Die da oben! – „Im Bundestag ist Feuer drin“

Feuer im Bundestag? Dass es dort ziemlich kontrovers oder auch witzig zugehen kann und sich Abgeordnete auch mal heiß reden, zeigt Jan Schipmann wöchentlich als Host seines jungen Politikkanals im Social Web. Gemeinsam mit ZDF-Moderatorin Aline Abboud greift er mit ernstem Gesicht und schnoddrigem Ton Debatten aus dem Deutschen Bundestag und sporadisch auch Landtagen oder dem EU-Parlament auf und zeigt mal mehr, mal weniger prägnante Redeausschnitte von Abgeordneten zu Fragen, die die Gesellschaft bewegen oder gar zu polarisieren im Stande sind: Warum werden Corona-Demos verboten und dann wieder erlaubt? Warum hilft die EU Geflüchteten nicht mehr? Wie korrupt ist der Bundestag? Und wie wahrscheinlich ist ein gesichertes Grundeinkommen? Mit „Die da oben!“ erreichen der 33-Jährige und seine 32-Jährige Kollegin regelmäßig fünfstellige Abrufzahlen, mit ihren „Best Of“-Zusammenschnitten zur Speaker-Performance ausgewählter Politiker*innen sind es bisweilen deutlich mehr.

Im Rahmen seines Trendreportings betreibt das VOCER Millennial Lab ein kontinuierliches weltweites Monitoring von innovativen Nachrichtenangeboten für junge Zielgruppen. Die Reihe Millennial Medium des Monats stellt Best Practice-Beispiele aus dem In- und Ausland vor.

„Die da oben!“ ist seit April 2019 Teil von „Funk“. So umstritten das „Junge Angebot von ARD und ZDF“, wie das ambitionierte Großprojekt für junge Zielgruppen im Arbeitstitel hieß, von Anfang an war: Der Streit um eine vermeintliche Alimentierung von YouTube-Stars, die starke Präsenz auf Social-Media-Plattformen von US-Konzernen, der – an privatwirtschaftlichen Maßstäben gemessen – hohe Jahresetat von 45 Millionen Euro scheinen viereinhalb Jahre nach dem Start im März 2016 in den Hintergrund gerückt; denn funk ist in vielerlei Maßstäben erfolgreich. Mit aktuell über 60 Formaten reicht das Spektrum des „Content-Netzwerks von ARD und ZDF“ mit seiner Zentrale in Mainz von YouTube-Sketch-Comedys, Gaming-Formaten und Facebook-Live-Shows bis hin zu anspruchsvollen und reportagigen Magazin- und Nachrichtenformaten, deren Stärken im Recherchejournalismus liegen.

Die Medienforschung des Südwestdeutschen Rundfunks (SWR) und jene des ZDF ermittelten, dass annähernd drei Viertel der jungen Zielgruppe, die in ihrer Diversität teils der Generation Z, teils der Generation Y oder Millennials zugerechnet werden, das Angebot von „Funk“ kennen. „Wir müssen einen 14-Jährigen genauso wie einen 29-Jährigen erreichen. Das ist ein riesiges Feld. Das an einer Plattform zu machen, halten wir für komplett utopisch“, erklärte Geschäftsführer Florian Hager, aus der Programmleitung von Arte kam, zum Launch von „Funk“.  Vize-Geschäftsführerin Sophie Burkhardt ergänzt: „,Funk‘ ist ein Prisma: Wenn ich jetzt 14 bin, ist Funk für mich etwas Anderes, als wenn ich 24 bin. Wenn ich ein junger Mann bin ist es etwas anders, als wenn ich eine junge Frau bin. Je nachdem, aus welcher Perspektive ich darauf schaue, sieht Funk anders aus. Und das ist durchaus so gewollt. ‚Funk‘, das sind viele kreative Menschen, die im Internet Videoprojekte machen, die nur dort stattfinden und nur mit ‚Funk‘.“

