Es funkt!

Das Content-Netzwerk von ARD und ZDF begleitet Jugendliche und junge Erwachsene konstruktiv durch die Untiefen der Corona-Pandemie, auch weil es andere drängende Themen für junge Leute nicht vernachlässigt.

Der Blick ist ernst, die Stimme nicht minder: „Ich nehme dieses Video auf am 1. April 2020.“ Mai Thi Leiendecker (geb. Nguyen-Kim) versucht keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, wie bedenklich die Lage ist. „Corona geht gerade erst los“: Das sind 22 Minuten wissenschaftsjournalistische Erklärung und konstruktive Einordnung einer ausweglos anmutenden Lage. Konstruktiv deshalb, weil die promovierte Chemikerin den „Freunden der Sonne“, wie sie ihr junges Publikum anspricht und dabei einlädt, es sich bei einem Tee gemütlich zu machen, ruhig und verständlich über die Grundlagen der Pandemieentwicklung aufklärt und in unverblümter Direktheit verdeutlicht, mit welchem Pandemieverlauf in den kommenden Monaten und Jahren zu rechnen ist.

Eine frohe Botschaft oder gar Lösungen präsentiert sie nicht. Doch wird auch für (jugendliche) Laien verständlich, weshalb die Nachverfolgung von Infektionsketten so schwierig ist, wie jede:r die Berechnungsmodelle der Pandemieentwicklung mit Online-Tools nachvollziehen kann, was „Wuhan-style Lockdown“ bedeutet und wie wichtig es ist, von den aktuellen Geschehnissen zu lernen und wenn nicht rosiger, dann doch etwas klarer in die Zukunft zu schauen. Ihre Schlussworte: „Ich weiß, dass vieles in diesem Video euch wahrscheinlich entmutigt hat. Ich sehe das so: Ich habe lieber einen konkreten Ausweg vor Augen, auch wenn er schwer ist, als immer nur mit ,Wir-müssen-mal-schauen‘ im Ungewissen gehalten zu werden. Wenn wir das Ziel kennen, können wir auch besser zielen.“ Und wer motivierende Gedanken oder Ideen zur Ausdauer habe, solle sie doch bitte gern in die Kommentare schreiben. „Lasst uns keine Panik schieben, aber bitte auch nicht verkacken.“

Trendreport

Beim Trendreporting des VOCER Millennial Labs recherchieren und analysieren wir den Markt der Medienangebote, die sich an Millennials richten, fassen relevante Studien zusammen und geben internationale Einblicke in den Journalismus für neue Zielgruppen. In diesem Beitrag beleuchten wir Erkenntnisse aus der Studie „Konstruktiv durch Krisen?“ von Leif Kramp und Stephan Weichert.

Über 6,6 Millionen Mal wurde das Video bereits angeklickt (Stand: November 2021). Das Video des Kanals maiLab wurde auf YouTube zum meistgesehenen in deutscher Sprache im Jahr 2020. Zu sehen ist nicht irgendeine Journalistin, Moderatorin oder Influencerin, sondern spätestens seit ihrem Statement die bekannteste Stimme von funk, dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF, wie das Angebot etwas halbherzig auf der eigenen Website bezeichnet wird. Die Wissenschaftsvermittlerin wurde während der Corona-Krise in den Senat der Max-Planck-Gesellschaft aufgenommen, zur Journalistin des Jahres gewählt und zu einer der prominentesten Beobachterinnen des gesellschaftlichen Umgangs mit der viralen Gefahr. Leiendecker mag auch deshalb bei jungen Zuschauer:innen als „Stimme der Aufklärung“ Gehör finden, weil sie ihr Publikum mit einer „Mischung aus Kompetenz, aus Empathie und aus einem sagenhaften Humor“ adressiert, wie Kollege Ranga Yogeshwar, ihr Vorgänger bei der WDR-Sendung Quarks, es in einer Laudatio formulierte. Mittlerweile arbeitet Leiendecker für das ZDF.

Webadresse: www.funk.net

Format: Online-Netzwerk aus verschiedenen Informations- und Unterhaltungsformaten von ARD und ZDF für junge Menschen

Tonalität: Was bedeutet die Corona-Pandemie für Jugendliche und junge Erwachsene?

Themenspektrum: Von Grundlagenwissen über authentische Ratgebertipps bis hin zu beißender Ironie mit ernstem Hintergrund, konsequent offen für Publikumsbeteiligung über Kommentarspalten und Chats und nah am jugendlichen Alltag

Prädikat: Verständnis für die Zerrissenheit des jungen Publikums, aber kompromisslos in der Sache: Nur gemeinsam und verantwortungsbewusst lässt sich die Krise bewältigen.

Erlösquelle: Öffentlich-rechtliche Rundfunkbeiträge

Eine solche lässige und doch stets verbindliche Form konstruktiver Auseinandersetzung mit Herausforderungen zeichnet auch andere Formate für junge Leute des Social-Media-Angebots der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus. „Wir müssen einen 14-Jährigen genauso wie eine 29-Jährige erreichen. Das ist ein riesiges Feld. Das an einer Plattform zu machen, halten wir für komplett utopisch“, sagte der damalige Geschäftsführer Florian Hager, der Anfang Dezember 2021 zum neuen Intendanten des Hessischen Rundunks gewählt wurde, im Oktober 2016 zum Start von funk, das nach Hagers Beförderung zum stellvertretenden Programmdirektor von Das Erste im Oktober 2020 auch Einzug in die Mediatheken von ARD und ZDF hielt. funk hat Zeit seines Bestehens versucht, regelmäßig mit neuen Formatideen auf den einschlägigen sozialen Plattformen die Mentalitäten junger Menschen möglichst zielgruppennah zu treffen und dabei viele Register gezogen, die Fernsehmacher:innen zur Ansprache junger Zielgruppen überhaupt nur ziehen können. Entsprechend fluide erscheint das Angebot an Gesichtern, Stimmen und Erzählformen.

Um in die ganz eigenen Lebenswelten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen einzutauchen, reicht das Spektrum von YouTube-Sketch-Comedys, Gaming-Formaten und Facebook-Live-Shows über fiktionale Serien bis hin zu journalistisch angetriebenen Wissens- und Nachrichtenmarken, die sich dezidiert von den Konventionen althergebrachter Sendungen abgrenzen. „funk ist ein Prisma: Wenn ich jetzt 14 bin, ist funk für mich etwas Anderes, als wenn ich 24 bin. Wenn ich ein junger Mann bin ist es etwas anders, als wenn ich eine junge Frau bin. Je nachdem, aus welcher Perspektive ich darauf schaue, sieht funk anders aus. Und das ist durchaus so gewollt. funk, das sind viele kreative Menschen, die im Internet Videoprojekte machen, die nur dort stattfinden und nur mit funk“, sagt die Vize-Programmgeschäftsführerin Sophie Burkhardt zum Konzept des Netzwerkangebots.

Im Jahr 2021 erreichte funk mit seinen knapp 70 Social-Media-Kanälen ungefähr 77 Prozent der Zielgruppe von 14 bis 29 Jahren. Sogar 87 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 30 Jahren kennen das junge Netzwerk als solches oder eines seiner Formate. In der Berichterstattung zu ‚Covid-19‘ stechen vier Themenstrategien heraus, die mit lösungszugewandter Herangehensweise aufklären, aufdecken und ablenken, wobei Impulse für das individuelle Handeln im Mittelpunkt stehen:

  • Vermittlung von Grundlagenwissen über die Pandemie und ihre Folgen mit wissenschaftlicher Expertise
    Neben maiLab profiliert sich insbesondere der Journalist und ehemalige ZDF-Logo!-Moderator Mirko Drotschmann als MrWissen2go zweimal wöchentlich mit Erklär- und Meinungsvideos, wiederholt auch zu ‚Corona‘. Dabei bindet er sein Publikum, darunter vor allem Schüler:innen, über Umfragen und Kommentar-Auswertungen ein und thematisiert, was ihnen wichtig ist, was sie bewegt und welche Spielräume und Ideen sie haben. Probleme werden leicht verständlich herausgearbeitet und jeweils Lösungswegen gegenübergestellt. Das Format wirbt darüber hinaus um Verständnis für Betroffene, regt aber auch an, die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen kritisch zu diskutieren, Optionen abzuwägen und zu hinterfragen. Daneben werden auf dem Kanal Dinge erklärt – kurzgesagt mit futuristischen Animationen zum Beispiel Verhaltenstipps wie die AHA-Regeln als simpel, aber effektiv beschrieben und zugleich an den sozialen Gemeinsinn appelliert.
  • Berichte und Diskussionen über die politische und gesellschaftliche Handhabung der Krise
    Simplicissimus zeigt, wie Südkorea die unkontrollierte Ausbreitung des Corona-Virus verhinderte, legt Mechanismen von alarmistischer Corona-Tendenzberichterstattung offen, befasst sich mit Verschwörungstheorien zur Pandemie und gibt dabei Tipps für eine kontrollierte, reflektierte Rezeption von zirkulierenden Netzinhalten zum Thema. Bei „Deutschland3000“ sprechen Akteur:innen aus Kultur und Medien über ihre ‚Rezepte‘, wie sie es schaffen, trotz massiver Corona-Einschränkungen weiterzuarbeiten. Und bei Die da oben! wird lösungsorientiert begründet, weshalb die Akzeptanz der Infektionsschutzmaßnahmen in der Bevölkerung eines öffentlichen parlamentarischen Diskussions- und Entscheidungsprozesses über die Verhängung von Lock- und Shutdown-Regelungen bedarf.
  • Beiträge über aktuelle lebensweltliche Perspektiven junger Menschen im Lock- bzw. Shutdown
    Das vom WDR produzierte Format Reporter wartete bei Snapchat, YouTube und Facebook mit Ideen gegen den Corona-Koller auf, warb um Verständnis für den Frust gerade junger Leute, aber auch darum, dass es #InZeitenVonCorona besonders wichtig sei, auf seine und die Gesundheit anderer zu achten. Statt wöchentlicher Reportagen sendete das Team eine Woche lang gemeinsam mit dem nordrhein-westfälischen Radiosender EinsLive ein tägliches Corona-Update: Wie komme ich als junger Mensch zurecht mit ‚Social Distancing‘, Reisewarnungen, drohendem Jobverlust, finanziellen Einbußen und großer Langeweile und kann meine Lage vielleicht sogar verbessern und mental gesund bleiben? Resilienzratschläge für junge Menschen wurden mit Fragen aus dem Publikum und an Expert:innen kombiniert. Daneben zeigt das Bremer Y-Kollektiv, dass es helfen kann, miteinander zu sprechen, selbst mit Anhänger:innen von Verschwörungsideologien, auch wenn es anstrengend erscheint. Außerdem wird über unterschiedliche kulturelle Herangehensweisen im Umgang mit der weltweiten Pandemie berichtet als auch über verantwortungsvolles Feiern, Reisen und Dating im Zeichen von ‚Corona‘.
  • Unterhaltung, Zerstreuung und Unterstützung für das Homeschooling
    Als die Schulen für viele Wochen schließen mussten, reagierte funk mit einer eigenen Playlist bei YouTube mit einer Zusammenstellung von Erklärvideos aus diversen seiner Kanäle, um Verständnislücken beim Zuhause-Unterricht schließen zu helfen – funk als „Vertretungslehrer:in“. Auch bei fiktionalen Webserien wie Druck um das Lebensgefühl von Teenagern werden die Pandemie und die daraus resultierenden Dilemmata junger Menschen einfühlsam verarbeitet.

Generell ist allerdings zu bemerken: ‚Corona‘ wurde für funk nicht zu einem überwältigenden Schwerpunktthema. Das Gros der Beiträge, die in den zahlreichen Kanälen über YouTube, Instagram, Snapchat, Facebook und TikTok verbreitet werden, greift offensiv zeitlose Fragen auf, die für gewöhnlich in der breiten Berichterstattung und speziell in Zeiten der Pandemie zu kurz kommen und besonders junge Menschen bewegen. Zum Beispiel das preisgekrönte Format Mädelsabende für Mädchen und junge Frauen auf Instagram: Hier geht es auch zu Hochzeiten der Pandemieentwicklung in Deutschland um zeitlose Herausforderungen des Single- oder Queer-Daseins, um die Farbe von Urin, ums Streiten, sexualisierte Gewalt, ADHS, Essstörungen, die Akzeptanz des Anderen, um Zusammenhalt und die Kompliziertheit der Welt. Nicht nur hier produziert funk Diskursmaterial konsequent aus Sicht einer jungen Generation, die in ihrer Heterogenität zwar mit grundlegenden Einschränkungen zurechtkommen muss und mit dem Ausfall wichtiger Meilensteine ihrer Sozialisation zu kämpfen hat, aber neben ‚Corona‘ noch Vieles mehr in ihren Köpfen jongliert.

Auf ihrem YouTube-Kanal „maiLab“ kommentiert und erklärt Dr. Mai Thi Leiendecker (geb. Nguyen-Kim) aktuelle Fragen aus der und zur Wissenschaft. Schon vor der Corona-Pandemie war der Kanal bei Jugendlichen populär. Direkt, pointiert und persönlich werden aktuelle Fakten und Streitfragen aus dem wissenschaftlichen Fachdiskurs aufgegriffen und leicht verständlich erklärt – sorgfältig recherchiert, aber nie verlegen um eine klare Position. In der Corona-Pandemie wurde der Kanal zu einem der prägendsten Quellen für junge Menschen zur Aufklärung und Vermittlung von Hintergrundwissen über das pandemische Geschehen und die Krankheit Covid-19.

youtube.com/c/maiLab

Auch das wird abgebildet: Trotz, Frust, Ironie, die sich zu Skandalen auswachsen wie im Fall des Satireformats Bohemian Browser Ballett. Mitten in der ersten Welle überzeichnete das Video „Corona rettet die Welt“ einen vermeintlichen Generationenkonflikt zwischen Jung und Alt und erntete von vielen Seiten harsche Kritik. Die funk-Zentrale sah sich genötigt, den satirischen Inhalt zu erklären. Provokant legte das Comedy-Format zu Heiligabend mit dem „Finanztipp des Jahres“ nach: „Besuche deine Eltern zu Weihnachten“, dann werde das Erbe frühzeitig fällig – ein humoristisches Mittel, das bei einem jugendlichen Publikum eine Auseinandersetzung mit der Provokation anregen mag, gerade weil die propagierte Botschaft ad absurdum geführt wird. Für ältere Generationen aber kann dies alles andere als konstruktiv anmuten. Auch wenn einige funk-Formate und -Personalien bereits den Sprung in die Hauptprogramme von ARD und ZDF geschafft haben, ist die Auslagerung der jungen Zielgruppenansprache in die Sozialen Medien auch ein Zeugnis immenser Verständnisschwierigkeiten zwischen den Generationen. Deutschland3000-Moderatorin Eva Schulz hält es entsprechend für einen wichtigen konstruktiven Schritt zu versuchen, „Leute auch über Altersgrenzen hinweg miteinander ins Reden [zu] bringen.“

Mehr Trendreport vom VOCER Millennial Lab:

Es funkt!

Reuters Institute / #usethenews
Die da oben!
The Doe
Screenshot von InshortsScreenshot Inshorts
Reuters Institute
Screenshot von NAS Daily
Reuters Institute for the Study of Journalism

Stark durch Journalismus?

In der Corona-Pandemie suchen junge Menschen nach verlässlichen Informationen, finden sie aber nicht nur bei Nachrichtenmedien. Eine Gefahr für die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft in Krisenzeiten? Was der Reuters Digital News Report 2021 und die Studie #usethenews über das Mediennutzungsverhalten von Millennials in Zeiten der Pandemie sagen.

Während steigende Temperaturen und Impfzahlen die Corona-Pandemie im Alltagsbewusstsein vieler Menschen in den Hintergrund rückt, scheint sie das Medienhandeln bereits nachhaltig geprägt zu haben: Vor allem junge Menschen haben viel lernen müssen darüber, wie tiefgreifend digitale Medientechnologien zwischenmenschliche Beziehungen, aber viel grundlegender noch gesellschaftliche Institutionen wie Schule und Universität in Zeiten sozialer Distanz verändern. Die Pandemie hat speziell bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen das Erleben klassischer Lebensphasen gehörig durcheinander gewirbelt und Meilensteine der Sozialisierung zumindest verschoben. Auch das Durchstarten am Arbeitsmarkt wurde Nachwuchskräften durch Corona-Folgen wie Kurzarbeit, Personalabbau und Einstellungsstopp erschwert. Doch welche Auswirkungen haben die herben Einschnitte auf ihr Medienhandeln und ihr Informationsverhalten, um im alltäglichen Lebensumfeld und der digitalen Welt Schritt zu halten mit den großen Fragen und Herausforderungen, die insbesondere die Zukunft ihrer Generation betreffen?

Das Logo des VOCER Millennial Labs

Beim Trendreporting des VOCER Millennial Labs recherchieren und analysieren wir den Markt der Medienangebote, die sich an Millennials richten, fassen relevante Studien zusammen und geben internationale Einblicke in den Journalismus für neue Zielgruppen. In diesem Beitrag beleuchten wir die relevanten Ergebnisse des Reuters Digital News Report 2021 und der #UseTheNew-Studie.

Nachrichtennutzung junger Menschen macht Unterschiede

Gesundheitliche Risiken durch Corona sind nur ein Problemfeld, das nicht nur ältere Menschen und Risikogruppen, sondern auch junge Leute dazu animiert hat, sich in den vergangenen Monaten stärker über aktuelle Entwicklungen zu informieren. Zu dem Ergebnis kommt die aktuelle Erhebung der Langzeitstudie Reuters Digital News Report zur Nachrichtennutzung. Die vom Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg verantworteten Ergebnisse für Deutschland ergänzen die Resultate der am selben Institut durchgeführten qualitativen und quantitativen Befragung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Rahmen des Verbundprojektes #UseTheNews in Zusammenarbeit mit der Deutschen Presse Agentur und vielen weiteren Praxispartnern, deren Ergebnisse schon Ende April veröffentlicht wurden. Die Lead-Autoren beider Studien, Uwe Hasebrink und Sascha Hölig, erkennen gemeinsam mit ihren Teammitgliedern Julia Behre und Leonie Wunderlich „mitunter klare Unterschiede in den Interessen und medienbezogenen Nutzungshandlungen“ junger und älterer Menschen.

Die beiden – für den quantitativen Befragungsteil – repräsentativen Studien zeichnen ein vielschichtiges Bild junger Menschen aus den Generationen Y und Z, die wie keine zuvor von digitalen Medien geprägt wurden und denen durch die Corona-Pandemie wichtige typische Sozialisationserlebnisse verwehrt geblieben sind. Nicht erst Corona hat im vergangenen Jahr die Aufmerksamkeit junger Leute dominiert, sondern auch viele weitere gesellschaftliche Mammutaufgaben wie Klimawandel, Generationengerechtigkeit oder der Wandel der Mobilität. Wie die Ergebnisse der beiden Studien nahelegen, ringen junge Menschen zwischen 14 und 34 Jahren auch um ihre Widerstandsfähigkeit in einer sich immer rasanter wandelnden und in vielen Perspektiven und Bezugspunkten globalisierten Mediengesellschaft, in der es nur noch wenige Sicherheiten zu geben scheint.

Verunsicherung, Überforderung, Perspektivlosigkeit: Die Folgen von Corona für das Medienhandeln

Im Spannungsfeld zwischen umfassenden Beschränkungen und Brüchen im Alltag junger Menschen und digitaler Lebensplanung voller Unwuchten ist ein hohes Maß an Widerstandsfähigkeit oder Resilienz auf mehreren Ebenen digitalen Medienhandelns gefragt: Im Mittelpunkt mögen Fähigkeiten der Aneignung digitaler Informationen und speziell Nachrichten stehen (Stichwort: Digitale Nachrichtenkompetenz), doch sind auch Fragen des souveränen Umgangs mit digitaler Kommunikation im Allgemeinen und Aspekte der Zukunftsgestaltung mithilfe digitaler Medien tangiert.

