Was ich mit dem VOCER Millennial Lab erreichen will

Kürzlich habe ich mich mit einem Schulfreund unterhalten, den ich seit Jahren nicht gesehen hatte. Als er hörte, dass ich als Journalist arbeite, sagte er: „Macht doch mal was, das mich interessiert.“ Die kommende halbe Stunde zeigte ich ihm auf seinem Smartphone Texte und Videos. Ich erzählte von funk und den Krautreportern und erklärte, dass das deutsche Buzzfeed nicht nur für lustige Listen und Katzenvideos steht, sondern engagiert und investigativ recherchiert – zu Themen, die für ihn relevant sind. Am Ende sagte er: „Das ist ja alles schön und gut. Aber warum weiß ich nichts davon?“

Die Begegnung steht für mich sinnbildlich für den Zustand des Millennial-Journalismus in Deutschland: Es gibt durchaus Angebote für jüngere Menschen, aber ein Teil der Zielgruppe hat noch nie davon gehört. Verlage konkurrieren nicht nur untereinander, sondern mit Netflix, Spotify, Social Media und Dutzenden Apps, die sich um Aufmerksamkeit streiten. Früher reichte es, kluge Texte zu schreiben. Heute sollten sich Journalistïinnen genauso viele Gedanken darüber machen, für wen sie schreiben und über welche Kanäle sie ihre Inhalte verbreiten.

“Wir müssen die Leser da abholen, wo sie sind” ist eine Floskel. Trotzdem ist der Satz wahr. Ich kenne vielleicht noch eine Handvoll Menschen unter 30, die eine gedruckte Zeitung abonniert haben – und die teilen sich ein Studentenabo in der WG. Medien erreichen ihre Rezipientïnnen nicht mehr automatisch über den Briefkasten. Statt die Zeitung auf dem Küchentisch auszubreiten, lesen Menschen in der U-Bahn und im Fahrstuhl, hören Podcasts auf dem Fahrrad, schicken sich Links per Whatsapp und entdecken Insta-Stories im Wartezimmer.

Die Fahrstuhl-Leserin ist nicht mehr oder weniger wert als der Frühstücks-Schmökerer. Der neue Umgang mit Medien ist nicht besser oder schlechter – einfach nur anders. Er wird nur dann zum Problem, wenn Journalistïnnen ihre Arbeit nicht ihrem Publikum anpassen. Für Millennial-Medien ist die Herausforderung besonders groß, denn die Art und Weise, wie Millennials Medien nutzen, hat sich besonders drastisch verändert.

Im Zeitalter von Desinformation und Propaganda ist seriöse Einordnung wichtiger denn je. Ich will mir keine Welt vorstellen, in der politische Parteien und PR-Abteilungen von Unternehmen die Themen setzen.

Es geht aber nicht nur um Vermittlung, sondern auch um Inhalte: Der FC Bayern hat 50 Millionen Facebook-Fans und bespielt alle Kanäle meisterhaft, mit Journalismus hat das aber nichts zu tun. Viele Menschen zu erreichen, ist kein Selbstzweck. Das darf bei aller Nutzerorientierung und agiler Entwicklung nicht aus dem Blick geraten: Formate und Verbreitungswege wandeln sich, journalistische Prinzipien bleiben dieselben. Unabhängigkeit und kritische Distanz sind auch für Millennial-Medien essenziell.

Für Verlage ist es überlebenswichtig, dass sie jüngere Nutzerïnnen erreichen und überzeugen, dass journalistische Inhalte Geld oder Aufmerksamkeit wert sind. Doch ich bin überzeugt, dass auch die Gesellschaft guten Millennial-Journalismus braucht. Wer mit 20 lernt, dass Medien keine passenden Angebote parat haben, überlegt es sich mit 25 oder 30 nicht automatisch anders. Im Zeitalter von Desinformation und Propaganda ist seriöse Einordnung wichtiger denn je. Ich will mir keine Welt vorstellen, in der politische Parteien und PR-Abteilungen von Unternehmen die Themen setzen.

Deshalb freue ich mich, dass es schon so viele mutige und innovative Redaktionen gibt, die versuchen, guten Journalismus neu zu verpacken und zu vermitteln – und deshalb glaube ich, dass es immer noch nicht genug sind. Das Angebot muss noch breiter und besser werden. Daran möchte ich als Koordinator des VOCER Millennial Lab mitarbeiten.

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