Nicht grell laut, aber lustig ernst

In diesem Prisma leuchtet das Redehighlights-Format „Die da oben!“ nicht am grellsten, auch nicht am lautesten. Unter den aktuellen „Funk“-Formaten aus dem Newssegment belegt es auch bei den Followerzahlen nicht den Spitzenplatz. „Funk“-Formate empfehlen sich gern untereinander. Als die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim auf ihrem vielbeachteten Kanal „maiLab“ den unterhaltsamen Blick von Abboud und Schipmann in den Bundestag lobte, gab es einen Schub in den Abonenntenzahlen und viele digitale Kekse in den Kommentarspalten.  Innerhalb von eineinhalb Jahren haben sich die Parlamentsberichte bereits ein loyales und diskussionsfreudiges Publikum erarbeitet, das das Format für seine Geradlinigkeit und seine humorvoll-pointierte Verständlichkeit schätzt. „Die da oben!“ ist politische Aufklärung für junge Erwachsene, knüpft Zusammenhänge, stellt politische Positionen gegenüber, dekonstruiert Widersprüche oder schöpft rhetorische Glanzleistungen aus den Parlamentsdebatten. Mandatsträger*innen werden daran gemessen, wie und worüber sie in der Volksvertretung kommunizieren: „Wir bilden das ab, was unsere Politiker in den Parlamenten so treiben“, sagt Jan Schipmann im Interview. Bei der Verwendung von Falschinformationen in Parlamentsreden werden redaktionelle Korrekturhinweise gegeben. Damit richtet sich das Format an 19- bis 29-jährige, bei denen mit der nachschulischen Unabhängigkeit auch das Interesse für bundespolitische Themen und Entscheidungsprozesse keimt. Es geht um die Sozialisation zu mündigen Staatsbürger*innen – gerne auch mit einer Bazooka, um ein Zitat der „explosiven Geheimwaffe Olaf Scholz der Sozialdemokraten“ aufzugreifen.

Dabei sollen die jungen Nutzer*innen nicht unterschätzt werden: Wenn eine Partei in ihrer parlamentarischen Redezeit keinen einzigen konstruktiven Lösungsvorschlag formuliere, dann merke das auch der uninformierte Zuschauer, glaubt Schipmann. Je konkreter Lösungsansätze seitens der Politik debattiert würden, desto eher werde es vom jungen Publikum wertgeschätzt. Daraus würden politische Haltungen geformt, bei welchen Parteien sich ein junger Mensch mit seinen Zielen oder auch Nöten aufgehoben fühle, als Wähler oder aktiv politisch gestaltend. So lässt das Host-Duo bei aller umgangssprachlichen Lässigkeit ihrer Moderation in der Regel seine persönlichen Meinungen außen vor. Es gilt das Gebot der Ausgeglichenheit. Gezeigt werden solle, wie groß das Meinungsspektrum im Bundestag ist. Aline Abboud möchte zudem eine „weibliche Perspektive auf das ziemlich männliche Parlament“ bieten. Haltung scheint auch dann und wann durch, vor allem gegen jegliche Form des Extremismus: „In den Sozialen Medien funktionieren krasse Meinungen und krasse Bilder“, weiß Schipmann. Umso wichtiger sei es aus seiner Sicht, dass Journalismus „für junge Menschen, die sich im politischen Raum noch nicht so gut orientieren können“, eine relativ neutrale Berichterstattung und Einordnung bietet. Sich selber in den Vordergrund zu stellen, helfe nicht.

Name: Die da oben!
Produktionsfirma: Hyperbole Medien GmbH
Sitz: Frankfurter Allee 13-15, 10247 Berlin
Website: http://www.hyperbole.de/formate/die-da-oben-2/
Gründung: April 2019
Gründer: Jan Schipmann
Moderator*innen: Aline Abboud, Jan Schipmann
Teamgröße: 14 (Redaktion: 3)
Veröffentlichte Videos seit Start:
> 100 (YouTube)
> 200 (Facebook)
Follower:
YouTube > 51k
Facebook > 45,5k
Instagram > 18,9k
Telegram: > 800

(Stand: September 2020)

