentwickler Purkayastha. Diese App lässt Nutzer*innen selbst Videos aus ihren lokalen Lebensumgebungen hochladen und wächst deutlich schneller als „Inshorts“ Nachrichtenaggregator. Schon liegen die Nutzerzahlen mehr als doppelt so hoch. „Public“ richtet sich an Lokaljournalist*innen, aber auch an Politiker*innen und reguläre Nutzer*innen. Kuratiert wird hier nicht, es gibt keine Redaktion, alles ist fließend. Um sich vor der Verbreitung von Fake News zu schützen, werden keine anonymen Nutzerkonten für den Upload von Videos zugelassen. Wer etwas veröffentlichen möchte, muss ein Verfahren zur Verifikation durchlaufen. Journalist*innen laden ihren Presseausweis zur Prüfung durch das Unternehmen hoch, Politiker*innen ihre entsprechende ID. Auch muss eine existierende Telefonnummer angegeben werden. Bislang stimmt die Entwicklung optimistisch: Es scheint sich ein weithin selbstregulierendes Netzwerk aus engagierten Nutzer*innen und Journalist*innen zu entwickeln, die per Peer-Review die Spreu vom Weizen trennen – ähnlich wie bei Wikipedia.

Mehr Trendreport vom VOCER Millennial Lab:

Nachrichten ohne Mehrwert? Der Reuters Digital News Report 2020 zeigt, wie schwer es etablierte Nachrichtenanbieter bei jungen Zielgruppen haben

Wie kann ein Nachrichtenangebot für junge Erwachsene erfolgreich sein? Zu dieser Frage operiert seit einigen Jahren eine ganze Phalanx an sogenannten Millennial-Medien quasi am offenen Herzen der Zielgruppe; denn der Preis des Misserfolgs erscheint hoch: Von Buzzfeed über Funk bis ze.tt lancierte die digitale Medienbranche kunterbunte und meinungsstarke Angebote für junge Menschen zwischen 18 und 35 Jahren. Nun verkündeten Fachmedien am 10. Juni das geplante Aus für Bento, das im Jahr 2015 nassforsch wie hoffnungsfroh gestartete Lockangebot des Hamburger Spiegel-Verlags für junge Leute, um sich mit eigenständigem Namen und ohne Dünkel der traditionsreichen Muttermarke der Welt der Nachrichten zu nähern. Bento steht wahrscheinlich nicht am Ende einer schon recht langen Reihe an gescheiterten Millennial-Medien, denn Ablegern wie BYou von Bild oder BNow von Bunte sowie der deutschen Huffington Post kriselt es auch stark bei Buzzfeed und Vice, den einstmals verrufenen wie bewunderten Enfant Terribles des Nachrichtensektors.

Das Logo des VOCER Millennial Labs

Beim Trendreporting des VOCER Millennial Labs recherchieren und analysieren wir den Markt der Medienangebote, die sich an Millennials richten, fassen relevante Studien zusammen und geben internationale Einblicke in den Journalismus für neue Zielgruppen. In diesem Beitrag beleuchten wir die relevanten Ergebnisse des Reuters Digital News Report 2020.

Die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers kommt in einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Marktstudie zum Konsumverhalten von 18- bis 24-Jährigen über die „Generation Z“ zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit junger Leute Gesundheits- oder Fitness-Apps auf ihren Smartphones installiert haben und nachhaltig orientiert sind, wenn sie es sich leisten können. Eine weitere Erkenntnis: Was im Medienbereich nicht on-demand und online zu haben ist, hat bei den meisten Menschen unter 24 keine Chance. Deutlich differenziertere Ergebnisse liefert der alljährliche Statusreport zur digitalen Nachrichtennutzung des Reuters Institute an der University of Oxford. Gerade sind die neuen Ergebnisse für Deutschland erschienen, die von Sascha Hölig und Uwe Hasebrink unter Mitarbeit von Julia Behre vom Leibniz Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut als Arbeitspapier veröffentlicht wurden. Sie offenbaren, dass junge Internetnutzer*innen keineswegs aversiv gegenüber Nachrichten sind. Dennoch ist die Lage ernst, weil kompliziert, da es Nachrichtenanbietern in der Breite augenscheinlich nicht gelingen mag, junge Menschen in ausreichendem Maße für Journalismus zu begeistern und ihren Mehrwert gegenüber anderen Medienangeboten abzugrenzen.

