Es funkt!
Das Content-Netzwerk von ARD und ZDF begleitet Jugendliche und junge Erwachsene konstruktiv durch die Untiefen der Corona-Pandemie, auch weil es andere drängende Themen für junge Leute nicht vernachlässigt.
Der Blick ist ernst, die Stimme nicht minder: „Ich nehme dieses Video auf am 1. April 2020.“ Mai Thi Leiendecker (geb. Nguyen-Kim) versucht keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, wie bedenklich die Lage ist. „Corona geht gerade erst los“: Das sind 22 Minuten wissenschaftsjournalistische Erklärung und konstruktive Einordnung einer ausweglos anmutenden Lage. Konstruktiv deshalb, weil die promovierte Chemikerin den „Freunden der Sonne“, wie sie ihr junges Publikum anspricht und dabei einlädt, es sich bei einem Tee gemütlich zu machen, ruhig und verständlich über die Grundlagen der Pandemieentwicklung aufklärt und in unverblümter Direktheit verdeutlicht, mit welchem Pandemieverlauf in den kommenden Monaten und Jahren zu rechnen ist.
Eine frohe Botschaft oder gar Lösungen präsentiert sie nicht. Doch wird auch für (jugendliche) Laien verständlich, weshalb die Nachverfolgung von Infektionsketten so schwierig ist, wie jede:r die Berechnungsmodelle der Pandemieentwicklung mit Online-Tools nachvollziehen kann, was „Wuhan-style Lockdown“ bedeutet und wie wichtig es ist, von den aktuellen Geschehnissen zu lernen und wenn nicht rosiger, dann doch etwas klarer in die Zukunft zu schauen. Ihre Schlussworte: „Ich weiß, dass vieles in diesem Video euch wahrscheinlich entmutigt hat. Ich sehe das so: Ich habe lieber einen konkreten Ausweg vor Augen, auch wenn er schwer ist, als immer nur mit ,Wir-müssen-mal-schauen‘ im Ungewissen gehalten zu werden. Wenn wir das Ziel kennen, können wir auch besser zielen.“ Und wer motivierende Gedanken oder Ideen zur Ausdauer habe, solle sie doch bitte gern in die Kommentare schreiben. „Lasst uns keine Panik schieben, aber bitte auch nicht verkacken.“
Trendreport
Beim Trendreporting des VOCER Millennial Labs recherchieren und analysieren wir den Markt der Medienangebote, die sich an Millennials richten, fassen relevante Studien zusammen und geben internationale Einblicke in den Journalismus für neue Zielgruppen. In diesem Beitrag beleuchten wir Erkenntnisse aus der Studie „Konstruktiv durch Krisen?“ von Leif Kramp und Stephan Weichert.
Über 6,6 Millionen Mal wurde das Video bereits angeklickt (Stand: November 2021). Das Video des Kanals maiLab wurde auf YouTube zum meistgesehenen in deutscher Sprache im Jahr 2020. Zu sehen ist nicht irgendeine Journalistin, Moderatorin oder Influencerin, sondern spätestens seit ihrem Statement die bekannteste Stimme von funk, dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF, wie das Angebot etwas halbherzig auf der eigenen Website bezeichnet wird. Die Wissenschaftsvermittlerin wurde während der Corona-Krise in den Senat der Max-Planck-Gesellschaft aufgenommen, zur Journalistin des Jahres gewählt und zu einer der prominentesten Beobachterinnen des gesellschaftlichen Umgangs mit der viralen Gefahr. Leiendecker mag auch deshalb bei jungen Zuschauer:innen als „Stimme der Aufklärung“ Gehör finden, weil sie ihr Publikum mit einer „Mischung aus Kompetenz, aus Empathie und aus einem sagenhaften Humor“ adressiert, wie Kollege Ranga Yogeshwar, ihr Vorgänger bei der WDR-Sendung Quarks, es in einer Laudatio formulierte. Mittlerweile arbeitet Leiendecker für das ZDF.