Informr als Basis

Jan Schipmann hat eine „Funk“-Vergangenheit. Er gehört seit den ersten Monaten zur Familie: Mit „Informr“ startete er im Dezember 2016 ein politisches Interview-Format, damals noch redaktionell betreut vom Jugendsender MDR Sputnik. Zum Jahreswechsel 2018/19 lief nach etwa 300 Videos die Zusammenarbeit mit MDR Sputnik aus. Der Sender entschied sich, seine „Funk“-Inhalte verstärkt selbst zu produzieren; für Schipmann kein Rückschlag, auch weil er vom Konzept eines niedrigschwelligen, aber nicht unterkomplexen Politikformats junge Leute mit Aktivierungsimpetus überzeugt geblieben ist. Heute erkennt er Adaptionen von „Informr“ bei der „Diskuthek“ von stern.de oder beim „Machiavelli“-Podcast des WDR. Der Neustart gelang der Hyperbole Produktionsgesellschaft, bei der Schipmann als Redaktionsleiter Politik arbeitet, im Direktpitch in der „Funk“-Zentrale: Das kleine Berliner Unternehmen aus der Frankfurter Allee überzeugte die digitalen Programmplaner, ein Scout-Team aus Redakteur*innen des ZDF und der ARD-Rundfunkanstalten BR, MDR, WDR, Radio Bremen und RBB, mit dem Konzept einer wöchentlichen themenzentrierten Aufarbeitung parlamentarischer Debatten. Mit dem konsequenten Fokus auf Themen wurde das Profil schärfer: „Im Gegensatz zu ,Informr‘ wissen die Leute, was sie bekommen, wenn sie auf unserer Webseite sind.“ Vagheit wurde ersetzt mit einem engen Blickwinkel auf Politik: das Handeln politischer Akteure in den politischen Arenen.

Jan Schipmann

Jan Schipmann

Die meisten Zuschauer*innen klicken nach Beobachtung der Redaktion aus Themeninteresse auf die Videos und nicht etwa, weil sie zu einer regelmäßig wiederkehrenden Fanbase gehören, die sich durch eine „krasse Politikaffinität“ auszeichne, so Schipmann. Entsprechend werden bevorzugt gesellschaftliche Debattenthemen aufgegriffen, die in der Lebenswirklichkeit junger Menschen vor-, im politischen Diskurs aber häufig noch zu kurz kommen: LGBTQ+,Menschenrechte, Uploadfilter, Rassismus, Klimaschutz, die Zukunft der Technik, Entwicklung des Arbeitsmarkts und so fort. „Es gibt aber auch super viele Vollnerds, die zusätzlich sogar Phoenix einschalten“, berichtet Schipmann. Diesem Teil des Publikums gehe es um unterschiedliche Perspektiven auf Politik – sie wollen möglichst breit und vielstimmig informiert werden. Dennoch sieht sich Schipmann als Gegenentwurf des traditionellen Politikjournalisten: „Vielen geht es um die Ansprechhaltung: Bei Phoenix hast du einfach den Old-School-Parlamentsberichterstatter. Das kann man mögen. Das ist sehr akribisch, reflektiert und kompetent. Aber es ist nicht gerade ein Feuerwerk der Emotionen. Wenn ich Anfang 20 wäre, hätte ich wenig Bock, das zu gucken.“

Divers und kontrovers

Aline Abboud

Sein Co-Host Aline Abboud kommt aus der heute-Redaktion des ZDF, hat beim Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestags volontiert und steht ihrem Kollegen in Sachen spitzzüngiger Klarheit nicht nach und ist für Schipmann eine Idealbesetzung: „Es gibt nicht gerade einen Frauenüberschuss im politischen Journalismus“, beklagt er. Die 1988 in Ost-Berlin geborene Arabistin sei für das Format die „perfekte erste Wahl“ gewesen. Schipmann selbst studierte Germanistik, Musikwissenschaften und Philosophie und drängte schon früh mit seinem „Alles-und-Nichts-Profil“ in den Journalismus: Mit Anfang 20 machte er bei „Kölncampus“ Hochschulradio und belegte als studentischer Mitarbeiter Schichten bei den Vox-Nachrichten. Danach betreute er mehrere Jahre Livesendungen beim Radiokanal WDR5. 2016 kam Schipmann dann zu Hyperbole und ist mittlerweile dienstältester Mitarbeiter der im Jahr 2015 gegründeten Firma.