Die Ergebnisse und daraus abgeleitete Schlussfolgerungen im Einzelnen:

  • Journalismus als Begleiter:in durch die Krise
    Corona hat das Leben des Großteils der Weltbevölkerung verändert. Die Spuren im gesellschaftlichen Leben sind auch in Deutschland unverkennbar. Menschen in der Lebensphase zwischen Schule, Ausbildung, Studium und Beruf haben nach den Daten des Digital News Reports am stärksten mit Veränderungen der persönlichen Situation durch Corona zu kämpfen. Die Selbstauskünfte lassen gravierende persönliche Konflikte und Unsicherheiten erahnen: Geben zwei Drittel der über 55-Jährigen an, (starke) Auswirkungen durch die Pandemie erlebt zu haben, teilen 81 Prozent der 18- bis 24-Jährigen diese Einschätzung. Eine daraus resultierende Frage: Inwiefern können journalistische Inhalte Nutzer:innen dabei helfen, die Krise im Mikrokosmos des individuellen Alltags besser zu bewältigen oder sogar gestärkt aus ihr hervorzugehen?
  • Ein blinder Fleck bleibt
    Während Corona die strukturelle Transformation des Journalismus enorm vorangetrieben hat und digitales Arbeiten in Redaktionen spätestens jetzt den neuen Normalzustand darstellt, hat die Pandemie offensichtlich auch einige Monita in der journalistischen Praxis zementiert: Dazu gehört unter anderem eine verbreitete Konzeptlosigkeit, die Lebenswirklichkeit junger Menschen angemessen in die Berichterstattung zu integrieren, ohne Zielgruppen-Ghettos zu schaffen. Letztere wurden in Form junger Nachrichtenangebote wie Ze.tt, Noizz oder Bento im vergangenen Jahr ohnehin weitestgehend abgewickelt. Nach den Ergebnissen des Digital News Reports empfinden 42 Prozent der 18- bis 24-Jährigen Mediennutzer:innen in Deutschland den Umfang der Berichterstattung über „Menschen meines Alters“ als unzureichend. Darüber hinaus gaben 37 Prozent dieser Altersgruppe an, dass – sollte über Menschen ihres Alters berichtet werden – dies inhaltlich nicht angemessen sei, also zum Beispiel Fehler oder Verzerrungen moniert werden. Junge Erwachsene fühlen sich in signifikantem Umfang von den etablierten Medien falsch oder nicht verstanden.
  • Junge Menschen bewerten Relevanz anders
    Das mag auch an einer deutlich geringeren Wertschätzung für klassischen Schwarzbrotjournalismus bei jüngeren Nutzer:innen liegen, bei denen das Interesse an Hard News nicht sonderlich ausgeprägt ist, wie die #UseTheNews-Studie unterstreicht. Andere Themen und Fragestellungen werden für wichtiger erachtet: Junge Menschen orientieren sich eher an ihren Peers, an Vorbildern und Leitfiguren im Influencer:innenspektrum, das sich in individualisierten Feeds auf Instagram, Snapchat und TikTok aufspannt. Wenn ein Thema tiefergehend interessiert, werden auch gern ausgewählte Themen-Gruppen und Foren im Netz angesteuert. Dies mag als Ausweichbewegung verstanden werden, denn der Bedarf an lebensweltlich relevanten Informationen, Wertediskussionen und Identitätsaushandlungen ist fraglos vorhanden, Unsicherheiten sind groß, Orientierungsbedarfe hoch. Doch die Klüfte zwischen klassischer Berichterstattung und der Lebenswirklichkeit Jugendlicher und junger Erwachsener sind tief. Es droht besonders bei Nutzer:innen, die sich ohnehin nur wenig aktiv informieren, eine nachhaltige Entfremdung von professionellen Nachrichtenangeboten.
  • Ausbaufähige Nachrichtenkompetenz
    Trotz des gestiegenen Interesses an bestimmten primär gesundheitlichen Themen kommen junge Menschen weiterhin eher zufällig mit journalistischen Inhalten auf Social-Media-Plattformen in Kontakt, erkennen diese bisweilen aber nicht, auch weil sich ihnen der inhaltliche Mehrwert in Relation zu anderen nicht-journalistischen Informationen nicht unbedingt erschließt. Die „News will find me“-Hypothese erweist sich auf Basis der Selbstauskünfte der #UseTheNews-Studie als weitgehend widerlegt, auch wenn gerade junge Mediennutzer:innen gerne behaupten, dass alles, was wichtig sei, schon irgendwie den Weg in ihren Aufmerksamkeitsbereich finde. Die Studie zeigt dies unter anderem an der Bezeichnung „Black Lives Matter“, die trotz starker Präsenz als Name einer sozialen Bewegung und als Hashtag in klassischen und sozialen Medien vielen jungen Befragten nicht bekannt war. Hier steht ein Gefühl des Informiertseins und des Mitredenkönnens in starker Diskrepanz zu der tatsächlichen Abkoppelung vom gesellschaftlichen Zeitgeschehen, dem politischen Diskurs und der kritischen Öffentlichkeit.
  • Der Blick ist weit, das Interesse breit
    In Krisenzeiten wie in der Corona-Pandemie drohen sich Themenverdrossenheit und News Fatigue, das heißt Ermüdungserscheinungen und Vermeidungs- bzw. Ignoranztendenzen, auszudehnen. Typische Redundanzen in der Krisenberichterstattung mit immer neuen Hiobsbotschaften, fluktuierenden Infektions-, Todes- oder Impfzahlen und politischen Auseinandersetzungen um Für und Wider von Einschränkungen und Öffnungen strapazieren schnell die Nerven junger Mediennutzer:innen. Die vielfältigen Themeninteressen gerade junger Menschen wurde hier bislang offenbar mehr schlecht als recht eingelöst. Dabei sind die Themeninteressen der Jüngeren nur scheinbar widersprüchlich, wenn sie sich einerseits Berichte über lustige und sonderbare Ereignisse wünschen, andererseits aber von einem Bedürfnis angetrieben werden an, über sehr konkrete Spezialthemen und Inspirierendes aus Internationalem, Politik, Gesundheit und Bildung, Umwelt und Natur, Wissenschaft, Technik und Lokalem informiert zu werden – sofern es für ihre Lebenswirklichkeit relevant ist. Leitend ist der Bezug zu den persönlichen Werten, Träumen und Plänen junger Leute, die ein komplexes Medienmenü unterschiedlicher Plattformen und ausgewählter Informationsquellen zu managen haben, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Allerdings fühlt sich mehr als die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen nicht sehr oder überhaupt nicht verbunden mit ihrer jeweiligen lokalen Gemeinschaft, 41 Prozent können mindestens ein wenig Verbundenheit aufbringen. Primäre Bezugsthemen hier sind ähnlich denen der älteren Generationen: Corona und das Wetter.
  • Im Zweifel lieber konventionell
    Nichtsdestotrotz haben die klassischen Medien in der Krise etwas hinzugewonnen: Wie der Digital News Report zeigt, wird der Bedarf nach Orientierung und Aufklärung im Mittel tatsächlich noch für ein Viertel der 18- bis 34-Jährigen am ehesten durch das Fernsehen als Hauptnachrichtenquelle befriedigt. Aber: Regelmäßiger und häufiger werden Nachrichtenquellen im Internet genutzt. Knapp zwei Drittel geben Online-Angebote als Hauptnachrichtenquelle an, und sogar mehr als drei Viertel der 18- bis 34-Jährigen frequentieren im Laufe der Woche Quellen im Netz, um sich zu informieren, und damit häufiger als das Fernsehen (47 Prozent), Radio (21 Prozent) oder Print-Medien (15 Prozent). Auch wenn die Social-Media-Fixierung der Jüngeren (Instagram ist hier führend) augenfällig ist und Social-Plattformen für ein Viertel der 18- bis 24-Jährigen als Hauptnachrichtenquelle fungieren: Nachrichtenmagazine, Zeitungen und TV- und Radioanbieter überzeugen auch diese Altersgruppe online, speziell wenn es um verlässliche lokale Informationen zu Corona- und Gesundheitsthemen geht. Soziale Medien liegen in dieser Kategorie nahezu abgeschlagen auf einem ähnlich niedrigen Niveau wie bei den über 55-Jährigen. Dies wird auch durch das gestiegene allgemeine Vertrauen in Nachrichten unter den jüngsten befragten Nutzer:innen gespiegelt: Gab es im Frühjahr 2020 nur 31 Prozent Zustimmung bei der Aussage, den Medien meist zu vertrauen, sind es in diesem Jahr – nach zwölf Monaten Corona – 48 Prozent. Soziale Medien dagegen bleiben wie in den Vorjahren ein ‚Guilty Pleasure‘: Sie werden zwar von jungen Menschen genutzt, aber nicht wertgeschätzt – nur mickrige 15 Prozent der 18- bis 34-Jährigen vertrauen der Informationsleistung der Plattformen und liegen damit altersübergreifend im Durchschnitt.
  • Sehnsucht nach Verlässlichkeit ohne Beigeschmack
    Für die meisten Menschen sind kostenfrei zugängliche Informationsangebote schon aus wirtschaftlichen Gründen die (Online-)Quellen der Wahl. Aber: Die Bereitschaft, für journalistische Inhalte im Netz zu zahlen, ist aktuell bei jungen Menschen am höchsten, wie der Digital News Report zeigt: Immerhin fast ein Fünftel zeigt sich grundsätzlich geneigt, für digitalen Journalismus zu zahlen, wenn er Mehrwert bietet. Nicht goutiert werden dagegen nach Erkenntnissen der #UseTheNews-Studie zur Medienaneignung Jugendlicher und junger Erwachsener aktivistische Tendenzen in Nachrichtenangeboten oder bei einzelnen Journalist:innen. Auch Subjektivität oder die Vermischung von Nachricht und Meinung ist nicht gewünscht: Dafür sind andere nicht-journalistische Anbieter:innen zuständig. Junge Nutzer:innen dringen auf sachliche, verbindliche und verlässliche Information – klassisch überparteilich und ohne unterhaltsame Zutaten. Ein Festhalten an den journalistischen Regelstrukturen, die von jungen Menschen eher gefühlt als gelernt mit Objektivität, Unabhängigkeit und Überparteilichkeit in Zusammenhang gebracht werden, ist für sie selbstverständlich – es sei denn, es handelt sich um bestimmte Themen, „bei denen es für Nachrichtenmedien keinen Sinn ergibt, neutral zu bleiben“. Hier scheren die jungen für den Digital News Report Befragten aus: Etwas mehr als ein Drittel (verglichen mit weniger als einem Viertel der etwas Älteren und Mittelalten) stimmen zu, womöglich weil für sie bestimmte Haltungen und Werte nicht verhandelbar erscheinen. Allgemein aber gibt mehr als drei Viertel der 18- bis 24-Jährigen an, dass Nachrichtenmedien eine Bandbreite unterschiedlicher Meinungen abbilden und es den Nutzer:innen selbst überlassen sollten, eine Entscheidung zu treffen. Die strikte Trennung von Unterhaltungs- und Informationsmotiven bei der Mediennutzung mag auch fehlende Nachrichtenkompetenz beim situativen Erkennen journalistischer Inhalte in der bunten und an Quellen reichen Social-Media-Umgebung liegen: Je deutlicher die Kernmerkmale des Journalismus herausgestellt werden, desto eindeutiger ist sein Informationswert zu erkennen.
  • Angst vor informationellem Trickbetrug
    Falschmeldungen können gravierende Folgen haben, das zeigen auch diverse Fake-News-Wellen, die mit ihren viralen Inhalten zur Corona-Pandemie Nutzer:innen von Messenger-Diensten und Social-Media-Plattformen heimsuchten. Im Digital News Report zeigt sich, dass unter den jüngsten Befragten die Sorge am weitesten verbreitet ist, bei Online-Nachrichten möglicherweise nicht erkennen zu können, was Fakten oder Falschmeldungen, vor allem irreführende und manipulative Informationen, sind: 45 Prozent der 18- bis 24-Jährigen meinen, sie hätten unter Umständen Schwierigkeiten bei der Unterscheidung. Die Verunsicherung sitzt so tief, dass elf Prozent dieser Altersgruppe selbst bei professionellen Nachrichtenwebsites oder -Apps Sorge haben, sie könnten mit Fake News konfrontiert werden. Neben Facebook bereiten aber Messenger-Apps wie WhatsApp und Facebook Messenger den Jüngsten die größte Sorge: Dies korrespondiert damit, dass junge Nutzer:innen solche Dienste intensiv in ihrem Alltag einsetzen, um miteinander im Gespräch zu bleiben, nicht nur, aber erst recht in Zeiten sozialer Distanz. Auch dies zeugt von einer tiefen Verunsicherung im eigenen Medienhandeln, die einen souveränen Umgang mit relevanten Kommunikationsdiensten erschwert.
  • Partizipation ist eine Utopie
    Die Ergebnisse des Digital News Report deuten auch darauf hin, dass der ‚Netizen‘, mündige Bürger:innen, die sich aktiv, informiert und kompetent am öffentlichen Diskurs im Netz beteiligen und Nachrichteninhalte souverän wie kritisch um eigene Perspektiven, Wissensinhalte und ergänzende Recherchen anreichern, als breite gesellschaftliche Utopie graue Theorie geblieben ist: Generell ist die Partizipationslust bei Mediennutzer:innen in Deutschland gering, auch bei den jüngeren. Am aktivsten noch teilen und kommentieren solche Mediennutzer:innen Nachrichteninhalte in sozialen Medien, die sich klar im linken oder rechten politischen Spektrum verorten. Tatsächlich zeigen sich mehr Jüngere im Vergleich zum Vorjahr an Politik überaus und sehr interessiert, der Wert stieg um ganze sieben Punkte auf 42 Prozent. Dagegen sank der Wert bei den älteren Millennials bis Mitte 30 um fünf Prozentpunkte auf nur noch 39 Prozent – auch dies deutet auf Unterschiede zwischen den Generationen in der Mobilisierungsbereitschaft und dem Frustrationsgrad von Millennials und den Angehörigen der nachfolgenden Generation Z angesichts der gesellschaftspolitischen Stimmungslage. Journalismus kommt in dieser Gemengelage eine Scharnierfunktion bei der intergenerationalen Stiftung von gesellschaftlichem Zusammenhalt zu: Grundlage ist und bleibt die altersübergreifende Versorgung der Bevölkerung mit sorgsam recherchierten Informationen, wie auch immer sie alters- oder zielgruppenspezifisch aufbereitet werden.
  • Journalismus etwas Gutes tun!?
    Journalismus ist eine schützenswerte und angesichts der wirtschaftlichen Verwerfungen auch schutzbedürftige kulturelle Praxis. In der Corona-Krise hat eine Vielzahl von journalistischen Akteur:innen – seien es Verlagshäuser, Non-Profits und nicht zuletzt freischaffende Journalist:innen – mit existenziellen Nöten zu kämpfen. Ob, wie umfassend und wie lange der Markt die Aufrechterhaltung journalistischer Qualität in den bestehenden institutionellen Gefäßen gewährleisten kann, ist ein Dauerthema in der Journalismusforschung und vermehrt auch in der Medienbranche selbst. Daher liegt die Frage nahe, die für den Digital News Report an Mediennutzer:innen gestellt wurde: „Sollte die Regierung eingreifen und kommerzielle Nachrichtenmedien unterstützen, die ohne Hilfe selbst nicht genug Geld verdienen?“ Wie offen, sicherlich auch unbedarft jüngere Bevölkerungsteile mit dem Szenario einer finanziellen Unterstützung von Nachrichtenmedien durch die Regierung bzw. den Staat umgehen, ist an der geringen Ablehnung zu erkennen: Nur 38 Prozent der 18- bis 34-Jährigen sprechen sich gegen die Option einer staatlichen Förderung aus (im Vergleich zu 52 Prozent der über 35-Jährigen). Mehr als ein Viertel der Jüngeren sind sogar explizit für staatliche Subventionen für die Presse. Ob dies einerseits auf den Wunsch zurückzuführen ist, Qualität zu sichern gegen die Volatilität des Marktes, der unter Corona besonders leidet, oder auf ein mangelndes Problembewusstsein für das Risiko staatlicher Nähe zur journalistischen Praxis, muss offenbleiben. Naiv bleibt die Hoffnung, Journalismus brauche eine staatlich abgesicherte Existenz, die mehr Freiheiten bietet als Risiken der Einflussnahme.

Fazit

Widerstandsfähig zu bleiben und auch psychischen Belastungen in Krisen standzuhalten, die so umfassend medial begleitet und vermittelt werden wie die Corona-Pandemie, setzt einen nahbaren und dialogbereiten Journalismus voraus, der die Bedürfnisse und Probleme junger Generationen von Mediennutzer:innen ebenso aufgreift wie die seiner angestammten Publika. Nur wenn journalistische Inhalte auch in der Plattformökonomie kenntlich werden und einen Unterschied machen zu zweifelhaften Informationen aus unklaren Quellen, zum Hörensagen, zu absichtlicher Desinformation, kann eine kritische Öffentlichkeit, die immer auch Resilienz produziert und vermittelt, bestehen oder entstehen. Junge Menschen sind essentielle Akteur:innen und Gestalter:innen dieser kritischen Öffentlichkeit – und das Zielgruppenkonzept wird dieser Rolle nicht ansatzweise gerecht. Nachrichtenmedien sollten aus diesem Potenzial Kraft und den ruhelosen Antrieb schöpfen, die jüngeren Teile der Bevölkerung für ihre Arbeit und Prinzipien zu begeistern, ohne die älteren zu entfremden. Es wäre ein wichtiger Schritt zu einer resilienteren Mediengesellschaft.

Mehr Trendreport vom VOCER Millennial Lab:

Millennial-Medien sterben, lange lebe der Millennial-Journalismus!

Nach fünf Jahren Experimentierphase mit neuen Nachrichtenmarken für junge Zielgruppen geht es für Medienhäuser nun an eine Herkules-Aufgabe: die Ansprache junger Zielgruppen nun verstärkt in ihre regulären Nachrichtenangebote zu integrieren.

Ein Resümee wie der morgendliche Kater nach einer wilden Party: „2020. Was für ein Jahr. Die Krönung für uns: Das Ende von NOIZZ“, schrieb Manuel Lorenz, bis Jahresende Noch-Chefredakteur von Noizz.de, kurz vor den Festtagen etwas ratlos. Die Branchenmeldung vom Aus des im Frühjahr 2017 auch in Deutschland gestarteten Millennial-Ablegers aus dem Axel-Springer-Konzern erscheint auf den ersten Blick wie ein weiterer Schlag in die Magengrube junger Nachrichtenpioniere, deren keine geringere Last auf die Schultern gelegt wurde, als junge Menschen mit eigens kreierten Medienmarken für Journalismus zu begeistern – keine leichte Aufgabe bei fortdauernder Nachrichtenmüdigkeit unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Das Logo des VOCER Millennial Labs

Beim Trendreporting des VOCER Millennial Labs recherchieren und analysieren wir den Markt der Medienangebote, die sich an Millennials richten, fassen relevante Studien zusammen und geben internationale Einblicke in den Journalismus für neue Zielgruppen.

Die Reihe der Enttäuschungen wird damit nur länger: Im Juni entzog der Spiegel-Verlag „Bento“ die Daseinsberechtigung, nur wenige Tage später dräute es aus dem Hause „Zeit Online“, dass „ze.tt“, die Nachrichten-Marke für trendige Twens, seine Eigenständigkeit verlieren und fortan nur noch als Ressort weiterexistieren sollte. Junge Führungskräfte, die in den Häusern zuvor als innovative High Potentials viel gestalten, aber auch aushalten mussten, verabschiedeten sich, darunter Marieke Reimann oder Julia Rieke. Andere Redaktionen dürfen weitermachen, wie im Fall des deutschen „Buzzfeed“, das von der regionalaktiven Ippen-Gruppe adoptiert wurde, kurz bevor es vom krisengeschüttelten US-Mutterkonzern geschlossen werden konnte. Auch „orange by handelsblatt“ gibt es noch, aber nur als Podcast. Und bei „Vice“ gab es dieses Jahr Kurzarbeit statt Entlassungen. Immerhin, aber: Mut machen geht anders.

Eine stattliche Riege junger Medienmacher*innen war im Jahr 2015 angetreten, in den vielen neu gegründeten Millennial-Redaktionen von „Bento“ über „Noizz“ bis „Watson“ und „ze.tt“ Journalismus für junge Menschen zu machen. Ein Journalismus, der sich vor den hohen Idealen des Berufstandes nicht zu verstecken braucht, sondern sie kreativ und integer in neue Arbeits- und Darstellungsformen übersetzt, die junge Leute neugierig machen, Glaubwürdigkeit erzeugen und ordentlich informieren. Nach fünf Jahren soll diese Ära nun zu Ende gehen? Wahrscheinlich nicht, denn der Strukturwandel fängt vielerorts gerade erst richtig an, und die Verlage brauchen umso dringender Konzepte, wie sie Alt und Jung gleichermaßen mit Nachrichtenangeboten erreichen können.

Millennial-Medien mit Ablaufdatum

Verlag: Der Spiegel
Ort: Hamburg
URL: www.bento.de
Start: Oktober 2015
Ende: September 2020
Follower: zuletzt ca. 250k bei Facebook, ca. 68k bei Instagram, ca. 20k bei Twitter
Letzte Ressortleiterin: Julia Rieke

Die mit viel Branchenecho gestarteten Nachrichtenangebote für Millennials standen Zeit ihrer Existenz unter besonderer Beobachtung – zumal von den Muttermedien und der Konkurrenz: So hoch die Erwartungen gesteckt wurden, so hoch waren auch im Verhältnis zum übrigen redaktionellen Innovationsgebaren der betroffenen Häuser die personellen und infrastrukturellen Ressourcen, die in sie gesteckt wurden. Zuletzt berichteten die verantwortlichen Redaktionsleitungen von Achtungserfolgen bei Reichweite und qualitativem Engagement ihrer Publika, das nicht nur nachrichtenaffine Bevölkerungsgruppen umfasste. Was ihnen nicht oder nicht ausreichend gelang: en passant neue Erlösquellen für die Stammhäuser zu erschließen.

Auch nach fünf Jahren befanden sich die Versuchsballone noch in einer Orientierungs- und langwierigen Wachstumsphase. Die Schonfrist ist mancherorts früher abgelaufen, als es sich die jungen Kreativen haben hoffen lassen. An der publizistischen Erfolgsbilanz gibt es nur wenig zur rütteln: Reichweitenwachstum, journalistische Qualität, kreative Arbeitsformen, diverses Personal, agile Entscheidungsstrukturen. Doch die Spin-offs sollten als verlängerter Arm der Stammredaktionen Nutzer*innen auch an die erwachsenen Nachrichtenmarken der Zeitungsverlage gewöhnen und die Werbewirtschaft aktivieren. Hier fielen die ambitionierten Projekte im Benchmarking durch.