Die zusammengefassten Ergebnisse im Einzelnen:

Nachrichtenangebote im Netz haben vergleichsweise selten junge Fans.
Nicht mehr als die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen Befragten zeigt sich überaus und sehr an Nachrichten interessiert. Das sind immerhin wieder etwas mehr als im Vorjahr, das mit nur 43 Prozent einen Tiefpunkt markierte. Auch zeigt sich in der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen mit zwei Dritteln ein wieder etwas höherer Anteil Interessierter. Allerdings deutet dies auf eine eher nachrangig priorisierte Nachrichtennutzung hin, die als unmotivierte Pflichtübung erscheint, um über das Weltgeschehen mitreden zu können; denn immerhin zeigt sich mit 87 Prozent der GenZ bis 24 Jahren und 91 Prozent der Millennials bis 34 Jahren die Häufigkeit der Nutzung (mindestens mehrmals pro Woche) als stabil. Und: 16 Prozent der Jüngsten und 13 Prozent der Millennials (2019 jeweils 11 Prozent) zahlen bereits in irgendeiner Form für Online-Nachrichten.

Die Bedeutung des Journalismus in der Gesellschaft steht in Frage.
Unter jungen Internetnutzer*innen, besonders bis zum Alter von 24 Jahren, ist eine hohe gesellschaftliche Relevanz eines unabhängigen Journalismus kein No-Brainer. 15 Prozent dieser Altersgruppe hat sich über die Rolle unabhängiger Berichterstattung für ihre Gesellschaft sogar noch keine Meinung gebildet („weiß nicht“). Mehr als ein Zehntel meint sogar, unabhängiger Journalismus sei unwichtig für das einwandfreie Funktionieren der Gesellschaft. Insgesamt gibt es bei den Angehörigen der Generation Z die geringsten Zustimmungswerte im Altersvergleich.

Lokalberichterstattung hat einen schweren Stand.
Junge Leute zeigen im Altersvergleich traditionell wenig Interesse an lokaljournalistischen Angebote. Zwar zeigen sich 65 Prozent der ganz jungen und 82 Prozent der Millennials mindestens einigermaßen interessiert für lokale Nachrichten, doch liegen die beide Werte unter dem altersübergreifenden Durchschnitt. Wenn sich in diesen beiden Altersgruppen über Lokales informiert wird, dann primär über lokale Zeitungen online und offline (40/51 Prozent) und persönliche Kommunikation (30/36 Prozent). Die meisten jungen Menschen im Alter von 18 bis 24 Jahren würden bei einer hypothetischen Einstellung des Erscheinens aber doch ihre Lokalzeitung oder lokalen TV-Nachrichten vermissen.

Politikmüdigkeit grassiert weiter.
Auch das Interesse an Politik bleibt gering: Nur etwas mehr als ein Drittel der bis 24-Jährigen ist stark an Politik interessiert – der geringste Wert im Altersvergleich – und 27 Prozent zeigen sich nicht sehr und überhaupt nicht interessiert. Zum Vorjahr gibt es dahingehend kaum Veränderungen, wohingegen das Interesse der etwas älteren Millennials bis 34 Jahre merklich anzieht.

Das Ende des linearen Informationsfernsehens ist nah (in den Medienrepertoires der Jüngeren).
Wer als junger internetaffiner Mensch Nachrichtenangebote nutzt, greift immer seltener zur Fernbedienung. Es gibt in der GenZ nur halb so viele TV-Nutzer*innen (42 Prozent) und Zeitungsleser*innen (19 Prozent) wie in der Altersgruppe 55+ (83  bzw. 40 Prozent). Auch zwischen 25 und 34 Jahren werden die traditionellen Mediengattungen tendenziell seltener genutzt. Seit dem Jahr 2013 hat das lineare Fernsehen bei den bis 24-Jährigen um mehr als 20 Prozentpunkte eingebüßt, wohingegen Social Media in Bezug auf die Nachrichtennutzung im selben Zeitraum 25 Prozentpunkte hinzugewonnen hat. Aber: In den ersten Wochen der Corona-Pandemie feierten Fernsehnachrichten eine Art (kurzzeitige) Renaissance und verzeichnete vor allem bei den Millennials (+11 Prozentpunkte), aber auch unter den 18- bis 24-jährigen (+4 Prozentpunkte) einen Anstieg.