Webadresse: www.funk.net
Format: Online-Netzwerk aus verschiedenen Informations- und Unterhaltungsformaten von ARD und ZDF für junge Menschen
Tonalität: Was bedeutet die Corona-Pandemie für Jugendliche und junge Erwachsene?
Themenspektrum: Von Grundlagenwissen über authentische Ratgebertipps bis hin zu beißender Ironie mit ernstem Hintergrund, konsequent offen für Publikumsbeteiligung über Kommentarspalten und Chats und nah am jugendlichen Alltag
Prädikat: Verständnis für die Zerrissenheit des jungen Publikums, aber kompromisslos in der Sache: Nur gemeinsam und verantwortungsbewusst lässt sich die Krise bewältigen.
Erlösquelle: Öffentlich-rechtliche Rundfunkbeiträge
Eine solche lässige und doch stets verbindliche Form konstruktiver Auseinandersetzung mit Herausforderungen zeichnet auch andere Formate für junge Leute des Social-Media-Angebots der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus. „Wir müssen einen 14-Jährigen genauso wie eine 29-Jährige erreichen. Das ist ein riesiges Feld. Das an einer Plattform zu machen, halten wir für komplett utopisch“, sagte der damalige Geschäftsführer Florian Hager, der Anfang Dezember 2021 zum neuen Intendanten des Hessischen Rundunks gewählt wurde, im Oktober 2016 zum Start von funk, das nach Hagers Beförderung zum stellvertretenden Programmdirektor von Das Erste im Oktober 2020 auch Einzug in die Mediatheken von ARD und ZDF hielt. funk hat Zeit seines Bestehens versucht, regelmäßig mit neuen Formatideen auf den einschlägigen sozialen Plattformen die Mentalitäten junger Menschen möglichst zielgruppennah zu treffen und dabei viele Register gezogen, die Fernsehmacher:innen zur Ansprache junger Zielgruppen überhaupt nur ziehen können. Entsprechend fluide erscheint das Angebot an Gesichtern, Stimmen und Erzählformen.
Um in die ganz eigenen Lebenswelten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen einzutauchen, reicht das Spektrum von YouTube-Sketch-Comedys, Gaming-Formaten und Facebook-Live-Shows über fiktionale Serien bis hin zu journalistisch angetriebenen Wissens- und Nachrichtenmarken, die sich dezidiert von den Konventionen althergebrachter Sendungen abgrenzen. „funk ist ein Prisma: Wenn ich jetzt 14 bin, ist funk für mich etwas Anderes, als wenn ich 24 bin. Wenn ich ein junger Mann bin ist es etwas anders, als wenn ich eine junge Frau bin. Je nachdem, aus welcher Perspektive ich darauf schaue, sieht funk anders aus. Und das ist durchaus so gewollt. funk, das sind viele kreative Menschen, die im Internet Videoprojekte machen, die nur dort stattfinden und nur mit funk“, sagt die Vize-Programmgeschäftsführerin Sophie Burkhardt zum Konzept des Netzwerkangebots.