Ob dem „Ende der Party“ auch ein Zauber innewohnt, wie Manuel Lorenz in seinem ambivalenten Abschiedsbeitrag zwischen Frustration und Durchhaltewillen hofft, sei dahingestellt. Wer aber bei jungen Mediennutzer*innen punkten will, kann nicht auf die Erfahrungen und die sich nach und nach herausgebildete Dynamik der jungen Redaktionsteams verzichten. Viel wird davon abhängen, wie ernsthaft Integrations- und Transferprozesse in den Medienhäusern angegangen werden:

  • Welche Markenstrategie ist aussichtsreich?
    Die Kehrtwenden bei „Spiegel“, „Zeit“ und Springer haben gezeigt, wie schwierig es ist, neue Marken auf einem so voraussetzungsvollen Markt wie dem Nachrichtensektor zu lancieren und wirtschaftlich zu betreiben. Erklärungsbedürftige Namen wie „Bento“ und „ze.tt“, aber auch jugendsprachlich gedrechselte wie „Noizz“ müssen erst einmal sichtbar und dann auch noch als (attraktive) Nachrichtenquelle erkennbar werden, um in den Wahrnehmungsbereich junger Leute zu kommen. Da hilft nur viel Werbung, digital viral oder selbst mit Plakaten an Bushaltestellen und Litfaßsäulen, doch letztlich kostet das manche Häuser (zu) viel. Es gilt, einen demographischen Bruch in der Mediennutzung zu überwinden: Hierfür braucht es Strategien, um jene weiten Teile junger Menschen, die allenfalls nur zufällig Kontakt zu Nachrichten haben, für den Mehrwert qualitativ hochwertiger Berichterstattung zu begeistern. Insofern erscheint es sinnfällig, etablierte Markenkerne altersübergreifend auszufüllen und mit zielgruppenorientierten Formaten zu stärken: Die unterschiedlich profilierten Social-Media-Plattformen, E-Mail-Newsletter, Verticals, hypersensitive Push-Notifications, Podcasts und so fort bieten vielerlei Ansätze und können bestenfalls auch monetarisiert werden. Die noch vorhandenen Kräfte können gebündelt werden, um Zugänge zum Journalismus zu schaffen und den bei Älteren etablierten Markenwert auch bei den Jüngeren zu steigern.
  • Brauchen wir nicht etwas Neues?
    Eine neue App vielleicht oder reicht nicht auch ein Rebrush der bestehenden Website? In Zeiten tiefer Verunsicherung ob sinkender Anzeigenerlöse und des volatilen Mediennutzungsverhaltens speziell junger Menschen wirken Pläne der Veränderung oder Neuentwicklung oftmals radikal, überschwänglich, aber auch schnell unerschwinglich. In Befragungen fällt auf, dass Jugendliche und junge Erwachsene den klassischen Mediengattungen viel Vertrauen entgegenbringen, ohne sie aber in entsprechendem Umfang zu nutzen. Die dazu quer liegenden Erwartungen junger Menschen an seriöse Nachrichtenanbieter bleiben weitgehend konventionell und klassisch textbasiert. Dementgegen steht die weitläufige Popularität von Video- und Audio-Streaming, das letztlich viel Medienzeit frisst, die nicht anderweitig verwendet werden kann. Dabei sehnen sich gerade junge Erwachsene nach regelmäßigen, verlässlichen Informationen aus vertrauter Quelle. Also mehr Qualität statt Quatsch. Unterhaltung gibt es anderswo überzeugender. Insofern ist die Suche nach dem Königsweg journalistischer Darreichungsformen noch lange nicht am Ende, sie wird vielerorts nur kleinschrittiger, explorativer und zahlt stärker auf die bestehende Kernmarke ein. Hier empfehlen sich methodische Herangehensweisen zur Format- und Produktentwicklung, die auf einem konsequent nutzerorientierten Co-Creation-Prinzip fußen.
  • Wie motiviere ich junge Führungskräfte?
    Anders gefragt: Wie junge Führungskräfte halten, wenn der Millennial-Journalismus unter Wert verkauft wird? Junge Redaktionen, die nicht selten mit wenig Personal und operativen Mitteln die Zielgruppe der Zukunft erschließen sollen, brauchten bislang vor allem Wagemut, Wertschätzung und Willenskraft, um durchzuhalten. Die Vorreiter*innen aber befinden sich weiterhin in der undankbaren Position des Mittlers zwischen zwei Welten: Ihr Erfolg wird gemessen von Vorgesetzten in Traditionsverlagen und -sendern, gleichzeitig verlangen ihnen junge Teams, die mit hergebrachten Arbeitsweisen brechen (sollen) eine vollkommen neue Führungskultur ab. Es gibt weder Vorbilder, an denen sie sich orientieren könnten, noch Erfahrungen aus anderen Jobs: dafür sind die Anforderungen an journalistische Organisationsmodelle zu unique. Und doch bleiben sie die Hoffnungstragenden der Branche. Was gebraucht wird sind Weiterbildungs- und Coachingprogramme, die Young Leaders im Journalismus dabei helfen, in ihrem verantwortungsvollen Handeln widerstandsfähiger zu werden, junge Teams zu formen und ihr volles Potenzial zu entwickeln und dabei jene energiegeladenen Gestalter*innen zu bleiben, als die sie angetreten sind, ohne den Beharrungskräften alter Strukturen und Abhängigkeiten zu unterliegen.
  • Wie bekomme ich das beste Nachwuchspersonal, das ich brauche?
    Der Markt an hochqualifizierten Bewerber*innen könnte im Journalismus seit Jahren besser sein. Millennial-Medien reüssierten vor allem damit, junge Talente zu finden und sie nach und nach – im engen Rahmen ihrer Möglichkeiten – zu Stimmen aufzubauen, die beim jungen Publikum Gehör fanden. Diese Rekrutierungsstimmung aufrecht zu erhalten, wird für die schwerfälligeren Redaktionsgefüge der Stammmarken herausfordernd sein. Neue Job-Profile allein werden nicht helfen. Es braucht vor allem Freiheiten in der Projektentwicklung, heterarchische Abstimmungsprozesse, verbunden mit starker Teamorientierung. Es heißt, Spielwiesen zu schaffen bei guter, das heißt mindestens tariflicher Bezahlung. Aber auch: Den Kulturkampf zwischen Innovation und Konvention, Disruption und Establishment beenden, Augenhöhe herstellen zwischen Jung und Alt. Davon profitieren alle Mitarbeitenden in chronisch überlasteten Redaktionen. Nicht grundlos schien sich das alte, aber nicht zwingend bewehrte Vorgehen am Beispiel der Millennial-Medien zu wiederholen, das bereits zu Beginn der Online-Aktivitäten von Presseverlagen zu beobachten war: Die Online-Redaktion abzutrennen, damit sie neue Strukturen aufbauen und testen kann (auch gern unter Umgehung von Tarifbindungen). Es sollte auch wieder mehr Augenmerk auf das Mentoring gelegt werden, Feedbackaustausch sollte überall und jederzeit möglich sein. Und es braucht emotionale Stützen angesichts der krisengetriebenen Transformation in vielen Redaktionsstuben. Von organisationaler New Work bis individuelle Achtsamkeit: Neue Perspektiven für ein „gesundes“ kollegiales Zusammenwirken werden immer stärker zur Inzentivierungsmaßnahme, um Arbeitszufriedenheit zu stärken und auch auf dem Job-Markt gegenüber anderen Medienbranchen attraktiver zu werden.
  • Schaffen wir es aus eigener Kraft?
    In einem Prozess, der erst die richtigen Fragen fordert, bevor Antworten gefunden werden, geraten Einzelkämpfer schnell ans Limit. VOCER hat jungen Führungskräften im Journalismus schon früh einen vertrauliche Rahmen geboten, um in ländlicher Abgeschiedenheit über Schwierigkeiten und Anschlusspunkte bei ihrer Arbeit zu diskutieren. Dabei kam allen voran der Wille zum Ausdruck, gemeinsam an den Herausforderungen zu wachsen und an Ideen zu laborieren. Dies zeigt sich auch in den Millennial Lab-Workshops mit Journalist*innen aller Altersgruppen: Überall dort, wo verschiedene Erfahrungen (speziell im Lokaljournalismus) zusammenkommen, um über Veränderungen und innovative Formate nachzudenken, entsteht Überraschendes. Intern wie extern kann Wettbewerb nicht nur Hemmschuh, sondern Triebfeder sein, weil Ideen auf breiterer Expertise abgesichert werden können. Auch das haben wir gelernt: Das journalistische Personal sehnt sich so manches Mal nach einem Befreiungsschlag von geschäftlichen Bedenken gegenüber einem stärkeren Austausch mit Kolleg*innen anderer Häuser. Der Wunsch: gemeinsam stärken zu entwickeln, um im Wettbewerb mit nicht-journalistischen Medienangeboten zu bestehen.
  • Wie komme ich mit der Zielgruppe ins Gespräch?
    Social-Media-Plattformen sind nicht mehr wegzudenken, weder bei der wechselseitigen Kommunikation, noch zwecks Unterhaltung oder Information. Entscheidend bleibt daher die Aus- und Weiterentwicklung einer eigenen Plattformstrategie: Welche Social Network Site entpuppt sich als der nächste Trendsetter? Welcher Messaging-Dienst birgt Potenzial für die Nachrichtenproduktion und den Vertrieb? Welche Gratwanderung bedeutet es für Medienanbieter, wenn sie Plattformen wie TikTok als populären Kanal für sich entdecken und Ressourcen investieren wollen? Und wie behalten Redaktionsmanager ob einer wachsenden Zahl und Differenzierung an Social-Media-Plattformen den Überblick über quantitative und qualitative Reichweiten? Ein wesentlicher Bestandteil der Millennial-Medien war bisher das Community-Management und die redaktionell ernst genommene Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Diskurshygiene auf den redaktionell betreuten Seiten. Was dort bisher funktioniert hat, bleibt aussichtsreich: Die Beziehung zwischen Redaktion und Publikum will intensiv gepflegt werden. Was erfolgreichen Journalismus für junge Zielgruppen auszeichnet, ist Nahbarkeit, Authentizität, eine digitale Werteorientierung, aber auch eine kritische und klare Haltung. Potential haben vor allem engagierende Moderationsstrategien für die gerade in Krisenzeiten stark frequentierten Kommentarbereiche im Social Web. Das Community-Management entfaltet seine Kraft, wenn es als journalistische Aufgabe angenommen und nicht als sekundärer Servicebereich delegiert wird. Mindestens ebenso gefragt ist die Entwicklung redaktioneller Formate, die auf den Austausch mit Nutzer*innen setzen. Auch hiervon profitieren Themenfindung, Nutzerfeedback, Recherche.
  • Wie kann ich verstehen, was die junge Zielgruppe will?
    Natürlich hat eine junge, divers zusammengesetzte Redaktion schon per se ein besseres Verständnis für die Belange ihrer Altersgenossen als eine durchschnittliche Zeitungsredaktion, die kaum die gesellschaftliche Vielfalt abbildet. Und doch gab es auch bei den Millennial-Medien Monita: zu hipp und urban die Orientierung, zu studiert. Wer den „Sound der jungen Generation“ treffen will, braucht nicht nur Sinn und Verstand für die Ambivalenzen einer Jugend zwischen lokalen Abhängigkeiten und kosmopolitischem Werteverständnis. Was für den Millennial-Journalismus gilt, steht auch der journalistischen Praxis insgesamt: intensiv zuzuhören und die Bevölkerung aktiv in die redaktionelle Arbeit einzubeziehen, permanent, nicht als Feature. Chancen bieten deshalb gerade lokale und regionale Formate. Wo es wenig neue Akzente gibt, lässt sich umso mehr gewinnen – auch im Wettstreit mit Netflix und YouTube um kostbare Zeitbudgets. Investitionen lohnen sich, wenn nicht heute, dann in einigen Jahren, wenn gesicherte Informationen in der Lebenswirklichkeit von Twenty- oder Thirtysomethings einen eigenen (Stellen-)Wert bekommen.
  • Und wie bringe ich junge Menschen dazu, meine Angebote zu lieben?
    Dirk von Gehlen glaubt an den Erfolg von inspirierender Berichterstattung. Welche Begriffe auch immer den Bedarf junger Mediennutzer*innen an Informationen zu beschreiben helfen: Nachrichten müssen relevant sein für den Alltag und die Perspektiven ihrer Adressaten. Noch allzu häufig fühlen sich die Jüngeren von  professionellen Nachrichtenangeboten unverstanden und suchen sich anderweitig Orientierung, zum Beispiel bei YouTube, WhatsApp, Instagram und in steigendem Maße auch auf TikTok oder in Videospielen – gerade Jugendliche könnten in ihrer Mediennutzung mit professionellen Nachrichtenangeboten nicht schwieriger zu erreichen sein. Empathisch und doch auf Distanz, konstruktiv, doch nicht unkritisch kann Berichterstattung viel gewinnen – ganz nach Hanns Joachim Friedrichs Bonmot, cool zu bleiben, ohne kalt zu sein (wobei der einstmalige „Tagesthemen“-Anchor bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Regel keine Assoziation auslösen dürfte). Helfen könnte mehr Konstruktivität ohne Verzicht auf Kritik: Constructive oder Solutions Journalism sind, zusammengenommen, eine der populärsten und meistdiskutierten Entwicklungen in der Nachrichtenbranche der vergangenen Jahre. Der gewollte Perspektivwechsel ist aber in deutschsprachigen Medien nach wie vor unterrepräsentiert. Junge Menschen verlangen nach Perspektiven, nicht nach Miesmacherei. Trotzdem konzentrieren sich Redaktionen noch allzu häufig in der Themenauswahl auf Krisen, Katastrophen und kriegerisches Geschehen. Speziell junge Mediennutzer*innen wenden sich deshalb entnervt ab. Nun bietet sich die Gelegenheit, eingeübte handwerkliche Routinen in der redaktionellen Praxis zu hinterfragen und Nachrichtenangebote insgesamt auf den Prüfstand stellen. So können lernende Strukturen entstehen – auch dies ein synergetischer Effekt der Millennial-Projekte.

Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die vielen entwickelten Spielarten des Millennial-Journalismus gerade Zeitungsverlagen wichtige Experimentierfelder bieten, von denen der gesamte Redaktionsstab nur lernen kann. Junge Redaktionen, die mit hergebrachten Konventionen brechen, werden auch weiterhin eine Schlüsselrolle in der inhaltlichen und unternehmerischen Weiterentwicklung journalistischer Angebote spielen, weil sie einen wichtigen Brückenkopf zwischen den generationalen Unterschieden darstellen – auch und vor allem unter einer traditionellen Dachmarke.

Mehr Trendreport vom VOCER Millennial Lab:

Langzeitstudie Massenkommunikation und ARD/ZDF-Onlinestudie: Schöne digitale Videowelt

Immer mehr Menschen in Deutschland nutzen das Internet. Längst kann nicht mehr nur von einer neuen Mediengattung gesprochen werden: Es gibt nicht mehr ‚das‘ Internet, vielmehr stellt die technische Infrastruktur des digitalen Netzes ein Füllhorn an Funktionalitäten bereit, die umfassend das gesellschaftliche und kulturelle Leben prägen. Online-Kommunikation wird so vielfältig praktiziert wie digitale Medieninhalte für das Internet produziert und angeeignet werden.

Das Logo des VOCER Millennial Labs

Beim Trendreporting des VOCER Millennial Labs recherchieren und analysieren wir den Markt der Medienangebote, die sich an Millennials richten, fassen relevante Studien zusammen und geben internationale Einblicke in den Journalismus für neue Zielgruppen. In diesem Beitrag beleuchten wir die relevanten Ergebnisse der „Langzeitstudie Massenkommunikation“ und der ARD/ZDF-Onlinestudie.

Diese grundlegenden Transformationsprozesse von Medienumgebung und Mediennutzung fordern Längsschnittstudien heraus, die Wandel aus Gründen der Vergleichbarkeit nur mit klaren Bezugskategorien abbilden können. Mit der Langzeitstudie Massenkommunikation werden im Auftrag der ARD/ZDF-Forschungskommission schon seit Anfang der 1960er-Jahre im Fünfjahresrhythmus Personen ab einem Alter von 14 Jahren zu ihrem Mediennutzungsverhalten und ihren Einschätzungen gegenüber Medienangeboten in ganzer Breite befragt. Sie liefert zuverlässig Eindrücke einer sich kontinuierlich wandelnden Mediengesellschaft aus Sicht der mediennutzenden Bevölkerung. Seit 1997 erscheint zudem jährlich die ARD/ZDF-Onlinestudie mit detailliertem Fokus auf die Internetnutzung in Deutschland. Jährlich erscheinen seit 2017 außerdem die Massenkommunikation Trends, um die übergreifenden zunehmend rasanteren Veränderungen der analogen und digitalen Medienbranche genauer dokumentieren zu können.

Sowohl die Langzeitstudie als auch die Onlinestudie warten in diesem Jahr mit neuen Erhebungsdaten auf, die bestimmte Trends, die sich in den Vorjahren bereits abzeichneten, fortschreiben und einige neue Ausschläge verzeichnen, die für die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten und die strategische Weiterentwicklung von Nachrichtenangeboten relevant sind.

Die wichtigsten Ergebnisse der aktuellen Erhebung der Langzeitstudie Massenkommunikation und der ARD-ZDF Onlinestudie sind in dieser Hinsicht mit Blick auf die junge Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen:

Tiefgreifende Mediatisierung: Eine der gravierendsten Veränderungen wurde in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen mit der fast vollständigen Durchsättigung des Lebensalltags registriert. Nie wurde eine höhere durchschnittliche Mediennutzungsdauer pro Tag ermittelt als in der aktuellen Erhebung der Langzeitstudie Massenkommunikation. Der Medienkonsum von Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat sich im Tagesverlauf stetig ausgeweitet: Netto verbringen die 14- bis 29-Jährhigen zwar wie schon 2010 und 2015 etwa achteinhalb Stunden am Tag mit Medien, doch Brutto-Nutzungsdauer schnellte durch eine stark intensivierte Parallelnutzung mehrerer Medien auf einen Rekordwert von nahezu zehneinhalb Stunden (621 Minuten) – eine Stunde mehr als noch vor fünf Jahren. Das heißt: Jugendliche und junge Erwachsene chatten zum Beispiel häufiger beim Schauen einer Netflix-Serie über WhatsApp mit ihrem Freundeskreis oder verbringen ihre Zeit gleichzeitig mit Musikhören und Gaming. Gesprochen wird hier von verdichteter Nutzung – mit dem Risiko einer zunehmend beiläufigen Aneignung der konsumierten Inhalte. Der Alltag der jüngeren Bevölkerung ist demnach nicht mehr ohne technische Kommunikationsmedien vorstellbar. Der Corona-Lockdown hat hier sicherlich zur weiteren Verdichtung beigetragen, nichtsdestotrotz setzt sich ein Trend fort, der bereits seit einem Jahrzehnt abzeichnet.

Umfassend vernetzt: Digitale Medienangebote sind durch die mobilen Nutzungsmöglichkeiten mittlerweile durch den Ausbau der Breitbandnetze omnipräsent – insbesondere im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Gedruckte Periodika wie Tageszeitungen und Zeitschriften brauchen nur noch unter ferner liefen verbucht werden (6 Prozent Nutzung in der Altersgruppe). Allerdings fallen neuerdings auch die klassischen elektronischen Medien noch deutlicher ab als zuvor: Fernsehen und Radio von jeweils über 70 Prozent im Jahr 2015 auf aktuell nur noch 38 Prozent bzw. 51 Prozent in den Reihen der Generation Z und Generation Y/ Millennials. Unmissverständliche 97 Prozent der umworbenen Zielgruppe sind täglich im Internet (im Vergleich zu 72 Prozent aller Befragten). Sie nutzen Internetdienste 388 Minuten am Tag (etwa 90 Prozent länger als die Gesamtzahl der Befragten), davon entfallen auf mediale Inhalte 257 Minuten, was mehr als das Doppelte im Vergleich zu allen Befragten ausmacht. Und: Während nur jeder zweite Befragte täglich das sogenannte mediale Internet nutzt, also produzierte Medieninhalte rezipiert, sind es unter den Jüngeren neun von zehn. Der Unterschied kann auch daran festgemacht werden, dass für 57 Prozent der Gesamtbevölkerung ab 14 Jahren analoge Medien ins Repertoire gehören, bei den Jüngeren jedoch nur für jeden Vierten bis Fünften.

Online tagein, tagaus: Als entscheidenden Treiber dieses generellen Nutzungszuwachses bezeichnen die Autor*innen der Studie die Allgegenwärtigkeit digital vernetzter Medientechnologie, die hauptsächlich durch die gewachsene Bedeutung sozialer Medien in der Nutzung die Grenzen zwischen Individual- und Massenkommunikation verwischen: Bereits am frühen Morgen greift die jüngere Bevölkerung mehrheitlich zum Smartphone, um sich online zu informieren oder zu unterhalten, und legt das Gerät erst auf den Nachttisch, wenn das Licht längst erloschen ist. Im Vergleich zu den übrigen Mediengattungen bleibt die Internetnutzung auch über den Tag hinweg auf hohem Niveau konstant und nimmt erst wieder am späten Abend ab. Auch hier ist ein deutlicher Unterschied zur Gesamtbevölkerung festzustellen, bei der die durchschnittliche Internetnutzung im Tagesverlauf nur einen Bruchteil der Reichweite erzielt und bei der die traditionellen Mediengattungen zu den klassischen Nutzungszeiten am Morgen (Zeitung, Radio) und Abend (Fernsehen) – wenn auch abflauend – ihre Relevanz behaupten.

Sag‘ mir, was hält dich hier? Die Forschungsgruppe verzichtete bei der aktuellen Erhebung aus vornehmlich pragmatischen Gründen auf einige Fragestellungen, überaschenderweise auch auf die nach der Bindung an bestimmte Medienangebote. Im Jahr 2015 wurde noch ermittelt, wie maßgeblich die persönliche Bindung an das Internet als technologische Infrastruktur mediatisierter Kommunikation bei jungen Nutzer*innen damit zusammenhängt, dass sie ihren zwischenmenschlichen Austausch in wesentlichen Teilen online praktizieren. Für Nutzer*innen unter 30 war vor fünf Jahren wechselseitige Kommunikation (chatten, posten, E-Mails verschicken oder Messaging-Dienste nutzen) mit großem Abstand die wichtigste Online-Beschäftigung: 87 Prozent der Befragten gaben damals an, dass sie es vermissen würden, über das Internet zu kommunizieren, wohingegen nur 38 Prozent das Lesen von Zeitungs-Websites und vier von zehn Befragten Nachrichten bei Suchmaschinen oder Internet-Providern fehlen würden. Während zwei Drittel der 14- bis 29-Jährigen das Internet nicht mehr missen mochten, war es nur knapp die Hälfte der 30- bis 49-Jährigen und weniger als ein Drittel der über 50-Jährigen. Die Bedeutung zwischenmenschlicher Direktkommunikation über das Netz kann aktuell noch über die hohe Bedeutung der entsprechenden Apps und Portale wie WhatsApp (92 Prozent der Jüngeren), Instagram (53 Prozent) und Snapchat (27 Prozent) in der täglichen Nutzung abgeleitet werden.

Der demographische Bruch in der Bewegtbildnutzung: Nirgendwo zeigen sich die unterschiedlichen Gewohnheiten in der Art der Mediennutzung deutlicher als im Direktvergleich zwischen Menschen jünger als und solchen jenseits der 30: Während das lineare Programmfernsehen in Corona-Zeiten im Gesamtmittel der Befragten ab 14 Jahren mit Abstand die stärkste regelmäßig genutzte Anlaufstelle für Bewegtbild bleibt, verzeichnen YouTube und Streamingdienste das größte Nutzerpotenzial im Internet. Hier ist die jüngste befragte Altersgruppe Vorreiter: 79 Prozent der 14- bis 29-Jährigen sehen regelmäßig Videos auf YouTube, 71 Prozent bei (anderen) Streamingdiensten – deutlich mehr als lineares Fernsehprogramm (54 Prozent). Bei den übrigen Altersgruppen liegt das klassische Programmfernsehen deutlich vorn, obwohl es im Langzeitvergleich rückläufige Werte erzielt und mittlerweile auf dem Reichweitenniveau von 1985 liegt. Bei jungen Menschen liegt Video nun erstmals vor Audio: Die Wahrnehmungskategorie Sehen hat hier mit sieben Prozentpunkten in den vergangenen fünf Jahren einen enormen Zuwachs verzeichnet und prägt bei 46 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen das tägliche Medienmenü (44 Prozent Audio, 10 Prozent Text). Alle Online-Videoangebote zusammengenommen verzeichnen einen Allzeithoch im Zuspruch bei 98 Prozent der jüngeren Nutzer*innen (im Vergleich zu etwas mehr als zwei Drittel aller Befragten).