Wie bei allen „Funk“-Formaten ist auch „Die da oben!“ nicht ausschließlich auf einer Social-Media-Plattform zuhause: Sämtliche Videos werden auch auf der Website von „Funk“ unabhängig von den großen Portalen veröffentlicht. Facebook und YouTube halten sich jedoch die Waage, mit unterschiedlichen Reichweitenfaktoren: Bei YouTube erscheinen die regulären Videos in voller Länge und ohne Untertitel, die für gewöhnlich zwischen zwei und neun Minuten variiert. Bei Facebook folgt die Redaktion einer anderen Plattformspezifik und untertitelt alle Inhalte, da Nutzer*innen hier Videos überwiegend mobil ohne Ton rezipieren. Auch werden bei Facebook zusätzlich kurze Video-Auszüge aus verschiedenen Debatten gepostet, die als Statements einzelner Politiker*innen entweder besonders kontrovers oder clever erscheinen. Bei Facebook seien die Videos, obwohl die Abonnentenzahlen im Direktvergleich hinter YouTube zurückfallen, reichweitenstärker, sagt Schipmann. Bei Googles Videoportal aber gäbe es die „krasseste Retention Rate“, die loyalsten Nutzer*innen. Und dennoch hadert die Redaktion bei YouTube mit der starken Gesichtsfixierung der Plattform: nicht die Themen, sondern die Creators stünden im Vordergrund, sperrige Inhalte hätten es daher schwer. So zeigen Abboud und Schipmann hier häufiger Gesicht und nähern sich damit Formaten wie „Deutschland3000“ mit Eva Schulz an, die mit der starken Persönlichkeit ihrer Presenter beim Publikum zu punkten versuchen.

Auch „Die da oben!“ reiht sich ein in die Riege stark personalisierter Formate bei „Funk“, die in der Sphäre des Social Web Reichweite bringen sollen: „Worauf wir Wert legen, wenn wir mit Produzenten sprechen, ist, dass es ein schlüssiges Reichweiten- und Distributionskonzept geben muss“, sagt „Funk“-Vize-Geschäftsführerin Sophie Burkhardt: „Für uns ist es wichtig, dass man nicht nur von der redaktionellen Idee ausgeht, die man selber gut findet und sich darauf verlässt, dass das journalistische Projekt sein Publikum finden wird. In dem Umfeld, in dem wir uns bewegen, muss Distribution und Reichweite in einem klaren Konzept von Anfang mitgedacht werden.“ So ist es schon verdienstvoll, wenn ein auf Interaktion mit jungen Politikinteressierten angelegter Kanal wie „Die da oben!“ mit dem Charisma von Abgeordneten für eine kritische Auseinandersetzung mit parlamentarischer Debattenkultur wirbt, die andernfalls an junge Leute nur schwer zu vermitteln ist.

„Telegram nicht den rechten Influencern überlassen“

Zwischendurch wird gern weiterempfohlen: Berichte von „Süddeutscher Zeitung“, „Zeit Online“, „Tagesschau.de“, „Spiegel Online“, „taz“, Deutschlandfunk zu den großen Themen dieser Zeit. Die Lektüretipps gibt es täglich über den Messenger Telegram, nicht etwa nur weil Whatsapp es Redaktionen nicht mehr erlaubt, große Verteiler zu bedienen. „Telegram kann mehr seriöse Politikberichterstattung vertragen“, meint Jan Schipmann. „Wir wollen rechten Influencern dort nicht das Feld überlassen.“ Innerhalb von einer Woche habe man den (RSS-)Kanal der Tagesschau bei Telegram überholt. Zugegeben fallen die Reichweiten der Nachrichtenanbieter hier deutlich bescheidener aus als anderswo – „Die da oben!“ hat knapp 860 Abonnenten, „tagesschau.de“ liegt aktuell bei ca. 110). Der kleinere Kreis dient allerdings als Entwicklungsfeld für einen intensiveren und exklusiveren Kontakt zu besonders loyalen Nutzer*innen, die aktiv Bedarf anmelden an weiterführenden Hintergrundinformationen, die über die Inhalte der Videos speziell auf dem YouTube-Channel hinausgehen.