Nachrichten erreichen junge Menschen hauptsächlich in sozialen Netzwerken.
Seit Jahren liegt die Dominanz von Social Media im Medienhandeln junger Menschen auf der Hand. Bei der Frage nach der wichtigsten Nachrichtenquelle zeigt sich, dass daneben kaum noch Platz oder vielmehr Zeit für andere Nachrichtenangebote traditioneller Mediengattungen bleibt: Während sich nahezu drei Viertel der 18- bis 24-Jährigen und 60 Prozent der 25- bis 34-Jährigen im Internet informiert, liegen Social Media als Hauptnachrichtenquelle bei fast einem Drittel der Jüngeren mit weitem Abstand vorn, gefolgt von Websites von Nachrichtenmagazinen und Zeitungen (jeweils 13 Prozent) und Netzangeboten von TV- und Radioanbietern (11 Prozent). Bei den etwas älteren Millennials gestaltet sich die Verteilung etwas ausgewogener, doch auch hier führen Social Media bei einem Fünftel der Nutzer*innen zwischen 24 und 34 Jahren.

Der Facebook-Kosmos ist weiterhin für die Nachrichtendistribution relevant, doch YouTube gefährdet die Führungsposition.
YouTube liegt bei den jüngsten Befragten in der Nachrichtennutzung auf Social-Media-Plattformen vorn, Facebook bei den etwas älteren Millennials, von denen aber auch fast jeder Fünfte gern informative Videos auf YouTube schaut. WhatsApp behauptet sich stark in beiden Altersgruppen. Instagram setzt seinen Siegeszug in der Generation Z gegenüber der Muttermarke fort und liegt bereits vier Prozentpunkte vor Facebook, wenn es darum geht, Nachrichten zu suchen, zu lesen, anzuschauen, zu teilen oder darüber zu diskutieren. Auch unter dem Eindruck der um sich greifenden Corona-Pandemie zeigte sich eine ähnliche Verteilung.

Zwiegespaltene Ergebnisse zur Akzeptanz von Meinungsjournalismus.
Altersübergreifend bevorzugen etwa zwei Drittel der befragten Internetnutzer*innen Nachrichtenangebote, die keine dezidierte Meinung vertreten, also überparteilich und neutral berichten. Etwas mehr als jede*r Zehnte nutzt bevorzugt Nachrichtenangebote, die die eigene Meinung teilen. Und nur vier Prozent sehen ihre eigene Meinung gern durch ein Nachrichtenangebot herausgefordert. Unter den jüngsten Befragten ist der Anteil dieser Nutzenden mit zwölf Prozent am höchsten. Bei den etwas älteren Millennials dagegen hält sich fast jede*r Fünfte an Angebote, welche die eigene Meinung spiegeln – im Vergleich zu den übrigen Altersgruppen der höchste Wert.

Das Vertrauen in digitale Nachrichtenangebote bleibt ambivalent.
Junge Internetnutzer*innen verzeichnen im Altersvergleich die geringsten Zustimmungswerte beim allgemeinen Vertrauen in Nachrichten, wobei die Differenz zu Befragten mittleren und gehobenen Alters bei 11 bis 20 Prozentpunkten liegt. Bei den selbst genutzten Nachrichten sind die Abweichungen geringer, unter den Jüngeren jedoch glauben auch hier mit ungefähr nur der Hälfte vergleichsweise wenig Befragte, dass sie dem Großteil der Nachrichten, die sie nutzen, meistens vertrauen können. Bezeichnenderweise sind die Vertrauenswerte für Nachrichten, die über soziale Medien und Suchmaschinen verbreitet werden, altersübergreifend sehr gering. Das schließt auch die auf Social Media abonnierten Angehörigen der Generation Z und der Millennials ein. Suchmaschinen sind den Jüngeren – obwohl intensiv genutzt – ohnehin ein Dorn im Auge, da sie im Vergleich zu den Älteren zu einem größeren Anteil die Sorge haben, dass darüber falsche Informationen verbreitet werden. Nichtsdestotrotz sind Suchmaschinen (für 30 Prozent) neben Social Media (für 37 Prozent) regelmäßige Zugangswege der Jüngeren zu Nachrichtenbeiträgen, auch in der Corona-Pandemie.

Junge Erwachsene fühlen sich kompetent, Fake News zu erkennen.
Selbstsicherheit bietet zwar keinen Schutz, doch von den 18- bis 24-Jährigen unter den Befragten glauben nur 28%, dass sie womöglich Falschmeldungen nicht von Fakten unterscheiden können. Ältere sind da insgesamt deutlich unsicherer und selbstkritischer. Dabei ist es gerade die jüngste Altersgruppe der Befragungsstudie, die mit ihrem Hang zur Social-Media-Nutzung verstärkt manipulierten und interessensgeleitenden Inhalten konfrontiert wird. Gefahr geht aus Sicht eines knappen Viertel dieser Altersgruppe von ausländischen Regierungen, Politiker*innen oder politischen Parteien als Urheber falscher oder irreführender Informationen aus. Gleichzeitig zeigen sich die Jüngeren als liberalste Altersgruppe in der Frage, ob politische Akteure in sozialen Medien Werbung für sich und ihre Ziele machen dürfen sollten: Zwei Fünftel der Jüngeren im Vergleich zu 16 Prozent der über 55-Jährigen stimmen hier zu.