Radio vs. Streaming: Hatte sich das lineare Radio in weiten Teilen der Bevölkerung einen vermeintlich zukunftsfähigen Platz als (auto)mobiler Begleiter gesichert, zeigt sich in der häuslich geprägten Phase der Corona-Pandemie die Stärke der Musikstreaming-Dienste. Im Vergleich zum Vorjahr ist hier eine deutliche Verschiebung zu registrieren: Radio sackt weiter ab auf knapp 36 Minuten pro Tag, Streaming dagegen wächst von 32 auf 44 Minuten. Bei 80 Prozent der jungen Menschen dominiert Streaming das Musikerleben – allen voran Spotify. Doch auch YouTube hat sich mit seinem Music-Dienst in Stellung gebracht und wird als Zweitplatzierter von ungefähr jedem zehnten jungen Befragten gehört. Ältere Befragte nutzen diese Abo-Services nur zu 42 Prozent (30-49 Jahre) bzw. 12 Prozent (50+ Jahre).

Podcasts zeigen stabile Entwicklung: Podcasts als sprachzentrierte Audioinhalte profitieren offenbar nicht überschwänglich von dem allgemeinen Trend zu Online-On-Demand-Streaming. Sie erreichen weiterhin wie im Vorjahr etwa ein Viertel der jungen Nutzer*innen und 12 Prozent aller Befragten ab 14 Jahren.

Wer mehr sieht und hört, hat weniger Zeit zum Lesen. Die steigenden Nutzungszahlen von Bewegtbild und Audio scheinen zu Lasten des Lesens zu gehen: Junge Leute nutzen Textinhalte im Internet wesentlich kürzer an einem Durchschnittstag wie vor fünf Jahren (24 statt 49 Minuten). Das Studienteam ist sich selbst unsicher, ob es sich dabei um einen Trend handele, der sich „in einer verminderten Bedeutung von redaktionellen Texten“ ausdrücke.

Plattformen als dynamische Dreh- und Angelpunkte: Instagram liegt nach dem Messaging-Dienst WhatsApp weit vorn in der Gunst der Teenager und Twentysomethings: Mehr als zwei Drittel von ihnen geben an, das einstmalige Fotonetzwerk täglich zu besuchen. Instagram ist in den vergangenen Jahren immer stärker zu einem integrierten Social Network mit einer Vielzahl von Funktionalitäten und Optionen zur Nutzerinteraktion und Veröffentlichung von Medieninhalten geworden. Darauf folgen Facebook mit stetig zurückgehendem Zuspruch jüngerer Nutzer*innen (zurzeit bei 44 Prozent) und Snapchat mit bemerkenswert stabilen 41 Prozent. TikTok liegt bereits vor Twitter bei 9 Prozent. Es ist höchstwahrscheinlich, dass hier auch weiterhin eine starke Dynamik zu beobachten sein wird.

Vertrauen entpuppt sich als harte Währung: Wiederholt zeigt sich, dass junge Menschen ein ausgeprägtes Qualitätsverständnis haben und hohe Ansprüche speziell an mediale Informationsangebote richten. Dass sich dies (häufig) nicht in Tagesreichweiten und Angebotsrankings niederschlägt, ist zweifelsfrei ein ungelöstes Problem. Dennoch zeigen die Befragungsergebnisse der Langzeitstudie Massenkommunikation, wie deutlich 14- bis 29-Jährige zum Teil zwischen öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Medienanbietern unterscheiden, wenn sie darum gebeten werden, Glaubwürdigkeit und Vermittlungskompetenzen zu bewerten: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erzielen mit ihren Radio- und Fernsehangeboten (auch digital) in der jüngsten Altersgruppe der Befragung sogar zusammen höhere Glaubwürdigkeitswerte als im Mittel aller Befragungsteilnehmenden. Doch auch Zeitungen und Zeitschriften (als Mediengattung) erzielen Spitzenwerte. Die Streamingdienste stehen etwas zurück, können sich mit deutlich höherem Zuspruch der Jüngeren im Vergleich zum Gesamtschnitt aber im Mittelfeld behaupten. Soziale Medien hingegen liegen abgeschlagen auf den hinteren Plätzen: Weniger als ein Drittel der jüngeren Befragten meint, dass Instagram, Facebook etc. glaubwürdige Inhalte bieten. Relevante Themen schreiben die 14- bis 29-Jährigen hauptsächlich und noch stärker den Printmedien zu als den öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehanbietern, wobei sie sich bei politischen Informationen am ehesten für ein öffentlich-rechtliches Nachrichtenangebot entscheiden. Bedeutsam ist auch, dass für 67 Prozent der Jüngeren die Medienrealität ihrer eigenen Wahrnehmung der Welt entspricht – hier liegen sie gleichauf mit den Befragten jenseits der 70. Bei den Jungen gibt es nur wenige Zweifler.

Fazit

Journalistinnen und Journalisten werben mit vielen frischen Ideen, relevanten Themen und einer beeindruckenden Formenvielfalt darum, von jungen Menschen im Netz wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden. Ihre Inhalte erreichen aber nur zu selten die gesuchte Zielgruppe. Was sagen die gesammelten Ergebnisse der Langzeitstudie Massenkommunikation und der ARD/ZDF-Onlinestudie über aktuelle Chancen und aussichtsreiche Ansätze?

  1. Orientierung bieten
    Angehörige der Generation Z (bis Anfang 20) und die etwas älteren Millennials haben ein immenses Interesse an Nachrichten. Ihre Lebensphasen verlangen ihnen ein erhöhtes Maß an Orientierung in vielen für sie bislang unbekannten Themenfeldern und der Welt als solche ab. Doch nur es fehlt die Zeit: Pubertät, Schulabschluss, Abnabelung vom elterlichen Lebensraum, berufliche Ausbildung, Studium, Jobeinstieg und Familiengründung. Schon immer war es schwer, in diesen Phasen extrem verdichteten Lebenswandels junge Menschen mittel- bis langfristig an konkrete Informationsquellen zu binden. Unter dem Eindruck allgegenwärtiger digitaler Mediennutzung mit einem hochgradig ausdifferenzierten Medienangebot entscheidet vielfach nicht nur die Erkennbarkeit journalistischer Inhalte über Erfolg oder Misserfolg eines Angebots, sondern auch das Lustprinzip: eine attraktive Abgrenzung gegenüber all dem, was digitalmedial lockt und reizt. Zumindest die Ausgangslage erscheint günstig: Junge Menschen schätzen die Glaubwürdigkeit etablierter Nachrichtenorganisationen hoch ein, höher gar als ihre Eltern und Großeltern. Sie hören Podcasts, lesen, wenn auch weniger, aber sehr gezielt, Texte im Internet. Und sie informieren sich in steigendem Maße über Bewegtbildangebote im Netz.
  2. Nachrichtenkompetenz fördern
    Damit es nicht bei einer bloßen Hoffnung bleibt, dass Jugendliche und junge Erwachsene bei drängendem Informationsbedarf ihren Weg zum passenden professionellen Nachrichtenangebot finden, gilt es, weiter für den Wert journalistischer Inhalte zu sensibilisieren. Es bleibt eine große (gemeinsame) Aufgabe von Bildungspolitik, schulischer Bildung und auch journalistischer Praxis, Nachrichtenkompetenz zu fördern; denn es ist heutzutage schwerer denn je, in den Social-Media-‚Newsfeeds‘ und -‚Timelines‘ qualitativ untadelige Nachrichteninhalte zu erkennen. Journalistische Inhalte fristen in der unablässigen Abfolge unterschiedlichster Postings ein Schattendasein. Wer nicht aktiv sucht oder seine Informationsroutinen zielgerichtet ausrichtet, hat Schwierigkeiten, für sich relevante Berichterstattung aufzufinden. Nachrichtenkonsum verkommt dadurch leicht zur intellektuellen Herkulesaufgabe – denn der Reflexionsgrad, der Online-Publika abverlangt wird, ist angesichts der schnell überfordernden Masse an Inhalten enorm.
  3. Lösungsorientiert berichten
    Die volatilen Veränderungen der digitalen Medienumgebung sind (auch) für junge digitalaffine Menschen eine Quelle von Stress – eine Tendenz, die sich während des Corona-Lockdowns noch verstärkt haben dürfte. Bei einer medialen Übersäuerung – auch durch das nachrichtliche Brennglas auf dräuende Pandemiestatistiken – ist eine Übersteuerung der Mediennutzung hin zu Unterhaltungs- und Zerstreuungsangeboten wahrscheinlich. Eine solche „News Fatigue“ verlangt nach mehr als einem offenen Ohr für die Bedürfnisse des (jungen) Publikums, das sich ob des schon beinah traditionell problemlastigen und konfliktorientierten Berichterstattungsfokus von etablierten Nachrichtenangeboten abwendet, weil sie ihnen schlicht auf den Magen schlagen oder auf die Nerven gehen. Konstruktive und lösungsorientierte Ansätze im Journalismus setzen hier an und versprechen – kombiniert mit einer konsequenten Einbeziehung des Nutzerblickwinkels – relevanten Mehrwert für junge Menschen, der von ihnen wertgeschätzt wird. Es geht dabei nicht um einfache Rezepte, sondern den Versuch, Perspektiven aufzuzeigen, so kompliziert sie auch sein mögen.
  4. Werte diskutieren
    Je mehr Journalismus unter Einbeziehung sozialer Alltagswelten Jugendlicher und junger Erwachsener wertevolle Inhalte erzeugt und unter Beteiligung der Zielgruppe vermittelt, desto eher kann eine Netzwende gelingen. Ein hoher Bedarf an Wertediskussionen und haltungsorientierter Kommunikation muss nicht zwingend eine Entgrenzung journalistischer Regelstrukturen nach sich ziehen: Allerdings fehlt häufig speziell im Lokaljournalismus der direkte Draht zur jungen Bevölkerung und ihren Blick auf die weite Welt in der lokalen Lebenswirklichkeit. Transfer (Themen ‚herunterzubrechen‘) und kreative Kombinationsfreude sind alte und neue Kompetenzen, die das journalistische Rüstzeug prägen, wenn junge Menschen in ihren Köpfen Grenzen sprengen und Werte mit sich selbst und anderen aushandeln. Journalismus hat die Aufgabe, zur Aufklärung beizutragen und junge Stimmen authentisch in die gesamtgesellschaftlichen Debatten zu tragen.
  5. Don’t kill the messenger
    Nachrichtenmedien werden besonders in der aktuellen Situation angespannten gesellschaftlichen Zusammenlebens durch pandemische Infektionsschutzauflagen und politische Polarisierung als Überbringer unheilvoller Botschaften wahrgenommen. Bei jungen Menschen ist das Markenbewusstsein für Nachrichtenangebote ohnehin gering und muss erst geprägt werden. Hierbei vergeben viele Medienhäuser große Chancen, da sie sich nicht ausreichend als vielstimmige Vermittler der gesellschaftlichen Selbstverständigung verstehen, sondern als solitäre Chronisten und bestenfalls Kommentatoren dessen, was geschieht. Das macht sie nicht nur uninteressant, sondern auch zur Zielscheibe von Frustreaktionen. Dabei zeugen die hohen Glaubwürdigkeitswerte für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Presseerzeugnisse weniger von einer hohen Markenloyalität; im Gegenteil: Die tatsächlichen Nutzungswerte fallen bei jüngeren Alterskohorten im Vergleich marginal aus. Sie lassen allerdings den Schluss zu, dass es ein hohes (diffuses) Vertrauen in althergebrachte Medieninstitutionen gibt, was als Ausdruck einer verbreiteten Sehnsucht nach Nachhaltigkeit und Verlässlichkeit gewertet werden mag. Nachrichtenanbieter sollten sich deshalb ihrer Stärken als seriöse Informationsquellen besinnen und sich entsprechend profilieren – dabei aber nicht vergessen, nahbarer, zugänglicher und umgänglicher zu werden.

Mehr Trendreport vom VOCER Millennial Lab:

Nachrichten ohne Mehrwert? Der Reuters Digital News Report 2020 zeigt, wie schwer es etablierte Nachrichtenanbieter bei jungen Zielgruppen haben

Wie kann ein Nachrichtenangebot für junge Erwachsene erfolgreich sein? Zu dieser Frage operiert seit einigen Jahren eine ganze Phalanx an sogenannten Millennial-Medien quasi am offenen Herzen der Zielgruppe; denn der Preis des Misserfolgs erscheint hoch: Von Buzzfeed über Funk bis ze.tt lancierte die digitale Medienbranche kunterbunte und meinungsstarke Angebote für junge Menschen zwischen 18 und 35 Jahren. Nun verkündeten Fachmedien am 10. Juni das geplante Aus für Bento, das im Jahr 2015 nassforsch wie hoffnungsfroh gestartete Lockangebot des Hamburger Spiegel-Verlags für junge Leute, um sich mit eigenständigem Namen und ohne Dünkel der traditionsreichen Muttermarke der Welt der Nachrichten zu nähern. Bento steht wahrscheinlich nicht am Ende einer schon recht langen Reihe an gescheiterten Millennial-Medien, denn Ablegern wie BYou von Bild oder BNow von Bunte sowie der deutschen Huffington Post kriselt es auch stark bei Buzzfeed und Vice, den einstmals verrufenen wie bewunderten Enfant Terribles des Nachrichtensektors.

Das Logo des VOCER Millennial Labs

Beim Trendreporting des VOCER Millennial Labs recherchieren und analysieren wir den Markt der Medienangebote, die sich an Millennials richten, fassen relevante Studien zusammen und geben internationale Einblicke in den Journalismus für neue Zielgruppen. In diesem Beitrag beleuchten wir die relevanten Ergebnisse des Reuters Digital News Report 2020.

Die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers kommt in einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Marktstudie zum Konsumverhalten von 18- bis 24-Jährigen über die „Generation Z“ zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit junger Leute Gesundheits- oder Fitness-Apps auf ihren Smartphones installiert haben und nachhaltig orientiert sind, wenn sie es sich leisten können. Eine weitere Erkenntnis: Was im Medienbereich nicht on-demand und online zu haben ist, hat bei den meisten Menschen unter 24 keine Chance. Deutlich differenziertere Ergebnisse liefert der alljährliche Statusreport zur digitalen Nachrichtennutzung des Reuters Institute an der University of Oxford. Gerade sind die neuen Ergebnisse für Deutschland erschienen, die von Sascha Hölig und Uwe Hasebrink unter Mitarbeit von Julia Behre vom Leibniz Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut als Arbeitspapier veröffentlicht wurden. Sie offenbaren, dass junge Internetnutzer*innen keineswegs aversiv gegenüber Nachrichten sind. Dennoch ist die Lage ernst, weil kompliziert, da es Nachrichtenanbietern in der Breite augenscheinlich nicht gelingen mag, junge Menschen in ausreichendem Maße für Journalismus zu begeistern und ihren Mehrwert gegenüber anderen Medienangeboten abzugrenzen.

Die zusammengefassten Ergebnisse im Einzelnen:

Nachrichtenangebote im Netz haben vergleichsweise selten junge Fans.
Nicht mehr als die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen Befragten zeigt sich überaus und sehr an Nachrichten interessiert. Das sind immerhin wieder etwas mehr als im Vorjahr, das mit nur 43 Prozent einen Tiefpunkt markierte. Auch zeigt sich in der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen mit zwei Dritteln ein wieder etwas höherer Anteil Interessierter. Allerdings deutet dies auf eine eher nachrangig priorisierte Nachrichtennutzung hin, die als unmotivierte Pflichtübung erscheint, um über das Weltgeschehen mitreden zu können; denn immerhin zeigt sich mit 87 Prozent der GenZ bis 24 Jahren und 91 Prozent der Millennials bis 34 Jahren die Häufigkeit der Nutzung (mindestens mehrmals pro Woche) als stabil. Und: 16 Prozent der Jüngsten und 13 Prozent der Millennials (2019 jeweils 11 Prozent) zahlen bereits in irgendeiner Form für Online-Nachrichten.

Die Bedeutung des Journalismus in der Gesellschaft steht in Frage.
Unter jungen Internetnutzer*innen, besonders bis zum Alter von 24 Jahren, ist eine hohe gesellschaftliche Relevanz eines unabhängigen Journalismus kein No-Brainer. 15 Prozent dieser Altersgruppe hat sich über die Rolle unabhängiger Berichterstattung für ihre Gesellschaft sogar noch keine Meinung gebildet („weiß nicht“). Mehr als ein Zehntel meint sogar, unabhängiger Journalismus sei unwichtig für das einwandfreie Funktionieren der Gesellschaft. Insgesamt gibt es bei den Angehörigen der Generation Z die geringsten Zustimmungswerte im Altersvergleich.

Lokalberichterstattung hat einen schweren Stand.
Junge Leute zeigen im Altersvergleich traditionell wenig Interesse an lokaljournalistischen Angebote. Zwar zeigen sich 65 Prozent der ganz jungen und 82 Prozent der Millennials mindestens einigermaßen interessiert für lokale Nachrichten, doch liegen die beide Werte unter dem altersübergreifenden Durchschnitt. Wenn sich in diesen beiden Altersgruppen über Lokales informiert wird, dann primär über lokale Zeitungen online und offline (40/51 Prozent) und persönliche Kommunikation (30/36 Prozent). Die meisten jungen Menschen im Alter von 18 bis 24 Jahren würden bei einer hypothetischen Einstellung des Erscheinens aber doch ihre Lokalzeitung oder lokalen TV-Nachrichten vermissen.

Politikmüdigkeit grassiert weiter.
Auch das Interesse an Politik bleibt gering: Nur etwas mehr als ein Drittel der bis 24-Jährigen ist stark an Politik interessiert – der geringste Wert im Altersvergleich – und 27 Prozent zeigen sich nicht sehr und überhaupt nicht interessiert. Zum Vorjahr gibt es dahingehend kaum Veränderungen, wohingegen das Interesse der etwas älteren Millennials bis 34 Jahre merklich anzieht.

Das Ende des linearen Informationsfernsehens ist nah (in den Medienrepertoires der Jüngeren).
Wer als junger internetaffiner Mensch Nachrichtenangebote nutzt, greift immer seltener zur Fernbedienung. Es gibt in der GenZ nur halb so viele TV-Nutzer*innen (42 Prozent) und Zeitungsleser*innen (19 Prozent) wie in der Altersgruppe 55+ (83  bzw. 40 Prozent). Auch zwischen 25 und 34 Jahren werden die traditionellen Mediengattungen tendenziell seltener genutzt. Seit dem Jahr 2013 hat das lineare Fernsehen bei den bis 24-Jährigen um mehr als 20 Prozentpunkte eingebüßt, wohingegen Social Media in Bezug auf die Nachrichtennutzung im selben Zeitraum 25 Prozentpunkte hinzugewonnen hat. Aber: In den ersten Wochen der Corona-Pandemie feierten Fernsehnachrichten eine Art (kurzzeitige) Renaissance und verzeichnete vor allem bei den Millennials (+11 Prozentpunkte), aber auch unter den 18- bis 24-jährigen (+4 Prozentpunkte) einen Anstieg.

Nachrichten erreichen junge Menschen hauptsächlich in sozialen Netzwerken.
Seit Jahren liegt die Dominanz von Social Media im Medienhandeln junger Menschen auf der Hand. Bei der Frage nach der wichtigsten Nachrichtenquelle zeigt sich, dass daneben kaum noch Platz oder vielmehr Zeit für andere Nachrichtenangebote traditioneller Mediengattungen bleibt: Während sich nahezu drei Viertel der 18- bis 24-Jährigen und 60 Prozent der 25- bis 34-Jährigen im Internet informiert, liegen Social Media als Hauptnachrichtenquelle bei fast einem Drittel der Jüngeren mit weitem Abstand vorn, gefolgt von Websites von Nachrichtenmagazinen und Zeitungen (jeweils 13 Prozent) und Netzangeboten von TV- und Radioanbietern (11 Prozent). Bei den etwas älteren Millennials gestaltet sich die Verteilung etwas ausgewogener, doch auch hier führen Social Media bei einem Fünftel der Nutzer*innen zwischen 24 und 34 Jahren.

Der Facebook-Kosmos ist weiterhin für die Nachrichtendistribution relevant, doch YouTube gefährdet die Führungsposition.
YouTube liegt bei den jüngsten Befragten in der Nachrichtennutzung auf Social-Media-Plattformen vorn, Facebook bei den etwas älteren Millennials, von denen aber auch fast jeder Fünfte gern informative Videos auf YouTube schaut. WhatsApp behauptet sich stark in beiden Altersgruppen. Instagram setzt seinen Siegeszug in der Generation Z gegenüber der Muttermarke fort und liegt bereits vier Prozentpunkte vor Facebook, wenn es darum geht, Nachrichten zu suchen, zu lesen, anzuschauen, zu teilen oder darüber zu diskutieren. Auch unter dem Eindruck der um sich greifenden Corona-Pandemie zeigte sich eine ähnliche Verteilung.

Zwiegespaltene Ergebnisse zur Akzeptanz von Meinungsjournalismus.
Altersübergreifend bevorzugen etwa zwei Drittel der befragten Internetnutzer*innen Nachrichtenangebote, die keine dezidierte Meinung vertreten, also überparteilich und neutral berichten. Etwas mehr als jede*r Zehnte nutzt bevorzugt Nachrichtenangebote, die die eigene Meinung teilen. Und nur vier Prozent sehen ihre eigene Meinung gern durch ein Nachrichtenangebot herausgefordert. Unter den jüngsten Befragten ist der Anteil dieser Nutzenden mit zwölf Prozent am höchsten. Bei den etwas älteren Millennials dagegen hält sich fast jede*r Fünfte an Angebote, welche die eigene Meinung spiegeln – im Vergleich zu den übrigen Altersgruppen der höchste Wert.