Der Austausch mit dem Publikum ist meist konstruktiv, es gibt aber auch viel Geplänkel. Schon zu Zeiten von „Informr“ habe er regelmäßig Zuschriften erhalten, berichtet Schipmann, in der Regel über Direktnachrichten via Facebook Messenger und mittels Kommentaren bei YouTube, Facebook, Instagram. E-Mails sind dagegen nicht relevant. Direktnachrichten erreichen die Redaktionen meist dann, wenn Nutzer*innen Nachfragen stellen, es genau wissen wollen. Aber auch Dankbarkeit ist ein Thema und Ansporn: „Kids schreiben uns: ‚Geiles Video, das habe ich im Unterricht benutzt.‘“, freut sich Schipmann. „So erfüllen wir unseren klassischen Bildungsauftrag.“ Junge Leute bedankten sich gerne für Beiträge, von denen sie sich gut informiert fühlen, die sie inhaltlich weiterbringen – ein Labsal für die redaktionelle Seele. Hin und wieder darf das Publikum auch abstimmen: über das nächste Best-Of-Video für die Sommerpause zum Beispiel.

Dabei soll penibel auf eine ausgeglichene Auswahl aller im Parlament vertretenen Fraktionen geachtet werden. Der Anspruch ist im Detail schwer durchzuhalten. Schnell kann sich eine Redaktion dabei in der Auszählung von Redezeiten der Parteien verheddern. So genau kann sie es damit auch nicht halten: Es werde sich aber darum bemüht, Ausgeglichenheit herzustellen. „Bei jeder Debatte, die wir behandeln, sollen die Positionen der verschiedenen Fraktionen deutlich werden. Dazu muss aus jeder Fraktion mindestens ein Politiker vorkommen. Wenn aber jemand ein Feuerwerk in der Debatte abgeliefert hat, dann kann es schon sein, dass diese Person mit etwas größerem Redeanteil dabei ist. Wir würden aber niemals drei Videos hintereinander veröffentlichen mit Auftritten ein und desselben Politikers. Darauf achten wir auch video-übergreifend“, sagt Schipmann.

Vollständig und ausgeglichen, so gut es geht

Mit Hass und Hetze wird die Redaktion nur selten attackiert, allenfalls muss sie auf Diskurshygiene achten, wenn die politischen Akteure und Themen in ihren Videos Ziel solcher Angriffe werden und der Ton einzelner Nutzer*innen entgleist. Wiederkehrend sind auch Rechtfertigungen nötig, weshalb auch Redebeiträge von Abgeordneten der AfD aufgegriffen werden. Schipmann stellt fest: „Wir sind natürlich als öffentlich-rechtliches Format in der Position, jede Partei abzubilden. Wir wollen Demokratie und Demokratieverständnis fördern. Und solange die AfD nicht vom Verfassungsschutz verboten wird, wird sie auch bei uns vorkommen. Das ist unser Programmauftrag. Natürlich gibt es auch einen Ermessensspielraum, etwas nicht abzubilden wie zum Beispiel, wenn jemand volksverhetzende Dinge im Parlament sagt. Es bleibt aber ein Spagat; denn viele meinen, wir sollten der AfD keine Bühne geben. Journalismus ist aber kein Wünsch-dir-was, sondern wir haben es mit Parlamenten in der Vielfalt ihrer Fraktionen zu tun. Wer da den Blick einschränken würde auf einige ausgewählte Fraktionen, würde meiner Ansicht nach damit nur Politikverdrossenheit fördern.“

Wenn einzelne Videos zu bestimmten Reizthemen und -figuren die „Bubble“ der jungen Zielgruppe durchstößen und die Beiträge auch in geschlossenen „Wutbürger-Gruppen“ geteilt würden, zeigt sich für Schipmann indes die Kehrseite der Sharing-Culture. Dann schlage der Pegel schnell einmal aus, und die Kritik treffe auch die Redaktion: „Wir wurden schon als Altright bezeichnet, aber auch als Antifa-Kanal. Mein Favorit bis heute ist der Vorwurf, wir seien ein schwarz-grüner Propagandakanal.“ Bei Kritik aus gegensätzlichen Lagern fühlt sich Schipmann letztlich in seinem Anliegen bestätigt, seinen Informationsauftrag überparteilich wahrzunehmen.