Newsletter sind weiterhin ein Geheimtipp. 
Durchschnittlich 4,4 bzw. 4,5 Newsletteranbieter haben 18- bis 24-Jährige und 25- bis 34-Jährige abonniert im Vergleich zu 3,5 bis 3,7 bei den älteren Befragten. Die Intensität der Nutzung ist aber denkbar unterschiedlich: Während die GenZ offensichtlich gern breit abonniert, aber nur ausgewählt sehr intensiv liest (und manche aktive Abos auch komplett ignoriert), browsen Millennials gelegentlich durch die empfangenen E-Mails all ihrer Newsletter-Abonnements. Altersübergreifende Favoriten sind Nachrichtenüberblicke, die schnell und auf einen Klick Ordnung in den ohnehin tiefgreifend mediatisierten Alltag bringen sollen.

Die Popularität von Online-Video gilt nicht für Nachrichten.
Journalistische Inhalte werden bevorzugt auch von den Jüngeren gelesen als  geschaut oder gehört, wobei Audio-Angebote bei den 18- bis 24-Jährigen etwas höher in der Gunst liegen als bei den übrigen Altersgruppen. Wenn doch Videos genutzt werden, um sich nachrichtlich zu informieren, dann liegt YouTube bei GenZ als auch bei den Millennials vorn (für ein Drittel bzw. ca. ein Viertel). Doch auch Nachrichtenapps und -websites schließen hier auf (für jeweils etwa ein Viertel).

Podcasts sind in der Informationsnutzung etabliert.
Bei 18- bis 24-Jährigen und 25- bis 34-Jährigen sind Podcasts populär. Die jüngste Altersgruppe zeigt sich mit 54 Prozent monatlicher Podcast-Hörer*innen als besonders begeistert, Millennials zeigen sich mit 42 Prozent monatlichen Nutzer*innen auch zugeneigt. Im Vordergrund stehen allgemeine Nachrichten, spezifische Wissensthemen und Lifestyle. Spotify ist bei den Befragten bis 34 Jahren der ungeschlagene Champion der Podcast-Plattformen, gefolgt von YouTube.