Das Vertrauen in digitale Nachrichtenangebote bleibt ambivalent.
Junge Internetnutzer*innen verzeichnen im Altersvergleich die geringsten Zustimmungswerte beim allgemeinen Vertrauen in Nachrichten, wobei die Differenz zu Befragten mittleren und gehobenen Alters bei 11 bis 20 Prozentpunkten liegt. Bei den selbst genutzten Nachrichten sind die Abweichungen geringer, unter den Jüngeren jedoch glauben auch hier mit ungefähr nur der Hälfte vergleichsweise wenig Befragte, dass sie dem Großteil der Nachrichten, die sie nutzen, meistens vertrauen können. Bezeichnenderweise sind die Vertrauenswerte für Nachrichten, die über soziale Medien und Suchmaschinen verbreitet werden, altersübergreifend sehr gering. Das schließt auch die auf Social Media abonnierten Angehörigen der Generation Z und der Millennials ein. Suchmaschinen sind den Jüngeren – obwohl intensiv genutzt – ohnehin ein Dorn im Auge, da sie im Vergleich zu den Älteren zu einem größeren Anteil die Sorge haben, dass darüber falsche Informationen verbreitet werden. Nichtsdestotrotz sind Suchmaschinen (für 30 Prozent) neben Social Media (für 37 Prozent) regelmäßige Zugangswege der Jüngeren zu Nachrichtenbeiträgen, auch in der Corona-Pandemie.

Junge Erwachsene fühlen sich kompetent, Fake News zu erkennen.
Selbstsicherheit bietet zwar keinen Schutz, doch von den 18- bis 24-Jährigen unter den Befragten glauben nur 28%, dass sie womöglich Falschmeldungen nicht von Fakten unterscheiden können. Ältere sind da insgesamt deutlich unsicherer und selbstkritischer. Dabei ist es gerade die jüngste Altersgruppe der Befragungsstudie, die mit ihrem Hang zur Social-Media-Nutzung verstärkt manipulierten und interessensgeleitenden Inhalten konfrontiert wird. Gefahr geht aus Sicht eines knappen Viertel dieser Altersgruppe von ausländischen Regierungen, Politiker*innen oder politischen Parteien als Urheber falscher oder irreführender Informationen aus. Gleichzeitig zeigen sich die Jüngeren als liberalste Altersgruppe in der Frage, ob politische Akteure in sozialen Medien Werbung für sich und ihre Ziele machen dürfen sollten: Zwei Fünftel der Jüngeren im Vergleich zu 16 Prozent der über 55-Jährigen stimmen hier zu.

Newsletter sind weiterhin ein Geheimtipp. 
Durchschnittlich 4,4 bzw. 4,5 Newsletteranbieter haben 18- bis 24-Jährige und 25- bis 34-Jährige abonniert im Vergleich zu 3,5 bis 3,7 bei den älteren Befragten. Die Intensität der Nutzung ist aber denkbar unterschiedlich: Während die GenZ offensichtlich gern breit abonniert, aber nur ausgewählt sehr intensiv liest (und manche aktive Abos auch komplett ignoriert), browsen Millennials gelegentlich durch die empfangenen E-Mails all ihrer Newsletter-Abonnements. Altersübergreifende Favoriten sind Nachrichtenüberblicke, die schnell und auf einen Klick Ordnung in den ohnehin tiefgreifend mediatisierten Alltag bringen sollen.

Die Popularität von Online-Video gilt nicht für Nachrichten.
Journalistische Inhalte werden bevorzugt auch von den Jüngeren gelesen als  geschaut oder gehört, wobei Audio-Angebote bei den 18- bis 24-Jährigen etwas höher in der Gunst liegen als bei den übrigen Altersgruppen. Wenn doch Videos genutzt werden, um sich nachrichtlich zu informieren, dann liegt YouTube bei GenZ als auch bei den Millennials vorn (für ein Drittel bzw. ca. ein Viertel). Doch auch Nachrichtenapps und -websites schließen hier auf (für jeweils etwa ein Viertel).

Podcasts sind in der Informationsnutzung etabliert.
Bei 18- bis 24-Jährigen und 25- bis 34-Jährigen sind Podcasts populär. Die jüngste Altersgruppe zeigt sich mit 54 Prozent monatlicher Podcast-Hörer*innen als besonders begeistert, Millennials zeigen sich mit 42 Prozent monatlichen Nutzer*innen auch zugeneigt. Im Vordergrund stehen allgemeine Nachrichten, spezifische Wissensthemen und Lifestyle. Spotify ist bei den Befragten bis 34 Jahren der ungeschlagene Champion der Podcast-Plattformen, gefolgt von YouTube.

Fazit

  1. Die Ergebnisse machen deutlich, dass Nachrichtenanbieter und die journalistische Praxis ihre Relevanz permanent neu unter Beweis stellen müssen. Der Bedarf an verlässlichen Informationen ist auch in Kreisen jüngerer Menschen hoch, nicht erst seit der Corona-Pandemie. Doch nachwachsende Mediengenerationen werden nicht zwangsläufig an die Rolle des Journalismus in der Gesellschaft und den Qualitätsanspruch etablierter Nachrichtenmarken herangeführt. Die Nutzerbindung ist durch eine zum Teil grundlegend gewandelte Mediensozialisation in Familien prinzipiell eher gering, die Fluktuation in der Nutzung von Medienangeboten im Allgemeinen und Nachrichtenquellen im Besonderen eher hoch. Auch wenn fast drei Viertel der jungen Befragten dem professionellen Nachrichtenbetrieb eine wichtige Funktion für die Gesellschaft zuerkennen, ist die Zahl derer, die ihm eine zentrale Funktion in der gesellschaftlichen Selbstverständigung beimessen, in dieser Altersgruppe bemerkenswert hoch. Nachrichtenkompetenz kann erlernt werden, Wertschätzung aber müssen sich Journalist*innen und Anbieter von journalistischen Inhalten erarbeiten und verdienen.
  2. Die Relevanz von Nachrichtenangeboten im Alltag junger Menschen erscheint gering und tendenziell weiter abzunehmen. Lebenswirklichkeit wird heute von jungen Erwachsenen hauptsächlich unter Zuhilfenahme anderer medialer Inhalte konstruiert. Noch sind journalistische Inhalte für jüngere Nutzer*innen ohne klares Bild von der Vertrauenswürdigkeit der Nachrichtenquelle schwer auf Social-Media-Plattformen zu erkennen und können ihre besonderen Qualitäten nicht klar genug vermitteln. Eine weitere massive Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Plattformbetreibern und Nachrichtenanbietern bei der Kenntlichmachung von und Aufklärung über Nachrichtenquellen erscheint dringend angezeigt – und zwar auf Augenhöhe.
  3. Die Erwartungen an fundierte Nachrichten orientieren sich auch bei den Jüngsten an tradierten Vermittlungsformen, allen voran Text. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass sich journalistische Praxis weiterhin in den Grenzen konventionellen Nachrichtenschreibens bewegen muss: Gefragt sind kreative Ideen, wie Nachrichten verständlich und leicht zugänglich Menschen im Alter bis Mitte 30 erreichen können, gerade wenn sie bislang eher selten, unleidenschaftlich und im Sinne einer grundsätzlichen Bedarfsbefriedigung klassische Nachrichteninhalte rezipieren. Die Vorstellung eines vorrangig an Meinung und Haltung interessierten jungen Publikums ist weitestgehend entkräftet. Gefragt ist neutrale und sachliche Berichterstattung, auch für junge Leute. Es braucht co-kreative Verfahren, um gemeinsam mit der Zielgruppe Wege und Formen zu finden, sie (in der Regel erstmals) für Journalismus zu begeistern. Der steht nun einmal de facto im Wettbewerb mit einem Potpourri an informierenden und unterhaltenden Inhalten im Netz und mit dem breiten Spektrum an wechselseitiger Kommunikation mit Familie, Freunden, Gleichgesinnten. Gemeinsame (Generationen-)Projekte können viel erreichen, vor allem einen Sinn dafür und Lust darauf, dass es sich lohnt, regelmäßig und aktiv Nachrichteninhalte anzusteuern, sie sich anzueignen und sich womöglich auch darauf aufbauend aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft zu engagieren.
  4. Die Rückschläge im Feld der Millennial-Medien mögen als eine weitere Schlappe etablierter Medienhäuser und eine erste Schlappe großspurig expandierter Start-Ups bei dem Versuch gelten, ein junges Publikum als wertvolle Vermarktungsgröße und zukünftige Abonnenten zu gewinnen. Es können einige Lehren aus dem offenbaren Misserfolg einzelner junger Nachrichtenmarken gezogen werden. Eine davon ist, dass es Entwicklungsredaktionen, als solche die meisten größeren Millennial-Medien gestartet sind, grundsätzlich schwer haben, sich in einem Unternehmenszusammenhang mit einer starken Dachredaktion und Geschäftsführung publizistisch wie wirtschaftlich zu behaupten. Letztlich zählt immer, wie lang der Atem sein darf, der einem solchen Projekt eingeräumt wird, bis nackte Kalkulationsgrößen der Wirtschaftlichkeit beim Benchmarking Überhand nehmen. Zum anderen sei dahingestellt, ob eigene abgrenzbare Medienmarken für junge Publika zielführend sind, gerade weil die Etablierung neuer Marken stets mit hohem Aufwand und unsicheren Erfolgschancen einhergeht, nicht erst im Medienbereich. Keinem der weiteren in den vergangenen fünf Jahren gestarteten Ablegern wie Orange by Handelsblatt oder ze.tt von Zeit Online ist bislang der große Wurf oder kommerzielle Befreiungsschlag im Segment der Nachrichtenwebsites für junge Leute gelungen.
  5. Angesichts der größtenteils als solide zu bezeichnenden Erwartungen junger Nutzer*innen an vertrauenswürdige Nachrichteninhalte ist vielmehr an eine niedrigschwellige Integration möglichst flexibler, zielgruppenauthentischer, ansonsten aber dem Glaubwürdigkeit vermittelnden Markenkern des Mediums entsprechender Angebote zu denken. Zum einen stehen natürlich Themen und die Herangehensweise an diese im Vordergrund: Konstruktivität und Lösungsorientierung in der Berichterstattung sind ein Beispiel für leichte Anpassungen in redaktionellen Agenden mit großer Wirkung bei jungen Nutzer*innen. Ein Hauptaugenmerk gilt der ehrlichen Ansprache (bspw. durch Gleichaltrige) und einer dialogischen und nicht allein distributiven Präsenz auf sozialen Medienplattformen. Die abwechselnde Popularität großer sozialer Medien-Plattformen zeigt die Notwendigkeit, es in Redaktionen nicht an der erforderlichen Flexibilität mangeln zu lassen, sich so intuitiv wie die Nutzer*innen auf neue Kommunikations- und Vermittlungsformen einzulassen, die sich mit neuen Social-Media-Trends rasant verbreiten. Aber Co-Präsenz zur Markenbindung und Engagierung junger Menschen ist vielgestaltig vorstellbar, auch im Veranstaltungsbereich nach oder auch mit Corona – hier hat unter anderem als ein Beispiel Zeit Online mit dem Z2X-Festival der neuen Visionäre ein interessantes Referenzprojekt verstetigt, das junge Kreative engagiert, die Redaktion lernen lässt und darüber Themen und Formen für die journalistische Praxis generiert.

Mehr Trendreport vom VOCER Millennial Lab:

JIM-Studie 2019: Der Informationshunger der YouTube-Aficionados

Durch die Gesellschaft verläuft ein tiefer demographischer Bruch, zumal mit Blick auf den Nachrichtenkonsum: Während sich junge Mediennutzer*innen permanent rasch in pionierhaftem und intensivem Drang dem Internet und dessen vielgestaltigen, multifunktionellen und nicht selten grellen, verspielten Diensten zuwenden, verändern sich die Mediennutzungsgewohnheiten der Älteren langsamer. Auch sie entdecken innovative Medienangebote für sich, aber deutlich später, zum Teil um Jahre verzögert.

Der digitale Medienwandel verläuft mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten: Das Aufwachsen unter den Vorzeichen einer digitalen Medienumgebung unterscheidet sich in vielen Merkmalen grundlegend von der Sozialisation in der analog geprägten Medienwelt der 1980er, 1990er und frühen 2000er Jahre. Lang gepflegte Gewohnheiten ändern sich nur schleppend. Die daraus resultierenden demographischen Umwälzungen in der Mediennutzung stellen Verlagshäuser vor tiefgreifende Probleme: Während die Jüngeren ihnen Flexibilität, Kreativität und Experimentiergeist abverlangen, um in der dynamischen Medienumgebung überhaupt noch wahrgenommen zu werden, möchten sich Ältere weiterhin auf ein konstantes, kohärentes Produkt und eine vertraute Ansprache verlassen können.

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Beim Trendreporting des VOCER Millennial Labs recherchieren und analysieren wir den Markt der Medienangebote, die sich an Millennials richten, fassen relevante Studien zusammen und geben internationale Einblicke in den Journalismus für neue Zielgruppen. In diesem Beitrag beleuchten wir die relevanten Ergebnisse der repräsentativen Langzeitstudie „Jugend, Information, Multimedia.“

Zeigt sich der demographische Bruch in der Mediennutzung besonders eindrücklich im Vergleich von Jugendlichen und Senior*innen, ist gerade der Blick auf jüngere Generationenunterschiede lohnend: Was können Journalist*innen und Nachrichtenanbieter davon lernen, wie der Blick von Jugendlichen auf das Medienangebot der Gegenwart im Vergleich zu jungen Erwachsenen abweicht? Um die divergenten Muster (nicht ausschließlich) in der Mediennutzung besser herausarbeiten zu können, hat sich das US-amerikanische PEW Research Center schon seit einigen Jahren entschieden, die Folgegeneration der Millennials klar zu definieren: Die „Generation Z“ wird von dem sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut nun mit den Jahrgangskohorten der von 1997 bis 2012 Geborenen beschrieben, wohlwissentlich dass es sich bei der Festlegung von Geburtsjahrgängen immer nur um eine Annäherung an die ohnehin starke Heterogenität von Menschen in ihren kommunikativen Figurationen und sozialen Milieus handeln kann.

Wenn schon die jungen Erwachsenen der Jahrgänge 1981 bis 1996 mit ihrem veränderten Mediennutzungsverhalten die journalistische Praxis und die Wertschöpfung der Nachrichtenindustrie vor immense Herausforderung stellen: Wie kann sich der Journalismus in den Medienrepertoires der Kinder der Generation X (1965-1980) behaupten? Die häufig als GenZ beschriebene Altersgruppe kennt keine Medienwelt ohne Smartphones, Social Networks, Entertainment-Streaming und scheinbar unerschöpflichen Abrufangeboten im Netz. Seit 1998 untersucht die repräsentative Langzeitstudie „Jugend, Information, Multimedia“ des Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest aus Stuttgart jährlich die mediale Geräteausstattung und das Medienhandeln von Jugendlichen in Deutschland. In ihrer 23. Erhebung für das Jahr 2019 finden sich einige aufschlussreiche Ergebnisse, die darauf hinweisen, wie der Journalismus seinen Auftrag, seine Formen und Vertriebswege verknüpfen muss, um die jüngste Generation nachhaltig zu erreichen.

Die JIM-Studie 2019 kommt zu folgenden Ergebnissen:

  • Neun von zehn Jugendlichen ist täglich online, im Schnitt etwa dreieinhalb Stunden. Bedeutsam ist hierbei nicht allein der Gerätebesitz von Jugendlichen, sondern die Ausstattung mit Medientechnik im familiären Haushalt: Dieser ist in weitem Umfang durch eine große Vielfalt an unterschiedlichen Empfangs-, Abspiel- und Assistenzgeräten geprägt. Smartphones und Computer/Laptops sind ebenso wie WLAN-Technologie allgegenwärtig. Auch Fernseher und Radiogeräte behaupten sich wie auch klassische Abspieltechnik (DVD-Player/Festplattenrecorder). Abonnements für Video- oder Musik-Streaming sind in mehr als zwei Dritteln der Haushalte vorhanden. Tablet-PCs gibt es bei 63 Prozent, Spielekonsolen bei 60 Prozent der Familien. Wearables (31 Prozent) und digitale Sprachassistenten (16 Prozent) sind ebenfalls im Kommen. Schon acht Prozent der Jugendlichen nennt letztgenanntes Gerät bereits ihr Eigen. Der Primat des Smartphones als wichtigstes Gadget unter Jugendlichen ist mit 93 Prozent allerdings ungebrochen.
  • Manche mag es überraschen, andere beruhigen: Die Kulturtechnik des Lesens ist speziell für Jugendliche in unserer tiefgreifend mediatisierten Ära nicht zwingend eine lästige Pflicht. Sie lesen häufig, nicht nur im Rahmen des Schulunterrichts, sondern auch in ihrer Freizeit – ob gedruckte Bücher, Zeitschriften oder auch Zeitungen, aber vor allem Online-Informationen. eBooks dagegen sind nicht sonderlich beliebt. Im Schnitt gibt sogar nur weniger als jede*r Fünfte an, nie ein Buch freiwillig in die Hand zu nehmen. Mehr als ein Drittel lesen mehrmals pro Woche zum Vergnügen ein klassisches Buch.
  • Gelesen wird auch häufig und engagiert beim wechselseitigen Austausch mit der Peergroup: Direktkommunikation bleibt die für Jugendliche wichtigste Medienbeschäftigung im Internet. Im Schnitt mehr als eine Stunde täglich verbringen Jugendliche damit. Seit Jahren führt hier WhatsApp das Feld an und prägt als beliebteste Messaging-Anwendung den Austausch unter Jugendlichen – 93 Prozent innen nutzen den Dienst, unter den 16- bis 17-Jährigen sogar 98 Prozent. Die Bedeutung, sich mittels Webanwendungen mit Sozialkontakten auszutauschen, ist über im vergangenen Jahrzehnt zwar von 47 auf nur noch 33 Prozent zurückgegangen. Davon profitierte allerdings nicht das Informationsverhalten, das von 14 auf nur noch 10 Prozent sank. Vielmehr verbringen Jugendliche heute mehr Zeit mit Online-Spielen (Anstieg von 18 auf 26 Prozent) und Unterhaltungsangeboten im Netz (22 auf 30 Prozent).
  • Gespielt wird immer länger und intensiver: Die Bedeutung von Computerspielen und speziell Online-Games ist weiter gestiegen. Maßgebliche Antriebskraft ist hierbei der Vergemeinschaftungscharakter von Netzwerkspielen – vorne in der Gunst der Jugendlichen liegen aus den Vorjahren bekannte Dauerbrenner wie „Fortnite“, „Minecraft“ und „FIFA“. Der Bildungsgrad spielt dabei kaum einen Unterschied: Die Mehrheit der Haupt- und Realschüler (67 Prozent) bzw. Gymnasiasten (60 Prozent) spielt täglich oder mehrmals die Woche Computer-, Konsolen-, Tablet- oder Smartphone-Games. Etwa 13 Prozent der Jugendlichen nutzt nach eigenen Angaben nie digitale Spiele.
  • Die Lieblings-Internetanwendungen der Jugendlichen bleiben YouTube (63 Prozent), WhatsApp (39 Prozent) und Instagram(35 Prozent). Instagram legt hier mit 5 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr am deutlichsten zu. Facebook verliert weiter an Zuspruch: Nur noch verschwindend geringe vier Prozent nennen das Social Network als ihren Favoriten. Auch Spotify verliert etwas. In der tatsächlichen Nutzung zeigt sich ein ähnliches Bild – mit einem Senkrechtstarter: Zwar behaupten WhatsApp, Instagram, auch Snapchat im Bereich Kommunikation mit leichten Abstrichen ihre Führungsrollen, doch mit TikTok taucht erstmals eine Plattform auf, die von etwa jedem siebten Jugendlichen und von sogar etwa jedem fünften Mädchen regelmäßig genutzt wird. Besonders häufig sind hier die Unter-16-Jährigen aktiv (21-22 Prozent). Im Bereich der Bewegtbildangebote führt weiterhin YouTube vor Netflix, Amazon Prime und den Mediatheken der klassischen Fernsehsender: 90 Prozent der Jugendlichen nutzen das breit gefächerte Video-Angebot von Googles Video-Plattform – hauptsächlich Musikvideos und lustige Clips, fremdsprachige Videos oder Videos von Influencern/Creators. Bei Jungen sind Let’s-Play-Videos sehr beliebt, bei Mädchen Mode- und Beauty-Videos. Dagegen produzieren verschwindend wenige Jugendliche eigene Inhalte, um sie auf YouTube zu veröffentlichen.
  • Bei der Suche nach Informationen werden zwar auch Videos auf YouTube angeschaut (im Mittel von ca. 55 Prozent der Befragten), die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen konsultiert aber weiterhin Suchmaschinen wie Google (87 Prozent, keine Veränderung zum Vorjahr). Wikipedia war und ist für ein Drittel der 12- bis 19-Jährigen eine regelmäßige Quelle für Informationen. Klassische Nachrichtenangebote von Verlagshäusern oder solche, die über Facebook und Twitter verbreitet werden, büßen geringfügig an Relevanz ein, nur E-Mail-Anbieter steigerten sich etwas und erreichen mit ihren Nachrichtenangeboten etwa jeden elften Jugendlichen täglich oder mehrmals in der Woche. Hier sind es vor allem die Älteren und die Gymnasiasten, die überdurchschnittlich häufig traditionelle Nachrichtenquellen im Internet ansteuern. Bei den 18- bis 19-Jährigen zeigt sich der Informationsbedarf ohnehin am stärksten: Auch Suchmaschinen (92 Prozent) und Wikipedia (43 Prozent) werden regelmäßig frequentiert. YouTube ist besonders bei den 16- bis 17-Jährigen beliebt: mehr als zwei Drittel schauten sich dort in 2019 Videos an, um sich über Themen zu informieren.
  • Auch wenn für 13 Prozent der Jugendlichen in ihrem familiären Umfeld die gedruckte Tageszeitung immer noch eine Rolle spielt (im Vergleich zu 21 Prozent im Vorjahr) und Bestandteil ihrer Nachrichtenversorgung ist, gehört es im Mittel für 42 Prozent zum Alltag, Nachrichten per Smartphone-App zu empfangen (Jungen neigen etwas häufiger dazu als Mädchen). Bei den 16- bis 19-Jährigen trifft dies auf etwa jede*n Zweite*n zu, bei den 12- bis 13-Jährigen auf etwa jede*n Vierte*n. Als Mittel der Alltagsorganisation sind den ältesten befragten Jugendlichen nur Navigations-Apps wichtiger. Bei den Unter-18-Jährigen übertrumpfen auch Fahrplan-Apps und die vorgeschriebene App ihrer jeweiligen Schule den Nutzwert einer Nachrichten-App.
  • Die aktuelle Erhebung der JIM-Studie fragt auch nach Konfrontation von Jugendlichen mit Hass und Fake News. Hierbei wurde ein Fokus auf Formen von Hassrede wie konkrete Hassbotschaften, extreme politische Ansichten, beleidigende Kommentare sowie sogenannte „Fake News“ gelegt. Eine nähere begriffliche Bestimmung von „Fake News“ findet sich in der Studie nicht. Dabei handelt es sich nicht etwa um Fehler in der journalistischen Berichterstattung, sondern um die gezielte Verbreitung falscher, erfundener oder irreführender Informationen. Dabei können Fakten auch bewusst aus dem Zusammenhang gerissen oder falsch interpretiert werden, um Menschen zu manipulieren. Mehr als zwei Drittel der Jugendlichen geben an, im vergangenen Monat mit Hassbotschaften online in Berührung gekommen zu sein. 57 Prozent waren mit extremen politischen Ansichten konfrontiert, 47 Prozent mit beleidigenden Kommentaren und 53 Prozent mit Fake News. Nur ein knappes Fünftel blieb nach eigenen Angaben von diesen problematischen Online-Inhalten unbehelligt.