Gravierender scheint sich die demographische Entwicklung auszuwirken: Der Instagram-Kanal von „Die da oben!“ wächst, aber langsam. Die Plattform für visuelle Inhalte erfährt erst nach und nach ein politisches Frühlingserwachen, vor allem durch junge bzw. jugendliche soziale Bewegungen wie Fridays for Future. Über den „Funk“-Hub auf Instagram erreichen „Die da oben!“-Videos steigende Abrufzahlen. Dennoch ist das (Anspruchs-)Potenzial noch nicht ausgeschöpft: „Instagram ist für uns enorm wichtig. Auf Instagram sind deutlich jüngere Menschen unterwegs, und das Diskussionsklima ist häufig konstruktiver und angenehmer als bei Facebook“, sagt Jan Schipmann. „Außerdem gibt es sehr viele verschiedene Content-Typen, die uns eine sehr abwechslungsreiche Berichterstattung erlaubt. Pic Post, Feed-Video, IGTV, Story, Reel, Live – wir können so für jedes Thema die für uns passende Herangehensweise wählen.“ So wichtig Facebook noch in der redaktionellen Distributionsstrategie von „Die da oben!“ ist, wird die Nutzerschaft auf der Plattform im Schnitt immer älter. Instagram wird deshalb immer stärker zur Lebensader für junge Nachrichtenformate. Die Altersverschiebung innerhalb des Publikums hat bereits einem anderen, zudem preisgekrönten „Funk“-Format den Garaus gemacht: „Jäger und Sammler“ wurde Ende 2019 eingestellt. Andere hochgelobte Formate wie „Softie“ (bis 2019) oder „Karakaya Talk“ (bis 2020) wurden nach kurzer Zeit ebenfalls überraschend beendet, weil sich Relevanzkriterien in dem volatilen Segment der jungen Nachrichten- und Unterhaltungsangebote einem steten Aushandlungsprozess befinden.

Stillstand ist keine Option

So wird sich auch „Die da oben!“ weiterentwickeln müssen, in der Art und Weise, wie der Blick in und auf die Parlamente geworfen wird, wie der Umgang mit politischer Debatte vermittelt wird, und wie Themen ausgewählt werden: Es gelte, „sich von verschwurbelter Sprache abzusetzen, die aus meiner Sicht immer noch das größte Hindernis darstellt, um Politik an eine breite Masse zu kommunizieren, weil viele Menschen gar nicht verstehen, worum es bei den politischen Themen geht“, sagt Jan Schipmann. Er wolle noch mehr junge Menschen inspirieren, sich für Politik zu interessieren und sich zu engagieren. Humor ist dabei ganz offensichtlich – auch für die so wichtige unaufdringliche Kurzweiligkeit – ein wichtiger Faktor.

Er halte weiterhin die Augen auf: Was fehlt im Politikjournalismus? Wo gibt es Leerstellen, wo werden junge Leute gelangweilt oder vergrault? Inspirationen müssen fließen, zugleich müssen die Abhängigkeiten von Plattformalgorithmen wachsam begleitet werden, die darüber entscheiden, wie die eigenen Inhalte ausgespielt werden. Schipmann empfindet den Kreativdruck als sportliche Herausforderung: Wenn man sich von den Zwängen nicht freimachen kann, muss man ihnen umgehen.

Ein Risiko, dass das Content-Netzwerk für „Die da oben!“ den Stecker zieht, sieht Jan Schipmann aktuell nicht. Gleichwohl beobachtet er aufmerksam die Produktentwicklung der Plattformkonzerne, die Releases neuer Features und Trends in der Mediennutzung. Was weiterhin zähle, seien Inhalte, gibt Schipmann programmatisch aus. Manche Formate seien irgendwann einfach auserzählt. Dass dann ein Schlussstrich gezogen werde, sei nachvollziehbar. Bei „Funk“ würden solche Entscheidungen in der Regel auch transparent kommuniziert. Als Produktionsfirma stehe es einem stets frei, eine neue Idee vorzustellen. Schließlich solle man, mein Schipmann, in diesem Geschäft permanent daran arbeiten, sich neu zu erfinden: „Wenn ich jahrelang immer das gleiche machen würde, wäre ich echt gelangweilt. Innerhalb unseres medialen Feldes gibt es so viele Art und Weisen, Geschichten zu erzählen und Informationen zu vermitteln, um politische Bildung zu betreiben.“

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