Im Jahr 2021 erreichte funk mit seinen knapp 70 Social-Media-Kanälen ungefähr 77 Prozent der Zielgruppe von 14 bis 29 Jahren. Sogar 87 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 30 Jahren kennen das junge Netzwerk als solches oder eines seiner Formate. In der Berichterstattung zu ‚Covid-19‘ stechen vier Themenstrategien heraus, die mit lösungszugewandter Herangehensweise aufklären, aufdecken und ablenken, wobei Impulse für das individuelle Handeln im Mittelpunkt stehen:
- Vermittlung von Grundlagenwissen über die Pandemie und ihre Folgen mit wissenschaftlicher Expertise
Neben maiLab profiliert sich insbesondere der Journalist und ehemalige ZDF-Logo!-Moderator Mirko Drotschmann als MrWissen2go zweimal wöchentlich mit Erklär- und Meinungsvideos, wiederholt auch zu ‚Corona‘. Dabei bindet er sein Publikum, darunter vor allem Schüler:innen, über Umfragen und Kommentar-Auswertungen ein und thematisiert, was ihnen wichtig ist, was sie bewegt und welche Spielräume und Ideen sie haben. Probleme werden leicht verständlich herausgearbeitet und jeweils Lösungswegen gegenübergestellt. Das Format wirbt darüber hinaus um Verständnis für Betroffene, regt aber auch an, die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen kritisch zu diskutieren, Optionen abzuwägen und zu hinterfragen. Daneben werden auf dem Kanal Dinge erklärt – kurzgesagt mit futuristischen Animationen zum Beispiel Verhaltenstipps wie die AHA-Regeln als simpel, aber effektiv beschrieben und zugleich an den sozialen Gemeinsinn appelliert. - Berichte und Diskussionen über die politische und gesellschaftliche Handhabung der Krise
Simplicissimus zeigt, wie Südkorea die unkontrollierte Ausbreitung des Corona-Virus verhinderte, legt Mechanismen von alarmistischer Corona-Tendenzberichterstattung offen, befasst sich mit Verschwörungstheorien zur Pandemie und gibt dabei Tipps für eine kontrollierte, reflektierte Rezeption von zirkulierenden Netzinhalten zum Thema. Bei „Deutschland3000“ sprechen Akteur:innen aus Kultur und Medien über ihre ‚Rezepte‘, wie sie es schaffen, trotz massiver Corona-Einschränkungen weiterzuarbeiten. Und bei Die da oben! wird lösungsorientiert begründet, weshalb die Akzeptanz der Infektionsschutzmaßnahmen in der Bevölkerung eines öffentlichen parlamentarischen Diskussions- und Entscheidungsprozesses über die Verhängung von Lock- und Shutdown-Regelungen bedarf. - Beiträge über aktuelle lebensweltliche Perspektiven junger Menschen im Lock- bzw. Shutdown
Das vom WDR produzierte Format Reporter wartete bei Snapchat, YouTube und Facebook mit Ideen gegen den Corona-Koller auf, warb um Verständnis für den Frust gerade junger Leute, aber auch darum, dass es #InZeitenVonCorona besonders wichtig sei, auf seine und die Gesundheit anderer zu achten. Statt wöchentlicher Reportagen sendete das Team eine Woche lang gemeinsam mit dem nordrhein-westfälischen Radiosender EinsLive ein tägliches Corona-Update: Wie komme ich als junger Mensch zurecht mit ‚Social Distancing‘, Reisewarnungen, drohendem Jobverlust, finanziellen Einbußen und großer Langeweile und kann meine Lage vielleicht sogar verbessern und mental gesund bleiben? Resilienzratschläge für junge Menschen wurden mit Fragen aus dem Publikum und an Expert:innen kombiniert. Daneben zeigt das Bremer Y-Kollektiv, dass es helfen kann, miteinander zu sprechen, selbst mit Anhänger:innen von Verschwörungsideologien, auch wenn es anstrengend erscheint. Außerdem wird über unterschiedliche kulturelle Herangehensweisen im Umgang mit der weltweiten Pandemie berichtet als auch über verantwortungsvolles Feiern, Reisen und Dating im Zeichen von ‚Corona‘. - Unterhaltung, Zerstreuung und Unterstützung für das Homeschooling
Als die Schulen für viele Wochen schließen mussten, reagierte funk mit einer eigenen Playlist bei YouTube mit einer Zusammenstellung von Erklärvideos aus diversen seiner Kanäle, um Verständnislücken beim Zuhause-Unterricht schließen zu helfen – funk als „Vertretungslehrer:in“. Auch bei fiktionalen Webserien wie Druck um das Lebensgefühl von Teenagern werden die Pandemie und die daraus resultierenden Dilemmata junger Menschen einfühlsam verarbeitet.