Fazit

  • Jugendliche informieren sich aktiv und regelmäßig, verlassen sich dabei aber hauptsächlich auf ihre eigenen Suchstrategien und die Algorithmen von Suchmaschinenbetreibern. Die Bindung zu Online-Nachrichtenmarken ist gering, lieber wird mittels eingegebener Suchbegriffe bei Google, YouTube oder Wikipedia recherchiert. Der Informationshunger wird damit seltener mit aktuellen Nachrichten, sondern üblicherweise mit einem breiten Spektrum an Quellen gestillt, deren Verlässlichkeit für die jungen Nutzer*innen nicht selten im Unklaren bleibt.
  • Jugendliche der Jetztzeit werden wie jeher stark durch das familiäre Umfeld geprägt. Sie kennen die dominanten Mediengattungen der Vergangenheit wie das Fernsehen und seine linearen Programme oder Zeitungen und nutzen sie – gemeinsam mit ihren Eltern und Großeltern. Auch die kulturelle Bedeutung dieser alten Medien und ihrer publizistischen Flaggschiffe ist ihnen als überlieferte Zuschreibung präsent, spielt aber in der inhaltlichen Orientierung ihres selbstbestimmten Medienhandelns keine herausragende, sondern eine entsprechend tradierte und eher begleitende Rolle. Ihre Werte und (para-)sozialen Beziehungen pflegen sie auf anderen Online-Plattformen, in einer Welt, in die sie als Kinder mit iPhone, Facebook, Instagram, WhatsApp und Snapchat hineingewachsen sind. Während Millennials als Teenager noch mit den Erfahrungsschablonen des Analogen die erste Phase der Digitalisierung bewältigen und sich mit der neuen Online-Welt arrangieren mussten, ist für die Generation Z nichts Neues oder Befremdliches mehr am Digitalen. Sie begegnen im Gegenteil den Produkten der vordigitalen Ära mit Distanz.
  • Nie stand einer Generation eine größere Vielfalt und Vielzahl an technischen und inhaltlichen Medienangeboten zur Verfügung. Und nie wandelte sich die Zahl der Medienangebote schneller als heute. Diese volatile Transformation der digitalen Medienumgebung fordert Jugendlichen heutzutage – anders als der vorangehenden Generation der Millennials – keine Anpassungsversuche ab: Sie unterhalten und informieren sich wie selbstverständlich mit permanent gescrollten Bild-, Video-, Text-Inhalten in einem dynamischen Multi-App-Arrangement.
  • Als Superlativ, glaubt man dem Social Buzz der Medienbranche, in der Umwerbung von Jugendlichen mit zeitgemäßen Medientrends erscheint TikTok, ehemals Musical.ly, die zurzeit am schnellsten wachsende Social Network App der Welt. Nach den Ergebnissen der JIM-Studie ist TikTok jedoch dezidiert nicht die neue Lieblings-App unter den Jugendlichen, das machen die Autor*innen der Studie klar: Nur vereinzelt sei die App als liebstes Angebot genannt worden und spiele bei dieser Fragestellung keine Rolle. Selbst Twitter rangiert demgemäß mit 2 Prozent noch vor der chinesischen Playback-Performance-Plattform. Allerdings weisen die Wachstumszahlen des vergangenen Jahres insbesondere bei Mädchen unter 16 Jahren (21-22 Prozent) darauf hin, dass TikTok de facto eine steigende Relevanz in der regelmäßigen Nutzung erhält. Die damit verbundene Mischung aus Musik, Choreographie, Imitation und performative Interaktion ergänzt die von anderen sozialen Plattformen geprägten Kommunikations- und Darstellungsformen und wird bei der Adressierung von Jugendlichen zumindest mittelfristig eine ernstzunehmende Rolle spielen. Nachrichtenmedien haben den problematischen Umgang des chinesischen Betreibers mit Datenschutz und Zensur kritisch aufzugreifen. Gleichzeitig experimentieren nicht nur Jugendradios wie „1Live“ oder „Das Ding“ mit TikTok, sondern auch etablierte Nachrichtenmarken wie die „Tagesschau“ oder „Washington Post“ entwickeln ganz eigene Formen, ihre Marke und Themen auf TikTok zu platzieren.
  • Während Facebook die Online-Kommunikation und die Sharing-Kultur der Millennials revolutioniert hat und in jüngeren Jahren nach und nach vermehrt auch das Medienhandeln älterer Generationen prägte, können heutige Jugendliche der Plattform kaum noch etwas abgewinnen und bevorzugen eine klare Trennung von Messaging und die Veröffentlichung persönlicher Erlebnisse: WhatsApp und Instagram sind für das Kommunikationsverhalten der GenZ bislang alternativlos. Auch für die Nutzung unterhaltender Inhalte werden sie immer wichtiger, indem die beiden ebenfalls zum Facebook-Konzern gehörenden Plattformen in Kombination effizient Text- und Bildkommunikation verbinden – wohingegen Sprachfeatures (Voice Messaging oder Instagram-Videos) nur selten genutzt werden.
  • Dabei erscheint die konkurrenzlose Führungsposition des (kostenlosen) Angebots von YouTube als beliebteste Internetanwendung als Ausdruck eines bedingungslosen Pragmatismus: Hier vereinen sich Musik- und Videonutzung auf einer Plattform. Für heute 12- bis 19-Jährige ist sie der natürliche und einfachste Zugang zu Musikvideos, Sendungen, Serien und Filmen genauso wie zu Tutorials und Erklärvideos, nutzergenerierten Inhalten und lustiger Unterhaltung. Das wird auch dadurch deutlich, dass YouTube von Jugendlichen am häufigsten mobil über das Smartphone genutzt wird: Über Präferenzen entscheiden die Inhalte und der niedrigschwellige Zugang, weniger indes die Loyalität zu einer Medien- bzw. Sendermarke. Dass es bei der ungebrochenen Beliebtheit von YouTube weder bei jüngeren und älteren Jugendlichen noch zwischen den Bildungsgraden nennenswerte Unterschiede gibt, macht dies umso deutlicher.
  • Hass, Beleidigungen und Mobbing gehören für Jugendliche zum traurigen Medienalltag. So präsent sich hassbezogene Kommunikation in den Online-Erfahrungswelten von Jugendlichen manifestiert, so stark werden sie von der Bewältigung kommunikativen Stresses vereinnahmt. Der Orientierungsbedarf ist entsprechend groß, Abschreckung- und Abstumpfungseffekte angesichts einer verrohten Kommunikationskultur im Social Web sind zu befürchten. Journalismus kann hier lösungsorientiert Auswege ebnen und moderierend seine Rolle als Aufklärungsinstanz und Orientierungsgeber Das muss nicht belehrend, aber vertrauenswürdig, verständnisvoll und dialogoffen geschehen – was umso schwieriger erscheint, da das Vertrauen der jüngsten Mediengeneration erst gewonnen werden muss.
  • Gerade in Krisenlagen wie der aktuellen Corona-Pandemie werden Fakten in den sozialen Medien interessensgeleitet aus dem Kontext gerissen oder falsch interpretiert, um Menschen zu manipulieren. Solche „Fakes“ werden dann über WhatsApp, Facebook, Instagram oder andere Plattformen rasant verbreitet, unter anderem weil die Postings auf den Nährboden bestehender Ängste treffen und die weiter schüren können. Das ist besonders in Krisenlagen brandgefährlich, weil hier auch eine Vielzahl junger Menschen nach Orientierung sucht. Bei einer repräsentativen altersübergreifenden Bürgerbefragung im Auftrag der Europäischen Kommission sah 2018 in Deutschland etwa jeder Vierte Journalisten in der Verantwortung, die Verbreitung von „Fake News“ zu verhindern. Dabei haben diese nichts mit Journalismus zu tun. Natürlich aber können und sollten sich auch Journalisten einbringen, um konstruktiv und transparent über ihre Arbeit aufzuklären – schon aus eigenem Interesse, um sich von manipulierenden Inhalten abzugrenzen. Dafür braucht es neue kreative Ansätze, da die Wahrnehmung journalistischer Inhalte insbesondere von einem jungen Publikum nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann. Jugendliche fehlt in der Regel die nötige Quellensensibilität, um Nachrichten als solche zweifelsfrei zu erkennen. Auch können oder wollen sie sich Medieninhalten meist nicht mit kritisch geschultem Blick nähern. Ein wichtiger und grundlegender Schritt wäre eine systematische Förderung von Nachrichtenkompetenz als Teil der Medienkompetenz in der Bevölkerung. Das beginnt damit, journalistische Inhalte überhaupt erst im Überangebot von Inhalten im sozialen Netz auf verschiedenen Plattformen zu erkennen, sie voneinander unterscheiden zu können, ihre Qualität und Glaubwürdigkeit einzustufen und überlegt auszuwählen als Grundlage für eine reflektierte Haltung zu der wachsenden Vielzahl an Informationen im Social Web. Das VOCER Millennial Lab bringt hierfür Journalist*innen mit jungen Mediennutzer*innen zusammen, um gemeinsam an attraktiven Formaten für hochwertige Berichterstattung zu arbeiten, mit deren Hilfe junge Menschen für Journalismus begeistert werden können.

mpfs (2020): JIM-Studie 2019. Jugend, Information, Multimedia. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger (Download)

Mehr Trendreport vom VOCER Millennial Lab:

Es funkt!

Reuters Institute / #usethenews
Die da oben!
The Doe
Screenshot von InshortsScreenshot Inshorts
Reuters Institute
Screenshot von NAS Daily
Reuters Institute for the Study of Journalism

Shell Jugendstudie 2019: Das Ringen um Vertrauen und Klarheit

Die Shell Jugendstudie zeigt in einem Abstand von vier bis fünf Jahren, wie sich die Lebenssituationen, Einstellungen, aber auch das Handeln von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 12 bis 25 Jahren vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandelns verändern. Erklärtes Ziel der Forscher um Studienleiter Mathias Albert, Politikwissenschaftler an der Universität Bielefeld, ist der Anstoß gesellschaftlicher und politischer Diskussionen. Aktuelle Erkenntnisse über Ansichten, Ziele und Wünsche junger Menschen sind vor dem Hintergrund eines erstarkenden Populismus, einer weiter zunehmenden Polarisierung im politischen Betrieb und einer Verrohung der öffentlichen Debattenkultur drängender denn je.

Das Logo des VOCER Millennial Labs

Beim Trendreporting des VOCER Millennial Labs recherchieren und analysieren wir den Markt der Medienangebote, die sich an Millennials richten, fassen relevante Studien zusammen und geben internationale Einblicke in den Journalismus für neue Zielgruppen. In diesem Beitrag beleuchten wir die relevanten Ergebnisse Shell Jugendstudie 2019.

Die Studie stellt eine Bevölkerungskohorte in den Mittelpunkt, die sich zwischen Pubertät und Berufseinstieg befindet. In diesen Lebensphasen beginnt der selbständige Aufbau eines sozialen Beziehungsgeflechts, es finden Schul- bzw. Reifeprüfungen statt, eine Ausbildung und/oder ein Studium wird begonnen, in den Beruf gestartet. Für Jugendliche und junge Erwachsene ist die damit einhergehende persönliche Entwicklung mit einem hohen Orientierungsbedürfnis verbunden. Die zwischen 1993 und 2006 Geborenen kennen keine Medienumgebung ohne das Internet. Ihre Sozialisation wird wie die keiner Generation zuvor von digitalen Medien zur Kommunikation, Information und Unterhaltung bestimmt.

Entsprechend unterstreicht die aktuelle Welle der Langzeitstudie, welche Schlüsselrolle die tiefgreifende Prägung von Kultur und Gesellschaft durch technische Kommunikationsmedien bis in die alltäglichen Lebenswelten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen hinein spielt:

  • Die Freizeitgestaltung wird klar von der Mediennutzung bestimmt: Waren 2015 die „Freizeitfreaks“ nur die zweitgrößte Gruppe in den Reihen der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen, machen die „Medienfokussierten“ nun die größte Gruppe in der Freizeittypologie der Shell Jugendstudie aus. 37% der Befragten werden diesem Typus zugeordnet und zeichnet sich durch überdurchschnittlich lange Nutzungszeiten und eine vielseitige Nutzung von Medienangeboten aus. Und: Es sind vor allem die Jüngeren der jungen Zielgruppe. Musik zu hören steht bei allen Befragten immer noch an oberster Stelle, gefolgt von „Im Internet surfen“, das auf jede*n Zweite*n zutrifft. Hier stehen Streaming-Dienste sowohl für Musik, aber auch für Videos, Filme und Serien im Vordergrund – hier gab es einen deutlichen Anstieg im Vergleich zur letzten Erhebung von vor vier Jahren. Soziale Medien nutzen weiterhin etwas mehr als ein Drittel regelmäßig im Wochenverlauf – ebenso wie das (lineare) Fernsehen, das stark an Popularität eingebüßt hat. Die Mediennutzung geht klar zu Lasten realweltlicher Aktivitäten wie Freunde zu treffen, Sport zu treiben oder in Clubs oder zu Partys zu gehen. Fühlen sich junge Menschen deshalb einsamer? Nein, nur ist festzustellen, dass Jugendliche, die sich häufig einsam fühlen, tendenziell länger am Tag im Netz unterwegs sind.
  • Im Internet aktiv sind Jugendliche und junge Erwachsene nach ihrer Selbsteinschätzung durchschnittlich 3,7 Stunden am Tag, wobei hierbei unberücksichtigt bleiben dürfte, dass sie – ‚always on‘ – üblicherweise andauernd mit ihren Smartphones vernetzt sind. Im Netz zu sein ist gemäß der Studienergebnisse zur Normalität geworden. Nur ein Drittel nutzen das Internet täglich weniger als zwei Stunden. Das Smartphone ist für 70% aller Befragten ihr bevorzugtes Vehikel ins Netz, knapp jede*r Fünfte geht mit einem Laptop oder Tablet online. Die Ergebnisse zeichnen das Bild einer mobilen Jugend, deren Medienerleben durch vergleichsweise kleine Bildschirme und situative Nutzungskontexte geprägt ist, bei denen Medien- und Alltagshandeln stark miteinander verwoben sind.
  • Die mit Abstand wichtigste Online-Aktivität ist die Kommunikation mit Freunden und Familie. Eltern bilden für die meisten Befragten eine wichtige Orientierung bei der Entwicklung der eigenen Zukunftspläne: Die überwiegende Zahl möchte „genau so“ oder „ungefähr so“ später die eigenen Kinder erziehen, wie die ihre Eltern sie erzogen haben. Wie wichtig für junge Menschen die Pflege ihrer sozialen Beziehungen ist, lässt sich daran ablesen, dass 80% der Befragten mehrmals am Tag Messengerdienste wie WhatsApp (oder andere) nutzen, 94% mindestens einmal am Tag. Für nahezu alle befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind gute Freunde (97%), eine vertrauensvolle Partnerschaft (94%) und ein gutes Familienleben (90%) die wichtigsten Themen.
  • Soziale Netzwerke sind und bleiben wichtig, allen voran Facebook und YouTube, die vier von fünf Befragten mindestens einmal am Tag frequentieren. Die Studie stellt unter den Jugendlichen und jungen Erwachsenen dabei auch ein weiter gewachsenes Problembewusstsein hinsichtlich des Umgangs von Technologie- und Medienkonzernen mit ihren persönlichen Daten fest. Drei von fünf Befragten sehen das Geschäft mit digitalen Nutzungsdaten kritisch und befürchten, die Kontrolle über ihre eigenen personenbezogenen Daten zu verlieren oder nicht mehr zu haben. Konsequenzen ziehen jedoch die wenigsten daraus: Weniger als ein Drittel konsultiert die Datenschutzerklärungen oder -einstellungen vor der Nutzung der Plattformanbieter.
  • Jeder zweite kennt das Phänomen von Fake News, häufiger noch ist bekannt, dass Hassrede im Internet grassiert. Für die Autor*innen der Studie ist das ein Grund, weshalb etwa zwei Drittel der jungen Leute Facebook und Twitter als weniger oder nicht vertrauenswürdig einstufen. Selbst beteiligen sich junge Menschen dagegen nur recht selten durch die Erstellung von Medieninhalten, sondern zeigen sich überwiegend als Konsumenten derselben. Nur etwa jede*r zehnte Befragte nutzt das Internet einmal täglich auf gestalterische Weise, um beispielsweise eigene Fotos, Videos, Musik oder Blogbeiträge zu veröffentlichen. Gerade dieser Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die das Internet besonders intensiv und vielseitig nutzen und sich selbst mit Beiträgen hauptsächlich in sozialen Netzwerken inszenieren, werden in der Nutzertypologie der Studie als weitgehend unkritisch und tendenziell abhängig von Internet und Smartphone beschrieben: Überdurchschnittlich hoch ist der Anteil von jungen Leuten aus unteren Sozialschichten und mit Migrationshintergrund. Diese Gruppe zeigt sich auch tendenziell misstrauischer als die übrigen Altersgenossen gegenüber Nachrichteninhalten klassischer Medienanbieter, wohingegen Informationen aus den Newsfeeds sozialer Netzwerke bei ihnen weit mehr Vertrauen genießen (v.a. für Facebook und Twitter zeigen sich im Vergleich zu den übrigen Nutzungstypen deutlich höhere Zustimmungswerte).
  • Unterhaltung steht in der medialen Freizeitgestaltung zwar im Vordergrund (insbesondere die Musik), doch suchen nach eigener Aussage immerhin 71% mindestens einmal am Tag nach Informationen im Internet, ob nun aus Neugierde, um mitreden zu können, für Schule, Ausbildung oder Beruf oder um sich gezielt über Politik und Gesellschaft zu informieren. Besonders interessiert an Politik zeigen sich vornehmlich höher gebildete Jugendliche und junge Erwachsene, solche mit absolviertem oder angestrebtem Hauptschluss im Vergleich zu früheren Erhebungen zwar etwas mehr, aber weiterhin nur in geringen Anteilen. Um sich politisch zu informieren, werden vor allem Fernsehsendungen (23%) geschaut und Nachrichten-Websites und Push-Services im Internet (20%) genutzt. Radiosendungen und Podcasts (15%) bzw. gedruckte Zeitungen und Zeitschriften (15%) bzw. soziale Netzwerke oder Messenger-Apps (14%) bzw. Google oder andere Suchmaschinen (14%) liegen fast gleichauf. Politische Informationen auf YouTube erreichen dagegen nur 9% der jungen Menschen.
  • Mit Blick auf die Online-Nutzung sind sogenannte Intensiv-Allrounder, die sich lange und konzentriert im Netz aufhalten (im Mittel 4,3 Stunden täglich) und überdurchschnittlich aktiv Informationen suchen und verarbeiten, den Ergebnissen der Studie nach älter, überwiegend männlich, höher gebildet und stammen aus einem oberen sozialen Milieu. Dies trifft auf ungefähr jede*n fünfte*n Befragte*n zu. Etwa jede*r vierte Befragte gehört zu den sogenannten Funktionsnutzern, die recht zielgerichtet Messenger- und Informationsdienste im Netz suchen und eine ausgeprägtere kritische Haltung gegenüber dem Netz an den Tag legen. Auch dieser Gruppe gehören überdurchschnittlich viele junge Leute einer oberen sozialen Herkunftsschicht an.
  • Vertrauen in klassische Medienangebote – wie in die Nachrichtensendungen von ARD und ZDF oder die Inhalte großer überregionaler Tageszeitungen – haben die meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Im Vergleich mit den Zustimmungswerten für Social Media-Plattformen zeigt sich hier ein deutlicher Vorsprung. Gleichwohl ist die Diskrepanz zwischen zugeschriebenen Vertrauenswerten und einer zurückhaltenden Nutzung von klassischen Medienangeboten nicht von der Hand zu weisen. Bei der Dominanz sozialer Netzwerke in der täglichen Internet-Nutzung (81%) fällt auf, dass immerhin 43% der Befragten YouTube das höchste Vertrauen unter den Plattformanbietern zuschreiben.
  • Trotz des diagnostizierten Pragmatismus, der der Jugend seit der viel beachteten Jugendstudie aus dem Jahr 2002 anhaftet, wächst im jüngeren Teil der Bevölkerung ein Bewusstsein, dass es wichtig sei, sich politisch zu engagieren. Hier sind Themen und Werte leitend, die direkt mit den Lebensumständen der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen, ihren Zukunftspläne und Ängsten in Zusammenhang stehen: Sorgen ranken sich vorrangig um Umweltverschmutzung und Klimawandel, aber auch um Zuwanderung und Fremdenfeindlichkeit. Zwar sind sie generell zufrieden mit dem Zustand der Demokratie in Deutschland, aber unzufrieden mit dem politischen Personal, was eine fortgesetzte Politikverdrossenheit begründet. Dennoch zeigt sich die Jugend ehrgeiziger hinsichtlich der Verbesserung ihrer Zukunftschancen und bereit, beispielsweise durch die Beteiligung an Demonstrationen für den Klimaschutz auch dafür zu streiten.
  • Zudem haben die Autor*innen der Studie versucht mit einem Populismus-Score zu ermitteln, wie empfänglich junge Menschen für polarisierende und undifferenzierte Botschaften zu politischen Themen sind. Dabei wird deutlich, dass populistische Aussagen eher bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit niedrigem Bildungsgrad auf offene Ohren und Zustimmung stoßen als bei höher gebildeten Befragten. Beurteilt werden sollten Aussagen wie „Die Regierung verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit“ (ja/eher ja: 53%), „In Deutschland darf man nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden“ (ja/eher ja: 68%) oder „Ich finde es gut, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufgenommen hat“ (ja/eher ja: 57%). Die Ergebnisse zeigen, wie populistische Botschaften, die sich mit affektiven Aussagen schnell über das Social Web verbreiten, leicht hohe Zustimmungswerte erzielen können, speziell auch bei jungen Menschen, die in vielen Fällen noch keine reflektierte Haltung zum betreffenden Thema entwickelt haben.