Fazit

  1. Die Ergebnisse machen deutlich, dass Nachrichtenanbieter und die journalistische Praxis ihre Relevanz permanent neu unter Beweis stellen müssen. Der Bedarf an verlässlichen Informationen ist auch in Kreisen jüngerer Menschen hoch, nicht erst seit der Corona-Pandemie. Doch nachwachsende Mediengenerationen werden nicht zwangsläufig an die Rolle des Journalismus in der Gesellschaft und den Qualitätsanspruch etablierter Nachrichtenmarken herangeführt. Die Nutzerbindung ist durch eine zum Teil grundlegend gewandelte Mediensozialisation in Familien prinzipiell eher gering, die Fluktuation in der Nutzung von Medienangeboten im Allgemeinen und Nachrichtenquellen im Besonderen eher hoch. Auch wenn fast drei Viertel der jungen Befragten dem professionellen Nachrichtenbetrieb eine wichtige Funktion für die Gesellschaft zuerkennen, ist die Zahl derer, die ihm eine zentrale Funktion in der gesellschaftlichen Selbstverständigung beimessen, in dieser Altersgruppe bemerkenswert hoch. Nachrichtenkompetenz kann erlernt werden, Wertschätzung aber müssen sich Journalist*innen und Anbieter von journalistischen Inhalten erarbeiten und verdienen.
  2. Die Relevanz von Nachrichtenangeboten im Alltag junger Menschen erscheint gering und tendenziell weiter abzunehmen. Lebenswirklichkeit wird heute von jungen Erwachsenen hauptsächlich unter Zuhilfenahme anderer medialer Inhalte konstruiert. Noch sind journalistische Inhalte für jüngere Nutzer*innen ohne klares Bild von der Vertrauenswürdigkeit der Nachrichtenquelle schwer auf Social-Media-Plattformen zu erkennen und können ihre besonderen Qualitäten nicht klar genug vermitteln. Eine weitere massive Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Plattformbetreibern und Nachrichtenanbietern bei der Kenntlichmachung von und Aufklärung über Nachrichtenquellen erscheint dringend angezeigt – und zwar auf Augenhöhe.
  3. Die Erwartungen an fundierte Nachrichten orientieren sich auch bei den Jüngsten an tradierten Vermittlungsformen, allen voran Text. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass sich journalistische Praxis weiterhin in den Grenzen konventionellen Nachrichtenschreibens bewegen muss: Gefragt sind kreative Ideen, wie Nachrichten verständlich und leicht zugänglich Menschen im Alter bis Mitte 30 erreichen können, gerade wenn sie bislang eher selten, unleidenschaftlich und im Sinne einer grundsätzlichen Bedarfsbefriedigung klassische Nachrichteninhalte rezipieren. Die Vorstellung eines vorrangig an Meinung und Haltung interessierten jungen Publikums ist weitestgehend entkräftet. Gefragt ist neutrale und sachliche Berichterstattung, auch für junge Leute. Es braucht co-kreative Verfahren, um gemeinsam mit der Zielgruppe Wege und Formen zu finden, sie (in der Regel erstmals) für Journalismus zu begeistern. Der steht nun einmal de facto im Wettbewerb mit einem Potpourri an informierenden und unterhaltenden Inhalten im Netz und mit dem breiten Spektrum an wechselseitiger Kommunikation mit Familie, Freunden, Gleichgesinnten. Gemeinsame (Generationen-)Projekte können viel erreichen, vor allem einen Sinn dafür und Lust darauf, dass es sich lohnt, regelmäßig und aktiv Nachrichteninhalte anzusteuern, sie sich anzueignen und sich womöglich auch darauf aufbauend aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft zu engagieren.
  4. Die Rückschläge im Feld der Millennial-Medien mögen als eine weitere Schlappe etablierter Medienhäuser und eine erste Schlappe großspurig expandierter Start-Ups bei dem Versuch gelten, ein junges Publikum als wertvolle Vermarktungsgröße und zukünftige Abonnenten zu gewinnen. Es können einige Lehren aus dem offenbaren Misserfolg einzelner junger Nachrichtenmarken gezogen werden. Eine davon ist, dass es Entwicklungsredaktionen, als solche die meisten größeren Millennial-Medien gestartet sind, grundsätzlich schwer haben, sich in einem Unternehmenszusammenhang mit einer starken Dachredaktion und Geschäftsführung publizistisch wie wirtschaftlich zu behaupten. Letztlich zählt immer, wie lang der Atem sein darf, der einem solchen Projekt eingeräumt wird, bis nackte Kalkulationsgrößen der Wirtschaftlichkeit beim Benchmarking Überhand nehmen. Zum anderen sei dahingestellt, ob eigene abgrenzbare Medienmarken für junge Publika zielführend sind, gerade weil die Etablierung neuer Marken stets mit hohem Aufwand und unsicheren Erfolgschancen einhergeht, nicht erst im Medienbereich. Keinem der weiteren in den vergangenen fünf Jahren gestarteten Ablegern wie Orange by Handelsblatt oder ze.tt von Zeit Online ist bislang der große Wurf oder kommerzielle Befreiungsschlag im Segment der Nachrichtenwebsites für junge Leute gelungen.
  5. Angesichts der größtenteils als solide zu bezeichnenden Erwartungen junger Nutzer*innen an vertrauenswürdige Nachrichteninhalte ist vielmehr an eine niedrigschwellige Integration möglichst flexibler, zielgruppenauthentischer, ansonsten aber dem Glaubwürdigkeit vermittelnden Markenkern des Mediums entsprechender Angebote zu denken. Zum einen stehen natürlich Themen und die Herangehensweise an diese im Vordergrund: Konstruktivität und Lösungsorientierung in der Berichterstattung sind ein Beispiel für leichte Anpassungen in redaktionellen Agenden mit großer Wirkung bei jungen Nutzer*innen. Ein Hauptaugenmerk gilt der ehrlichen Ansprache (bspw. durch Gleichaltrige) und einer dialogischen und nicht allein distributiven Präsenz auf sozialen Medienplattformen. Die abwechselnde Popularität großer sozialer Medien-Plattformen zeigt die Notwendigkeit, es in Redaktionen nicht an der erforderlichen Flexibilität mangeln zu lassen, sich so intuitiv wie die Nutzer*innen auf neue Kommunikations- und Vermittlungsformen einzulassen, die sich mit neuen Social-Media-Trends rasant verbreiten. Aber Co-Präsenz zur Markenbindung und Engagierung junger Menschen ist vielgestaltig vorstellbar, auch im Veranstaltungsbereich nach oder auch mit Corona – hier hat unter anderem als ein Beispiel Zeit Online mit dem Z2X-Festival der neuen Visionäre ein interessantes Referenzprojekt verstetigt, das junge Kreative engagiert, die Redaktion lernen lässt und darüber Themen und Formen für die journalistische Praxis generiert.

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