Generell ist allerdings zu bemerken: ‚Corona‘ wurde für funk nicht zu einem überwältigenden Schwerpunktthema. Das Gros der Beiträge, die in den zahlreichen Kanälen über YouTube, Instagram, Snapchat, Facebook und TikTok verbreitet werden, greift offensiv zeitlose Fragen auf, die für gewöhnlich in der breiten Berichterstattung und speziell in Zeiten der Pandemie zu kurz kommen und besonders junge Menschen bewegen. Zum Beispiel das preisgekrönte Format Mädelsabende für Mädchen und junge Frauen auf Instagram: Hier geht es auch zu Hochzeiten der Pandemieentwicklung in Deutschland um zeitlose Herausforderungen des Single- oder Queer-Daseins, um die Farbe von Urin, ums Streiten, sexualisierte Gewalt, ADHS, Essstörungen, die Akzeptanz des Anderen, um Zusammenhalt und die Kompliziertheit der Welt. Nicht nur hier produziert funk Diskursmaterial konsequent aus Sicht einer jungen Generation, die in ihrer Heterogenität zwar mit grundlegenden Einschränkungen zurechtkommen muss und mit dem Ausfall wichtiger Meilensteine ihrer Sozialisation zu kämpfen hat, aber neben ‚Corona‘ noch Vieles mehr in ihren Köpfen jongliert.
Auf ihrem YouTube-Kanal „maiLab“ kommentiert und erklärt Dr. Mai Thi Leiendecker (geb. Nguyen-Kim) aktuelle Fragen aus der und zur Wissenschaft. Schon vor der Corona-Pandemie war der Kanal bei Jugendlichen populär. Direkt, pointiert und persönlich werden aktuelle Fakten und Streitfragen aus dem wissenschaftlichen Fachdiskurs aufgegriffen und leicht verständlich erklärt – sorgfältig recherchiert, aber nie verlegen um eine klare Position. In der Corona-Pandemie wurde der Kanal zu einem der prägendsten Quellen für junge Menschen zur Aufklärung und Vermittlung von Hintergrundwissen über das pandemische Geschehen und die Krankheit Covid-19.
Auch das wird abgebildet: Trotz, Frust, Ironie, die sich zu Skandalen auswachsen wie im Fall des Satireformats Bohemian Browser Ballett. Mitten in der ersten Welle überzeichnete das Video „Corona rettet die Welt“ einen vermeintlichen Generationenkonflikt zwischen Jung und Alt und erntete von vielen Seiten harsche Kritik. Die funk-Zentrale sah sich genötigt, den satirischen Inhalt zu erklären. Provokant legte das Comedy-Format zu Heiligabend mit dem „Finanztipp des Jahres“ nach: „Besuche deine Eltern zu Weihnachten“, dann werde das Erbe frühzeitig fällig – ein humoristisches Mittel, das bei einem jugendlichen Publikum eine Auseinandersetzung mit der Provokation anregen mag, gerade weil die propagierte Botschaft ad absurdum geführt wird. Für ältere Generationen aber kann dies alles andere als konstruktiv anmuten. Auch wenn einige funk-Formate und -Personalien bereits den Sprung in die Hauptprogramme von ARD und ZDF geschafft haben, ist die Auslagerung der jungen Zielgruppenansprache in die Sozialen Medien auch ein Zeugnis immenser Verständnisschwierigkeiten zwischen den Generationen. Deutschland3000-Moderatorin Eva Schulz hält es entsprechend für einen wichtigen konstruktiven Schritt zu versuchen, „Leute auch über Altersgrenzen hinweg miteinander ins Reden [zu] bringen.“
Quelle/Download: Konstruktiv durch Krisen? Fallanalysen zum Corona-Journalismus
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