Fazit

Was bedeuten die Ergebnisse der repräsentativen Shell Jugendstudie 2019 für die Nutzung von journalistischen Inhalten? Als Gradmesser für relevante Themen und Einstellungen junger Menschen bietet die Studie Charakterisierungsmerkmale, die Journalist*innen wichtige Ansatzpunkte geben, um ihre Angebote versierter auf das Publikum von morgen zuzuschneiden:

  • Mediennutzung ist für junge Leute vor allem Freizeitbeschäftigung. Um ihre Gunst konkurriert ein Potpourri an Unterhaltungsangeboten und Informationsquellen, und die wenigsten Jugendlichen und jungen Erwachsenen bringen sich als loyale Nutzer*innen einer Medienmarke auf den neuesten Stand, sondern wählen häufig situativ aus dem Überangebot an Inhalten aus. Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit, die klar und niedrigschwellig vermittelt wird, sind hierbei wichtige Voraussetzungen, um von jungen Nutzer*innen bei der Informationssuche einbezogen zu werden. Unterhaltsamkeit und grelles Audience Engagement mögen kurzfristig Aufmerksamkeit lenken, aber nicht das eigentliche Bedürfnis der jungen Zielgruppe nach Seriosität und Differenziertheit vor allem bei gesellschaftlichen und politischen Reizthemen bedienen.
  • Die direkte wechselseitige Kommunikation mit Freunden und Verwandten ist jungen Menschen wichtiger denn je und prägt das alltägliche Medienhandeln wie kein anderes Nutzungsmotiv. War es früher in der Altersgruppe das gemeinsame Fernsehen oder das morgendliche Herumreichen der Tageszeitung am Frühstückstisch, sind Nachrichtenanbieter heute darauf angewiesen, dass ihre Beiträge unter Peers und in der Familie geteilt und empfohlen werden – praktischerweise über die einschlägigen Messengerdienste. Darauf lässt auch die starke Orientierung von Jugendlichen am Verhalten und den Lebenseinstellungen ihrer Eltern schließen. Gute Freunde haben als wichtigste Bezugspersonen abseits der Familie ohnehin eine nicht zu unterschätzende Ratgeberfunktion. Redaktionen empfiehlt es sich deshalb, der kollektiven Praxis des Teilens in ihrer Distributionsstrategie mehr Gewicht zuzubilligen und entsprechende Schnittstellen plattformübergreifend auszubauen.
  • Die Autor*innen der Shell Jugendstudie zeigen sich überzeugt, „dass die große Mehrheit der Jugendlichen, die sich aktiv über Politik informieren, trotz der Online-Präferenz ebenfalls Nachrichten journalistischen Ursprungs, für die in der Regel Redakteure Informationen recherchieren, nutzen und in ihre Meinungsbildung mit einbeziehen.“ Das macht Mut, doch bleibt die Frage nach Form und Qualität der journalistischen Inhalte unbeantwortet. Auch ergibt die Studie, dass sich der größere Teil nicht politisch interessiert zeigt und sich dementsprechend 62% der jungen Leute nicht aktiv politisch informieren. Um die Zielgruppe in ihrer Breite und Heterogenität zu erreichen, gilt es Konzepte und Methoden zu entwickeln und anzuwenden, die auch solche Mediennutzer*innen für qualitativ hochwertigen Journalismus interessieren, die in ihrem Alltag und Elternhaus bislang nicht oder kaum mit Nachrichtenangeboten erreicht werden. Das VOCER Millennial Lab hat hierzu eine methodische Vorgehensweise entwickelt, die Journalist*innen auf Grundlage von Co-Creation-, Ideation- und Design-Thinking-Ansätzen handwerkliche Kompetenzen zur gemeinsamen Ideen- und Formatentwicklung mit journalismusfernen Mediennutzer*innen vermittelt und testen lässt.
  • Themeninteressen und Werteauffassungen sind klassische Bezugspunkte für die journalistische Praxis. Positiv konnotiert sind Themen, die mit dem direkten sozialen Umfeld in Berührung stehen, negativ dagegen solche, die mit gesellschaftlichen bis hin zu globalen Reiz- und Problemfragen zusammenhängen und (meist diffuse) Ängste auslösen. Für Journalist*innen folgt hieraus die Notwendigkeit, Gerüchte, Theorien und Behauptungen aktiv zu dekonstruieren. Darüber hinaus bietet sich die Gelegenheit, konstruktiv und lösungsorientiert zu berichten und damit einen hohen Anwendungsbezug auf individueller Ebene der einzelnen Nutzer*innen in ihrem Freundes- und Familienkreis herzustellen. Auf diese Weise werden komplexe und häufig abstrakte Themen verständlicher und sind durch den nahen Bezug zur Lebenswirklichkeit junger Menschen von diesen einfacher anzueignen.
  • Populismus ist ein Faktor im Informationsverhalten junger Menschen, auch weil vorhandene Ängste bedient werden. Die Jugend oszilliert den Studienergebnissen zufolge im Jahr 2019 zwischen Weltoffenheit und Nationalpopulismus. Durch die lange Medienzeit, die im Social Web verbracht wird, stürmen zwangsläufig Beiträge unterschiedlichster Art und Quelle auf die Nutzer*innen ein. Jungen Internet-Nutzer*innen fehlt trotz verbreiteter Kenntnis der Phänomene Fake News oder Hate Speech in der Regel die Fähigkeit zur kritischen Einordnung. Die Förderung von Nachrichtenkompetenz, begonnen mit der Fähigkeit journalistische Beiträge im Wust digitaler Inhalte erkennen zu können, zielgerichtet für das eigene Informationsbedürfnis auszuwählen und bestenfalls durch den Vergleich unterschiedlicher Quellen eine reflektierte und kritische Haltung zu Themen und Aussagen zu entwickeln, ist ein Prozess, in dem auch Journalist*innen und Nachrichtenorganisationen ihre Rolle finden können und aus eigenen Interessen an einem aufgeklärten wertschätzenden Publikum heraus aktiv definieren sollten.

Albert, Mathias/Hurrelmann, Klaus/Quenzel, Gudrun/Kantar (2019): Jugend 2019: Eine Generation meldet sich zu Wort. Weinheim: Belz, ISBN (ebook): 978-3-407-83179-8; ISBN (Print): 978-3-407-83195-8. Verlagswebsite

Der Reuters Digital News Report ermittelt Ambivalenzen und Kontinuitäten im Mediennutzungsverhalten von Millennials

„Einen Akt des Masochismus“: So nannte Giovanni di Lorenzo im Oktober 2013 die Abgesänge seiner Branchenkollegen auf die „Holzmedien“ – das anhaltende Lamentieren von Journalist*innen über die vermeintliche Krise des Journalismus. Doch auch wenn die Lorenzo mit dem stabilen Auflagenhöhenflug seiner Wochenzeitung „Die Zeit“ keinen Grund für Trübsal sah: Einige Monate zuvor war der erste Reuters Digital News Report mit Erkenntnissen über das Informationsverhalten von Internetnutzer*innen in neun ausgewählten Ländern erschienen und kam mit Blick auf Deutschland zu einem durchwachsenen Ergebnis: Die Loyalität des Publikums zu etablierten Nachrichtenmarken sei hoch, dies treffe aber vor allem auf die Offline-Welt zu. Die Nachrichtennutzung online aber sei im internationalen Vergleich noch verhältnismäßig gering, die Zahlungsbereitschaft ebenfalls.

Die Generation der Millennials, die seit dem Start der jährlich veröffentlichen Langzeitstudie im besonderen Fokus steht, wurde anderswo als „Digital Natives“, „NetGen“ oder als ich-bezogen und als pragmatische Generation beschrieben. Millennials sind eine seitens der Soziologie, aber insbesondere der Marktforschung definierte Alterskohorte der zwischen 1981 und ca. 2000 Geborenen. Eine verbindliche Festlegung der Geburtenjahrgänge gibt es nicht. Vereinzelt werden bereits ab 1995 Geborene als Angehörige einer neuen Generation Z bezeichnet. Auch die Autoren des Reuters Reports differenzieren die junge Alterskohorte nochmals in Angehörige der Generation Z (18- bis 24-Jährige in 2019) und der Generation Y (25- bis 34-Jährige in 2019). Begründet wird dies mit Verweis auf die Mediensozialisation der betreffenden Jahrgänge: Die nach 1995 Geborenen hätten die vor-digitale Ära nicht mehr bewusst erlebt, deshalb unterscheide sich ihr Medienhandeln nochmals signifikant von jenem älterer Jahrgänge.

Das Logo des VOCER Millennial Labs

Beim Trendreporting des VOCER Millennial Labs recherchieren und analysieren wir den Markt der Medienangebote, die sich an Millennials richten, fassen relevante Studien zusammen und geben internationale Einblicke in den Journalismus für neue Zielgruppen. In diesem Beitrag beleuchten wir die relevanten Ergebnisse des Reuters Digital News Report 2019.

Nichtsdestotrotz ist die Kohorte der jüngeren und älteren Millennials zusammen bereits größer als die Nachkriegsgeneration der „Baby Boomer“ (ca. 1946-1964) oder der sogenannten „Generation X“ (ca. 1965-1980). Im Jahr 2019 umfassen die Millennials Menschen im Alter von ca. 18 bis 38 Jahren – eine denkbar große Altersspanne. Entsprechend groß sind auch die Unsicherheiten von Journalist*innen bei der Ansprache dieser heterogenen Zielgruppe: zu divers, zu fluktuierend, zu pragmatisch erscheinen Lebensphasen und -stile, und zu heterogen ist ihr Mediennutzungsverhalten in Bezug auf konkrete Angebote, Informationsinteressen und Relevanzkriterien.

Der Reuters Digital News Report erscheint bereits im siebten Jahr: Kurz vor der Sommerpause veröffentlicht das Reuters Institute for the Study of Journalism an der University of Oxford Zahlen über die Nachrichtennutzer*innen, die in der digitalen Medienumgebung längst keine unbekannten Wesen mehr sind. Die neuesten Erkenntnisse über das Medienhandeln in der tiefgreifend mediatisierten Gesellschaft lösen zwar keine Schockwellen mehr aus. Zu alert beobachten Redaktionsleitungen mittlerweile die volatilen Mediennutzungsgewohnheiten insbesondere junger Menschen. Allerdings unterstreichen die Befragungsergebnisse einen drängenden Handlungsbedarf bei der Strategieentwicklung zur Ansprache und Versorgung von Millennials mit qualitativ hochwertigen journalistischen Inhalten.

Junge Zielgruppe

Im aktuellen Report mutet die Gegenüberstellung zwischen den jüngeren Altersgruppen (18-24 Jahre, 25-34 Jahre) und den älteren Befragten (über 35 Jahre) an wie ein Kontrastverfahren:

  1. Das Smartphone ist weltweit für Millennials das zentrale technische Kommunikationsmedium, um sich zu informieren: von morgens bis abends. Die überwältigende Mehrheit der unter 35-Jährigen checkt morgens als erstes ihr Smartphone, um sich auf den aktuellen Stand zu bringen, während das Gros der älteren Befragten zuerst den Fernseher einschaltet.
  2. Social-Media-Plattformen haben ihre Rolle als primären Orte der Vergemeinschaftung und der Informationsverbreitung gefestigt: In erster Linie sind es Facebook, YouTube, Instagram, aber auch Twitter und die Direct-Messaging-Dienste WhatsApp und Facebook Messenger, die im internationalen Mittel am häufigsten von jungen Leuten für die Nachrichtennutzung konsultiert werden. Snapchat dagegen rangiert unter ferner liefen. Wichtiger noch: Social-Media-Marken werden in ihrer Nutzwertigkeit als Distributionsplattformen von relevanten Informationen von jungen Menschen in pragmatischer Weise auch explizit als Nachrichtenlieferanten wahrgenommen.
  3. Loyalität zu bestimmten Nachrichtenmarken ist kein wesentliches Merkmal der Mediennutzung jüngerer Menschen: Sie nutzen den Navigationskomfort des Smartphones und digitaler Dienste und informieren sich über einen pick-and-mix“ unterschiedlicher Angebote. Sie goutieren die vereinfachte Zugänglichkeit und komfortable Aufbereitung von Bewegtbild im Netz, sind aber weiterhin auch an Textinhalten interessiert. Außerdem richten junge Menschen ihr Medienhandeln vermehrt an gefühlter Lebensqualität aus. Mit anderen Worten: Was schlechte Laune macht, wird eher gemieden. Negative Nachrichten sind vielen Menschen ein Ärgernis, auch und besonders jüngeren. Sie suchen sich Lösungen und Inspirationen bei einer Vielzahl von Quellen.

Deutschland

Für Deutschland haben Uwe Hasebrink und Sascha Hölig mit Unterstützung von Julia Behre einen genaueren Blick auf die Informationsgepflogenheiten der unterschiedlichen Altersgruppen im Internet geworfen.

  • Um kein Geld der Welt
    Das ambivalenteste Ergebnis vorweg: Es haben im Verlauf des vergangenen Jahres mehr jüngere (11%) als ältere Nutzer*innen (7% bzw. 6%) mindestens einmal für Journalismus im Internet bezahlt, die Anteile bewegen sich aber weiterhin auf niedrigem Niveau. Bei den jüngsten ist der Anteil im Vergleich zum Vorjahr sogar noch um drei Prozentpunkte gesunken.
  • Internet als Informationsumgebung
    Analoge Medienangebote spielen für das Gros der Millennials keine Rolle mehr. 85% der jüngeren und 79% der älteren Millennials nutzen jede Woche Online-Nachrichtenquellen. Die Nachrichtennutzung über Fernsehen und Radio ist dagegen im Verlauf der vergangenen Jahre bei den jüngeren immer weiter zurückgegangen informieren (TV: 2015: 72%; 2019: 42%). Die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen stößt bei der Nutzung sozialer Medien auf Nachrichten. Das ist nur unwesentlich weniger als diejenigen, die sich über traditionelle Nachrichtenmarken online informieren. Direkt steuern weniger als ein Drittel der jüngeren Nutzer*innen Online-Angebote von Nachrichtenmagazinen, Zeitungen oder Rundfunkanbietern an. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Anteil der 18- bis 24-Jährigen, für die das Internet die Hauptnachrichtenquelle darstellt, nochmals um zehn Prozentpunkte auf 69% gestiegen (15% Fernsehen, 7% Radio, 10% Print). Auch die älteren Millennials zwischen 25 und 34 Jahren geben zu 58% das Netz als primäre Quelle für ihre Nachrichtennutzung an (25% TV, 12% Radio, 6% Print). Sie alle eint der mehrheitliche Internetzugang über das Smartphone (74 bzw. 69%) und ihre Fokussierung auf Abrufangebote im bunten Gemischtwarenangebot des Netzes: Die lineare Nutzung erscheint als (einengende) Angewohnheit der Vergangenheit; es wird geklickt, geladen, gestreamt, geteilt –zum selbstbestimmten Konsum von Abruf-Inhalten und zur wechselseitigen Kommunikation mit anderen Nutzer*innen.
  • Social Media vorne – aber nicht exklusiv
    In Deutschland sind die Sozialen Medien zur wichtigsten Informationsumgebung avanciert: Allen Unkenrufen zum Trotz stoßen vor allem jüngere Onliner nicht nur zufällig auf journalistische Inhalte und rezipieren sie eher beiläufig, sondern geben Plattformen wie Facebook, YouTube und Instagram auch häufiger als ihre Hauptnachrichtenquelle an als andere virtuelle Nachrichtenangebote. Dies trifft auf mehr als ein Fünftel der befragten Millennials zu. Das Nachsehen haben etablierte Websites von Nachrichtenmagazinen und Zeitungen, aber auch die Online-Angebote der TV- und Radiosender, die als primärer Anlaufpunkt für Nachrichten weit zurückfallen. Das bedeutet nicht zwingend, dass sich junge Menschen immer in gezielter Weise über Soziale Medien informieren. Es zeigt aber zumindest, dass sie ebenso wenig gezielt andere Online-Nachrichtenquellen ansteuern. Soziale Medien sind für Millennials damit der wichtigste regelmäßig genutzte Zugangsweg zu Online-Nachrichten, werden aber selten als ausschließliche Nachrichtenquelle genutzt (nur 5% der jüngsten Millennials). Hier dominiert das Pick-and-Mix-Prinzip aus diversen Internet-Destinationen (31%).
  • Kräfteverschiebung zwischen den Plattformen
    Auch wenn ein breiter Loyalitätsschwund in der Nachrichtennutzung zu beobachten ist: Jüngere Nutzer*innen binden sich offenbar gewohnheitsmäßig an Social Network Sites: So wie die treuen Facebooker altern und ihrem sozialen Netzwerk auch im Alter von 25 bis 34 bzw. 35 bis 44 Jahren weitgehend treu bleiben und dort auch Nachrichten nutzen (zu 25 bzw. 31%), läuft das Foto- und Selfie-Netzwerk Instagram dem Social-Primus bei den jüngeren Millennials nach und nach den Rang ab. 23% der Alterskohorte steuert Instagram an, um Nachrichten zu suchen, zu lesen, anzuschauen, zu teilen oder darüber zu diskutieren, im Vergleich zu den 22%, die sich zu diesem Zweck bei Facebook einloggen. Auch YouTube ist sowohl den jüngeren als auch älteren Millennials mit 21 bzw. 22% für die Nachrichtenversorgung kommod.
  • Vertrauenssache
    Ein vermeintliches Paradox bestand bei Befragungsstudien in jüngerer Vergangenheit meist darin, dass klassische Mediengattungen wie die Zeitung (auch) bei jüngeren Menschen die höchsten Vertrauenswerte erzielen, dies allerdings in keiner Weise von der Häufigkeit und Intensität ihrer Nutzung durch die junge Zielgruppe gespiegelt wurde. Was darauf hindeutet, dass die Glaubwürdigkeitszuschreibungen der Großeltern- und Elterngeneration auf Kinder und Enkelkinder abfärbte, ohne dass daraus eine verstärkte Nutzung der vertrauensvollen Medienangebote resultierte, mündet auf Basis der Ergebnisse des Reuters Reports in einer grundlegenderen Skepsis: Das allgemeine Vertrauen der Jüngeren in Nachrichten insgesamt liegt deutlich unter dem altersübergreifenden Durchschnitt. Gravierender noch: Nur 12-13% der Millennials vertraut Nachrichten, die über Social Media verbreitet werden (55-60% hegen sogar Misstrauen). Dabei sind dies die populärsten Nachrichtenquellen für einen wesentlichen Teil der Befragten. Diese sind zu 62% (18-24 Jahre) bzw. 50% (25-34 Jahre) überzeugt, dass sie den Nachrichten, mit denen sie sich selbst informieren, dann doch zum Großteil meistens vertrauen können. 30% der jüngsten Kohorte meinen ohnehin, dass sie Falschmeldungen von Fakten bei Online-Nachrichten gut unterscheiden können. Im Zweifelsfall wird verglichen: Gerade die Jüngsten geben überdurchschnittlich häufig an, dass sie ihre Nachrichtennutzung aufgrund ihrer Skepsis verändert haben. So überprüfen viele den Wahrheitsgehalt einer Nachricht anhand von zusätzlichen Quellen, verlassen sich eher auf seriösere Nachrichtenangebote, meiden zwielichtig erscheinende Quellen oder ignorieren von bestimmten Personen geteilte Nachrichten, weil sie Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der betreffenden Person hegen.
  • Lass mich doch in Ruh
    Je älter, desto interessierter: Im Altersvergleich sind Millennials deutlich weniger an Nachrichten interessiert (43% bzw. 57%) als Nutzer*innen in der mittleren Lebensphase zwischen 35 und 44 Jahren (ca. zwei Drittel) oder die ältesten Studienteilnehmer*innen jenseits der 55 (ca. vier Fünftel). Dies mag auch daran liegen, dass viele jüngere Millennials meinen, Redaktionen würden ihrer Kontroll- und Kritikfunktion nicht ausreichend nachkommen und mächtige Persönlichkeiten und Unternehmen beobachten und hinterfragen. Auch ist in dieser Alterskohorte die Ansicht verbreitet, Nachrichtenmedien würden häufig zu negativ über Ereignisse berichten. Im Gegensatz dazu scheinen die Versuche von Redaktionen, relevante Themen für junge Leute aufzugreifen, ansatzweise von Erfolg gekrönt, schließlich meinen etwas mehr als zwei Fünftel der 18- bis 24-Jährigen, dass die ausgewählten Themen für ihre Lebensrealität relevant seien – nur ein Fünftel verneint das. Auch erkennt ein Großteil der Millennials an, dass Nachrichten insgesamt aktuell seien. Bei der Frage, ob Nachrichtenangebote ihnen dabei helfen, die Nachrichtenlage zu verstehen, gibt es ebenfalls verhältnismäßig ordentliche Zustimmung – bei einer etwas geringen Zustimmung, aber auch Unentschiedenheit bei den älteren Millennials. Aber: Etwa jeder dritte unter 35-Jährige zeigt Erschöpfungserscheinungen hinsichtlich der Menge an zirkulierenden Nachrichten. Mehr als jeder vierte Millennial interessiert sich „nicht sehr“ oder „überhaupt nicht“ für Politik. Zumindest vereinzelt versuchen viele ältere Millennials zurzeit aktiv, Nachrichtenangebote zu meiden, ein Plus von 6 Prozentpunkten auf einen Anteil von zwei Dritteln der Alterskohorte im Vergleich zum Vorjahr.
  • Mit allen Sinnen
    Übergreifend bevorzugen Millennials weder Text noch Video noch Audio: Sie nutzen das, was ihnen in ihrer jeweiligen Situation entgegenkommt. Aktuell sind das bei ungefähr einem Drittel der jüngeren Millennials meist schriftliche Inhalte, gelegentlich Videos, bei etwa einem Drittel der älteren Millennials meist Nachrichten in schriftlicher Form. Erstaunliche 42 bzw. 48% geben an, dass sie in der Woche vor der Befragung kein einziges Nachrichtenvideo im Netz gesehen haben. Diejenigen, die sich Videos angeschaut haben, nutzen vornehmlich YouTube oder Nachrichten-Websites bzw. -Apps. Facebook liegt auf dem dritten Rang. Podcasts sind im intergenerationalen Vergleich wiederum beliebter denn je: Unter Millennials sind die digitalen Nachrichten zum Hören am weitesten verbreitet. Jüngere Millennials hören am liebsten Podcasts zu Spezialthemen und Lebensstilen, ältere Millennials zur Nachrichtenlage, aktuellen Aspekten und Sport.

Fazit

Der Reuters Digital News Report 2019 birgt so manche Erkenntnis, die Mut macht. So auch diese: Millennials zeigen sich aktiver als ältere Generationen, wenn es darum geht, sich über journalistische Online-Inhalte persönlich oder im Netz auszutauschen, an Umfragen von Nachrichtenmedien teilzunehmen, Artikel mit persönlichen Kontakten über Direct-Messenger oder Bilder und Videos über Artikel in den Sozialen Medien zu teilen. Das schreit förmlich nach Einbindung, Interaktion und Feedback im journalistischen Arbeitsprozess. Das Aktivierungspotenzial dieser Teile der jungen Zielgruppe kann durch eine zielstrebige Plattformstrategie für die Entwicklung attraktiver journalistischer Zielgruppenformate genutzt werden, um die Erwartungen von jungen Mediennutzer*innen besser bedienen zu können:

  • Millennials unterschiedlichen Alters können systematisch in die redaktionelle Entwicklung innovativer journalistischer Formate einbezogen werden. Das VOCER Millennial Lab hat hierzu eine methodische Vorgehensweise entwickelt, die Journalist*innen auf Grundlage von Co-Creation-, Ideation- und Design-Thinking-Ansätzen handwerkliche Kompetenzen zur gemeinsamen Ideen- und Formatentwicklung mit Mediennutzer*innen vermittelt und testen lässt.
  • Die größten Herausforderungen sind weniger technischer Natur wie zum Beispiel die Aufbereitung von Inhalten für die Smartphone-Nutzung oder Multi-Plattform-Distribution. Vielmehr betreffen sie die grundsätzlichere Frage, wie die hohen Seriositätserwartungen eines jungen, agilen und in Teilen skeptischen Publikums, das hochwertige Nachrichteninhalte auf möglichst einfache und ansprechende Art und Weise erhalten möchte, eingelöst werden können. Gleichzeitig gilt es, die Überforderungs- und Erschöpfungstendenzen angesichts des wachsenden Nachrichtenumschlags in den Reihen junger Nutzer*innen zu mindern.
  • Wer Millennials mit Qualitätsjournalismus erreichen möchte, sollte sich nicht von den großen Social-Media-Plattformen verabschieden, sondern sein Engagement agil und in Kenntnis der jeweils vorherrschenden Kommunikations- und Darstellungsformen ausbauen. Das stabilisiert auf Dauer die Referral-Strategie. Facebook ist weiterhin (auch für die Jüngsten) ein wichtiger Ort für journalistische Inhalte, ebenso wie YouTube und Instagram. Aber: Wer die nötige Flexibilität vermissen lässt und vieles auf eine Karte setzt wie zuletzt einige Redaktionen auf Snapchat, kann sich verrennen. Wer nachhaltig planen möchte, braucht plattformübergreifend eine klare Markenidentität und ein seriöses und dennoch neugierig machendes journalistisches Konzept, das junge Menschen im Nachrichtenmix mit Alleinstellungsmerkmalen überzeugt und wiederkehren lässt.
  • Millennials sind sehr internet-affin und auch bereit, für digitale Inhalte zu zahlen, allerdings nur spärlich für digitale Nachrichten. Hier scheint sich die Regel zu manifestieren, dass sich für Nachrichtenanbieter vor allem eine investive Strategie in ihren Markenkern empfiehlt, um auf lange Sicht punkten zu können: Sobald Millennials in einer späteren Lebensphase über mehr Mittel und eine höhere Zahlungsbereitschaft verfügen, wählen sie solche Angebote aus, die sie als verlässliche, authentische und qualitativ hochwertige Nachrichtenquelle schätzen gelernt haben und die zugleich ihren Nutzungspräferenzen entgegen kommt. Und auch wenn zurzeit noch ein relativ geringer Anteil junger Menschen für Nachrichteninhalte zahlt, verursachen Paywalls bei ihnen längst keinen Kulturschock mehr. Hier kann letztlich auf eine Durchsetzung qua Gewöhnungseffekte gehofft werden

Auf der ewigen Suche nach der Jugend

Das sind unsere Ergebnisse aus dem ersten Millennial Media Leadership Workshop mit Redaktionsverantwortlichen der wichtigsten deutschen Jugendangebote.

Von Frederik Fischer, Leif Kramp, Alexander von Streit und Stephan Weichert

BentoBuzzfeedze.ttFunkorangeRefinery29Noizz, Watson & Co.: In den vergangenen Jahren sind zahlreiche neue Medienmarken entstanden, die jüngere Zielgruppen emotional und ungezwungen ansprechen wollen. All diesen Angeboten ist gemeinsam, dass sie eine wichtige gesellschaftliche Funktionen für das digitale Medien-Ökosystem erfüllen: Einerseits führen Millennial-Medien Jugendliche und junge Erwachsene an journalistische Inhalte heran, die die vordigitale Medienwelt zu keinem Zeitpunkt als prägend erlebt haben. Andererseits erproben sie neue Wege, um Nachrichten für junge Menschen erlebbar zu machen — in sozialen Netzwerken, auf digitalen End- und Ausspielgeräten und über innovatives Storytelling.

Die Lernkurve dieser häufig jung besetzten Redaktionen ist erfolgskritisch für den Erhalt einer informierten Öffentlichkeit und für die wirtschaftliche Zukunft von Medienhäusern. Als unternehmensinterne Versuchslabore für einen zeitgemäßen Journalismus sind Millennial-Marken inzwischen weitgehend akzeptiert. Dennoch wird ihre Rolle unterschätzt: Wie unsere Gesellschaft von ihrem publizistischen Experimentierwillen lernen und profitieren kann, ist weithin ungeklärt. Geschweige denn die Frage, ob sich diese unkonventionellen Angebote langfristig am Markt behaupten können.

Für uns steht fest: Gerade journalistische Nachrichtenangebote für Jugendliche und junge Erwachsene sehen sich mit besonderen Anforderungen konfrontiert. Im Kampf gegen Fake News und Hassrede, in der Bemühung für vernachlässigte Themen Raum zu schaffen und lösungsorientierten Journalismus zu betreiben, auch in der Art und Weise, wie durch oder trotz Digitalisierung eine große Nähe zu den eigenen Zielgruppen geschaffen werden kann, helfen radikale Ansätze. Die Herausforderung: Wie können diese Angebote, die nicht auf historisch gewachsenen Redaktionskulturen aufbauen, bewusst mit alten Denkmustern und tradierten Strukturen brechen, ohne mit der journalistischen Identität zu brechen?

Wir arbeiten bereits seit vielen Jahren mit unserem Think Tank VOCER daran, die öffentliche Debatte über Medienkultur und die digitale Gesellschaft zu beleben — und Lösungen für nachhaltige Innovation im Journalismus zu erarbeiten. Nun möchten wir der Medienbranche, ihren Institutionen und Akteuren — Verlagen, Rundfunkhäusern, Start-Ups, Landesmedienanstalten, Behörden, Verbänden, aber auch einzelnen Journalistinnen und Journalisten — bei der Entwicklung eines smarten Millennial-Journalismus helfen.

Deswegen haben wir das VOCER Millennial Lab gestartet.

In dem bislang unter anderem von der Schöpflin Stiftung und der Google News Initiative finanziell geförderten Bildungsprogramm werden wir in enger Zusammenarbeit mit der Branche und gemeinsam mit der Zielgruppe der Millennials forschen, entwickeln und schulen: Wir veranstalten in den kommenden Jahren Workshops, Design Sprints und Coachings, bauen Prototypen und leisten Unterstützung beim Aufbau von Start-ups und Projekten. Außerdem veröffentlichen wir Trendreports, die der Frage nachgehen, welche journalistische Neuentwicklungen junge Menschen weltweit für Qualitätsjournalismus begeistern. Unsere Lernerfolge werden wir in regelmäßigen Abständen veröffentlichen, um sie der journalistischen Community zugänglich zu machen.

Den Auftakt bildete der Millennial Media Leadership Workshop im September, die erste von mehreren Veranstaltungen, die sich gezielt an junge journalistische Führungskräfte richten. Dazu haben wir Redaktionsverantwortliche der wichtigsten deutschen Jugendangebote für ein langes Wochenende in ein geschichtsträchtiges Herrenhaus nach Schleswig-Holstein eingeladen, um mit ihnen über Stand, Herausforderungen und Perspektiven des Millennial-Journalismus zu sprechen.

In mehreren von uns moderierten Diskussionsrunden und mithilfe von Kreativmethoden haben wir mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern fünf Cluster herausgearbeitet:

1. Recruiting: Junge Talente finden

Millennial Medien tun sich besonders schwer dabei, High Potentials unter den journalistischen Nachwuchskräften zu identifizieren und sie für ihre Redaktion zu gewinnen. Neue Aufgaben erfordern neue Fähigkeiten, die in der klassischen Journalistenausbildung nicht oder nur unzureichend vermittelt werden. Ein divers besetztes Team ist zudem fast zwingend, um die verschiedenen Zielgruppen abzuholen. Dieser Diversity-Anspruch erschwert die Talentsuche zusätzlich. Bewerberinnen und Bewerber, die die Wahl haben zwischen einer Karriere bei etablierten Medien und den jungen Angeboten, entscheiden sich häufig (noch) gegen Millennial-Medien aufgrund der besseren Reputation vermeintlich “erwachsener” Medienmarken.

Lösungsansätze:

Millennial-Medien könnten offensiver auf die Suche nach jungen Talenten gehen, durch Werkstatt-Gespräche an Hochschulen zum Beispiel oder mit Seminartagen an Journalismusschulen. Mit dem Begriff “Millennial-Medien” waren die versammelten Führungskräfte allerdings eher unglücklich: Eine neue Begriffsfindung könnte dabei helfen, die Alleinstellungsmerkmale und Qualitäten dieser Art von Journalismus herauszustreichen. Ebenfalls förderlich könnte es sein, als Branchensegment selbstbewusster aufzutreten und sich beispielsweise häufiger gegenseitig zu zitieren und mit gemeinsamen Recherchen größere Reichweiten und Aufmerksamkeit zu erzielen.

Und: Inklusiver formulierte Ausschreibungstexte können helfen, gezielter Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund anzusprechen. Auch die Betonung von Kreativität und Teamarbeit in Ausschreibungstexten seien förderlich, so eine weitere Einsicht. Für das gezielte Recruiting könnten sich auch Plattformen wie Reddit oder Jodel eignen. Kurzum: Die Fahndung nach Kolleginnen und Kollegen müsse flexibler werden und gerne mit Konventionen brechen. Sogar journalistische Vorerfahrungen sind aus Sicht der Redaktionsleitungen nicht mehr unbedingt ein primäres Kriterium. Eher seien besondere Zugänge zu Communities oder Fachkenntnissen wichtiger geworden. Gewünscht wird Experimentierfreude wider die Beliebigkeit.

Ohnehin müsse stärker mit flexiblen Arbeitsmodellen experimentiert werden (z.b. Home Office, Mikro-Redaktionen an Nebenstandorten), um die geographische Konzentration rund um die Medienstandorte Berlin, Hamburg, Köln und München aufzubrechen. Wer seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch in ihrer Work-Life-Balance fördere, erhöhe deren Loyalität und verhindere so den vorzeitigen Talent-Drain zu etablierten Medien. Möglichkeiten der Förderung umfassen dabei zum Beispiel die Vermittlung von Stipendien oder Außenstationen in anderen Redaktionen. Auch wer die jungen Talenten bei der Ideenfindung und deren Umsetzung unterstütze, zum Beispiel durch eigene Formate wie Video-/Podcast-Projekte, könne damit kreative Journalistinnen und Journalisten langfristig an die Marke binden.

2. Leadership: Leiten lernen

Die Führungsriege der Millennial-Medien befinden sich in einer undankbaren Position als Mittler zwischen zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Sie berichten einerseits in die alte Ära der Traditionsverlage und Sender, müssen aber gleichzeitig in ihren Redaktionen eine digitale Führungskultur etablieren. Vorbilder, an denen sie sich orientieren können, fehlen weithin, da sich neue Berufs- und Rollenbilder erst allmählich durchsetzen. Die Ansprüche an den Job erfordern eine umfassende Persönlichkeitsentwicklung, im stressigen Berufsalltag fehlt dafür offenbar die Zeit. So sind Führungskräfte überwiegend sich selbst überlassen, ihr junges Team zu formen und sein volles Potenzial zu entwickeln.

Lösungsansätze:

Mentoring-Programme entlasten: Einerseits können junge Führungskräfte ihren Lernprozess enorm beschleunigen, andererseits finden sie idealerweise eine Vertrauensperson, die ihnen eine emotionale Stütze ist. Diese können aus der eigenen Redaktion, aber auch von außen kommen. Für ein Mentoring im eigenen Haus spricht ein doppelter Vorteil, denn gerade die üblicherweise älteren Mentorinnen und Mentoren können auch von der nächsten Generation erheblich profitieren. Unterstützung von außen ist mindestens ebenso sinnvoll, um Außenstehenden problematische Themen anzuvertrauen. Wenn sich mehrere Führungskräfte zusammentun und eine Strategie erarbeiten, können Leadership-Seminare zur wertvollen Gemeinschaftserfahrung werden.

3. Reputation: Sex, Drugs and Clickbait?

Mal ehrlich: Millennial-Medien wurden von vielen Medienhäusern vor allem deshalb gegründet, um junge Zielgruppen anzusprechen, die mit den bestehenden Angeboten nichts anfangen konnten. Millennial-Medien sollen Reichweite machen und neue Geschäftsmodelle testen. Anders gesagt: Die Challenge wurde erkannt, dass die Zukunft des Journalismus vom Nachwuchs abhängt.

Doch viele tradierte Medien sind geprägt von historisch gewachsenen Strukturen. Häufig kann sich nur derjenige behaupten, der den klassischen Anforderungen entspricht. Junge Angebote, und seien sie noch so innovativ gemacht, werden selten ernst genommen. Es fehlt der nötige Respekt für ihre kreativen und publizistischen Leistungen. Verstärkt wird dieses Phänomen durch die in der Regel herrschende räumliche Trennung von Stammredaktion und Millennial-Taskforce. Und auch branchenintern wird jungen Medienmarken ebenfalls vergleichsweise wenig Beachtung geschenkt.

Konstruktiver erscheinen die Effekte bei der Zielgruppe selbst: Anfangs fremdelte das Publikum noch häufig mit dem teils übertrieben “coolen” Stil, fühlte sich in Schubladen gesteckt, übervorteilt, gar veräppelt. Den richtigen Ton zu finden, war und bleibt ein Lernprozess, der inzwischen erste Erfolge zeitigt. Das Feedback der Leserinnen und Leser wird gehört: “Nehmt uns ernst, schreibt verständlich und gebt uns harte Themen.”

Lösungsansätze:

In ihrer — teils unausgesprochenen — Funktion als redaktionelle Spielwiesen bündeln sich bei Millennial-Medien hochrelevante Einsichten und Learnings über junge Zielgruppen im Konkreten und die Zukunft des Journalismus im Allgemeinen. Bislang dringt von diesen Learnings wenig Strukturiertes in die Branche, es gilt das Primat von Versuch und Irrtum. Das sollte durch regelmäßige Trendreports, Praxisberichte und Auftritte auf Branchenevents systematisiert, aufbereitet und in wertvolles Erfahrungskapital umgewandelt werden. Die Redaktionen müssen sich zudem stärker untereinander vernetzen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Das Potenzial ist vorhanden, da bei Millennial-Medien das Konkurrenzdenken offenkundig deutlich weniger ausgeprägt, als es zwischen Vertretern klassischer Redaktionen der Fall ist.

4. Impact: Raus aus der Blase!

Ein regelrechtes Dilemma der Millennial-Medien ist neben dem Alter auch die urbane Redaktion. Der Großteil des Publikums sitzt nicht in Großstädten — also in den Zentren hipper Metropolregionen, wo Studium, Popkultur und Sehnsuchts-Jobs locken — sondern auf dem platten Land. Die geographische Konzentration der Redaktionen in den Medienstandorten wird selbst als ein Kernproblem wahrgenommen. Außerhalb von Hamburg, Köln, Berlin und München ist junger Journalismus in erster Linie eine lokale oder regionale Angelegenheit, und das heißt momentan für die Zielgruppenansprache: unglaublich wichtig, redaktionell aber vollkommen unterrepräsentiert.

Themenschwerpunkte und Tonalität der Angebote schließen somit viele mögliche Nutzerinnen und Nutzer abseits der urbanen Zentren per se aus. Problematisch daran: Redaktionen von Millennial-Medien laufen Gefahr, eine häufig klischeehafte Auffassung des (eigenen) Großstadt-Lifestyles auf die Erfahrungswelt junger Menschen zu übertragen — und entfernen sich dadurch immer mehr von ihrem Publikum.

Lösungsansätze:

Kooperationen mit regionalen Medien sorgen für mehr Vielfalt und Inklusion, Lerneffekte in punkto Bodenhaftung inklusive. Journalismus für junge Zielgruppen braucht also zwingend den Dialog auch mit Millennials, die in ländlichen Gegenden leben, um ein Gespür für ihre Bedürfnisse und Probleme zu entwickeln. Dabei ist zudem ein Höchstmaß an Transparenz gefordert: Sobald redaktionelle Prozesse und Themensetzungen nachvollziehbar werden, möglicherweise auch im Dialog mit der Zielgruppe erarbeitet werden, fühlen sich die Nutzerinnen und Nutzer stärker eingebunden, verhalten sich solidarischer gegenüber “ihren” Medienmarken und werden über kurz oder lang eine Zahlungsbereitschaft für journalistische Inhalte entwickeln, die für sie einen Unterschied und einen besonderen Wert ausmachen. Digitaler Journalismus darf sich für junge Zielgruppen nicht als Black Box darstellen. Er muss vielmehr als moderierter Dialog mit dem Publikum verstanden werden, bei dem soziale Distinktion nicht stigmatisiert wird, sondern in journalistische Denkprozesse einfließen kann.

5. Produktmanagement: Neue Rolle, neue Herausforderung

Ähnlich wie bei Tech-Startups ist digitaler Journalismus von permanenter Veränderung geprägt. Das erfordert neue Berufsbilder und Strukturen — insbesondere Produktmanager werden seit einiger Zeit im News-Business dringend gesucht. Und auch Millennial-Medien kommen nicht mehr ohne die Meister der Querschnittskompetenz aus: Sie haben technische Expertise, um die Arbeit von Entwicklern zu koordinieren. Sie erforschen systematisch die Bedürfnisse des Publikums anhand von Daten und leiten daraus Anforderungen für notwendige (journalistische) Weiterentwicklungen ab. Traditionelle journalistische Fertigkeiten wie genaue Beobachtungsgabe, sorgfältige Recherche und präziser Erzählstil werden ergänzt durch unternehmerische Expertisen und Fähigkeiten im Projektmanagement.

Noch gibt es auf dem (deutschsprachigen) Berufsmarkt zu wenige Menschen, die ein solches Profil haben. Versierte Allrounder mit Spezialwissen sind schwer zu finden und für Medienhäuser zu gewinnen. Vielfach übernehmen daher Führungskräfte in den Redaktionen die Aufgabe des Produktmanagers “nebenbei” und befinden sich damit in einem Rollenkonflikt.

Doch selbst wenn sich Redaktionen einen Produktmanager leisten (können), ist dieser zumindest in einer Hinsicht machtlos: zu wesentlich ist derzeit die Abhängigkeit von Plattformen und Aggregatoren, auf denen Journalismus nur noch eine von vielen Informationsquelle darstellt. Millennial-Medien haben das Potential, mit einer neuen Publikumsansprache und relevanten Qualitätsinhalten die Speerspitze im Kampf um die Souveränität der journalistischen Praxis bei der Versorgung der (jungen) Bevölkerung mit Informationen zu werden.

Lösungsansätze:

(Digitales) Produktmanagement sollte zwingend in die Curricula journalistischer Aus- und Weiterbildungs-Studiengänge aufgenommen werden. Es ist zielführender, Journalisten mit den nötigen Kompetenzen auszustatten, als zum Beispiel Produktmanager aus der IT abzuwerben, denen journalistische Leidenschaft fehlt. Auch Inhouse-Workshops können Quereinsteiger in die Rolle hineinwachsen lassen. Schließlich ist auch bei diesem Thema der Austausch zwischen den Redaktionen wichtig, um gegenseitig von Erfolgen und Fehlern zu lernen und somit den Lernprozess zu beschleunigen.

Mit dem VOCER Millennial Lab greifen wir diese Impulse und Denkansätze auf, um sie gemeinsam mit freien Journalistinnen und Journalisten, Redaktionen, Medienhäusern, Verbänden, Medienanstalten und Nonprofits anzugehen und in konkrete Lösungen zu überführen. Bei Interesse an einer Kooperation freuen wir uns über eine Nachricht von Ihnen.